Manager der mächtigen Manager

Manager der mächtigen Manager
Fredmund Malik erklärt den Managern das Managen. Und im Interview, warum uns der Wandel von der alten zur neuen Wirtschaftswelt so schwerfällt.

Wir leben in einer Zeit des großen Wandels. So gut wie alle Funktionsmechanismen in Wirtschaft und Gesellschaft sind starker Veränderung unterworfen. Ist das ein Wandel, der in seiner Intensität einmalig ist?

Fredmund Malik: So wie es kommen wird, ist es etwas Einmaliges. Wahrscheinlich sogar historisch einmalig. Ich meine, die Digitalisierung wird die größte, tiefstgreifende Transformation der Geschichte sein.

Wie meistern die Unternehmenslenker diesen Wandel?

Es ist wie überall. Es gibt Führungskräfte, die fantastische Leistungen bringen. Und es gibt die anderen, die als Wunder galten, von den Medien hinaufgeschrieben wurden, aber sehr schwach sind.

Was unterscheidet die guten von den schlechten Chefs?

Die guten zeigen eine langfristig gute Performance. Seit Anfang der 90er-Jahre sind die Herausforderungen der Börse, der Finanzmärkte, der großen Boni, der Begeisterung des Publikums, die Verlockungen der Medien dazugekommen. In den 60er-, 70er-, 80er-Jahren war es eher verpönt, als Führungskraft in der Wirtschaft auch publikumsbekannt zu sein. Es gab nicht die Vorstellung, dass die Person die Marke des Unternehmens sei. Gründer und Eigentümer ausgenommen.

„Der Wandel spielt sich heute in einer Generation ab. Früher hat das zwei, drei Generationen gekostet.“

Größte Herausforderung für das Management heute ist, dass vielfach die Planbarkeit fehlt.

Das stimmt. In der Nachkriegszeit war alles klar: Aufbau und Aufschwung. Die Innovationen des Weltkrieges wurden lukriert, die Welt brauchte alles, weil alles kaputt war. Eine Zeit des ungeahnten Wachstums. Das hat auch die Ökonomen verführt zu glauben, das Wirtschaftswachstum dauere ewig und gehe linear nach oben. Aber in der Geschichte läuft immer alles in S-Kurven. Dann kommt das Schumpeter’sche Phänomen der schöpferischen Zerstörung. Etwas Neues kommt und verdrängt das Bisherige. Das hat über die Jahrhunderte eine eigentümliche Regelmäßigkeit.

Die aktuelle Disruption scheint aber aber eben besonders intensiv zu sein.

Ja. Wobei: Ich mag das Wort Disruption nicht, weil es die Aura des Chaotischen hat. Ich mag Substitution, wie es Schumpeter gewählt hat. Die Digitalisierung penetriert die gesamte Wirtschaft. Entscheidend aber ist: Diese großen Veränderungen spielen sich heute im Leben einer Generation ab. Früher hat das zwei, drei Generationen gekostet, heute leben wir viel länger und darum erleben wir alles in einem Leben – Aufschwung, Stagnation und, wenn man nicht umsteigt, den Zusammenbruch.

Wie können Manager richtig handeln, wenn sie nicht wissen, was kommt?

Sie handeln natürlich häufig falsch. Eine Regel ist: Handle immer so, dass du nach der Entscheidung mehr Möglichkeiten hast als vorher. Es heißt, herkömmliches Management kann die Transformation nicht bewältigen.

Müsste man alle älteren Manager durch junge ersetzen?

Manche denken so, ich halte das nicht für richtig. In manchen Gebieten muss man ein Leben lang dabei sein, um zu wissen, worum es geht. Erfahrung ist extrem wertvoll.

Sie sagen, Firmen sollten heute das bisherige Geschäft betreiben, so lange wie möglich, und zugleich ein neues Geschäft entwickeln.

Ein guter Ansatz, aber schwierig, weil man buchstäblich in zwei Welten operieren muss. Konzerne teilen sich deshalb häufig, siedeln neue Geschäfte auf Spielwiesen außen an, wo sie nicht unter bisherige Reporting-Systeme fallen, nicht behindert werden durch die Silo-Organisation. Wo man nicht einmal ein Budget machen kann, weil alles so unplanbar ist.

„Ich glaube nicht mehr daran, dass man Menschen ändern kann. Ich halte das für höchst inhuman. Das ist ja fast eine Folter.“

Kann man das, was man für gutes Management heute braucht, überhaupt an einer Schule lernen?

Dass Management vorwiegend an den betriebswirtschaftlichen Fakultäten gelehrt wird, ist ein akademischer Baufehler. Natürlich muss man Bilanzen lesen können. Aber Managen hat nichts mit Wirtschaften zu tun. Sondern mit dem Steuern des Wirtschaftens. Das Management müsste aus meiner Sicht in den Komplexitätswissenschaften angesiedelt sein: in den Systemwissenschaften, der Kybernetik, der Bionik. Die entscheidende Frage ist: Wie meistert man Komplexität.

Indem man sie reduziert?

Das ist häufig der Reflex. Die Komplexität muss man aber gar nicht reduzieren, sondern die Kompliziertheit, die Bürokratie. Für das Meistern der Komplexität haben wir den wichtigsten Rohstoff in unserer Gesellschaft: die Vielfalt. Diversity. Man kann die Komplexität mit Hirn erschließen, das ist dann komplizierte Mathematik. Oder man kann sie intuitiv und emotional erschließen.

Glauben Sie, sind Führungskräfte mutig genug für neue Ansätze?

Viele sind es nicht, aber es dürfen viele ja auch Ängste haben. Von den Mutigen genügt eine kritische Zahl. Wir brauchen fünf bis 15 Prozent der Führungskräfte in einer Pionierrolle. Und ich denke, so viele gibt es auch. Die Problematik ist: Pioniere wissen, was zu tun ist. Aber sie wissen nicht, wie. Weil sie gegen die Widerstände des Systems antreten müssen. Konzerne haben ein unglaubliches Beharrungsvermögen. Man muss Tausende Menschen in Konzernen bewegen, um etwas zu verändern. Und es gibt dabei natürlich Opfer.

Das ist vielleicht die größte Angst der Beteiligten: dass sie selbst zum Opfer im Change-Prozess werden.

Im Change-Management glaubt man, man müsse die Menschen ändern. Ich glaube nicht mehr daran, dass man Menschen ändern kann. Auch die Jungen ändern sich im Übrigen nicht gern. Zu verlangen: "Ändern Sie sich", halte ich für höchst inhuman. Das ist ja fast eine Folter. Ich glaube: Man muss die Menschen lassen, wie sie sind und ihnen andere Methoden in die Hand geben, andere Instrumente, die sie befähigen, anders zu handeln. Ich musste meine Person auch nicht ändern, um ein Smartphone benützen zu können. Man hat es mir gegeben und ich habe mich damit verändert. Mit großer Freude sogar.

Hat es Sie nie gejuckt, selbst einen Konzern zu leiten?

Ja, doch, schon. Aber ich habe meine Aufgabe eben woanders gesehen. Obwohl es Angebote gab.

Was ist richtiges und gutes Management – das ist die Lebensfrage, mit der sich der Vorarlberger Fredmund Malik, Jahrgang 1944, beschäftigt. Der Wirtschaftswissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Managementlehre ist Inhaber und Leiter des Management-Beratungsunternehmens in St. Gallen. Er ist sozusagen ein Manager der Manager: indem er Firmen und CEOs berät, die vor großen Herausforderungen stehen.

Fredmund Malik ist Autor zahlreicher Schriften zu Managementtheorie, General Management, Strategie und zur Personalentwicklung. Er strebt insbesondere ein effektives Managementhandeln an und wendet gern die Kybernetik – die Steuerung dynamischer Prozesse – auf die Managementpraxis an. Seine jüngsten Bücher: „Navigieren in Zeiten des Umbruchs“ (2015), „Führen – Leisten – Leben“ (2014), „Wenn Grenzen keine sind, Management und Bergsteigen“ (2014). Malik ist passionierter Bergsteiger. Er war von 2004 bis 2007 Aufsichtsratsmitglied bei den ÖBB. Er lebt und arbeitet in der Schweiz.

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