Progressiver, als man glaubt

Progressiver, als man glaubt
Sozialforscher Harald Katzmair hat in einer neuen Studie die Familienfreundlichkeit der heimischen Unternehmen untersucht. Ergebnis: Es wird moderner, offener und flexibler gemanagt als angenommen.

Ist Österreich familienfreundlich?

Harald Katzmair: (denkt lange nach) Ich bin ja selbst Experte – mit zwei kleinen Kindern. Grundsätzlich sind das Verständnis, die Flexibilität, die Angebote in Österreich sehr familienfreundlich. Aber Luft nach oben gibt es immer.

Wie hoch oben steht das Thema bei den Firmen?

Sehr hoch oben. Die Frage der Mitarbeiter-Loyalität ist für Firmen das Kriterium, ob sie in der globalisierten Welt bestehen. Man kann in Nischen nur gewinnen, wenn die Mitarbeiter bleiben. Google und Tesla machen eine Hire-and-fire-Personalpolitik, als heimischer Werkzeugmacher ist die Mitarbeiterbindung das Make-or-Break-Kriterium. Als Nischenplayer musst du die Leute jung ausbilden und lange binden.

Und wie wichtig ist das Thema für die Menschen?

Für die, die Familie und Kinder haben, ist das ein sekündliches Thema. Es ist einfach immer präsent. Weil Kinder einen umfassenden Anspruch haben, weil sie etwa auch krank werden – man ist mit Kindern permanent mit Ausnahmezuständen konfrontiert. Die muss man ins Leben einpassen. Auch ins Berufsleben.

Man hat das Gefühl, die Vereinbarkeit von Job und Familie ist ein sich ewig wiederholendes Thema.

Mag sein. Es gibt einfach Themen, die immer wieder neu besprochen und ausgehandelt werden müssen. Dafür sorgen Kinder und ein Familienleben mit all seinen Überraschungen.

Wir hören von familienfreundlichen Unternehmen seit Jahrzehnten. Wo stehen wir heute?

Das hat sich alles stark professionalisiert. Im Personal-Bereich gibt es viel Austausch unter den Firmen. Die Einstellung aller Akteure ist überdurchschnittlich progressiv. Man hat erkannt: Job und Familie muss man gut zusammenführen können, damit alle Beteiligten glücklich sind.

Was macht einen Betrieb familienfreundlich?

Ich meine: Eine gewisse Flexibilität und das beiderseitige Verständnis, dass bestimmte Regelabläufe mit Kindern manchmal nicht möglich sind. Dass Musterbrüche aus der Normalität heraus üblich sind und man im Joballtag auch pragmatisch damit umgehen kann. Und dass es niemandem schadet, zu verstehen, dass es außerhalb der Arbeit auch noch andere Werte gibt.

Die Wirtschaft ist eine Männerwelt. Haben Männer genügend Interesse an diesem Thema?

Es werden mehr, aber es stimmt schon: Männer sind immer noch stark an Status orientiert und daran, was sie in der Welt erreichen wollen. Der Stellenwert der Karriere ist bei Männern höher, weil sie sich damit erst als gelungen sehen. Männer brauchen den Halt im Äußeren.

Andererseits: Treiben die Frauen das Thema vielleicht nicht stark genug an?

Da geht es gar nicht ums Einfordern, sondern um den Umgang mit Menschen. Wenn das Kind krank ist und Fieber hat oder wenn der Hund zum Tierarzt muss, zwingt die Realität dazu, eine Lösung zu finden. Unser Problem ist, dass wir solche Vorfälle immer als Störung wahrnehmen anstatt als normale Realität. Zuneigung und Empathie gehören in der Berufswelt auch dazu, das wird aber leider oft anders gesehen.

Oberösterreich, Steiermark und Kärnten liegen bei der Familienfreundlichkeit vorne. Warum?

Das hat mit der Struktur der Wirtschaft zu tun, sie ist österreichischer, industrieller, mittelständischer, trotzdem am Weltmarkt orientiert. Diese Betriebe sind extrem angewiesen auf die Beziehung zu den Mitarbeitern. Das ist ihr allergrößtes Asset. Die Firmenleiter haben erkannt, dass das Wissen im Unternehmen bleiben muss. Würden die Mitarbeiter permanent kommen und gehen, wären diese Firmen tot, dann könnten sie keine Qualität produzieren.

Was halten die Österreicher heute von berufstätigen Müttern?

Mittlerweile ist das total akzeptiert, nur 20 Prozent lehnen arbeitende Mütter ab. Umgekehrt sagen 75 Prozent, Männer arbeiten zu viel und die Familie leidet darunter. Wir haben ein viel offeneres Familienbild, als oft suggeriert wird.

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