Großes Zittern an den Märkten

Nicht nur die Fahnen, auch die Nerven flattern
Aktien tief im Minus, deutsche Staatsanleihen zahlen auf zehn Jahre keine Zinsen.

An den Finanzmärkten macht sich Nervosität breit. Bisher waren viele Anleger erstaunlich gelassen geblieben. Doch nach den jüngsten Umfragen, bei denen das EU-Austrittslager führt, schwant den Börsianern, dass die Brexit-Befürworter am 23. Juni tatsächlich eine Stimmenmehrheit einfahren könnten. Was turbulente Zeiten erwarten ließe.

Entsprechend nervös fiel der Start in die Woche aus. Die Reaktionen zeigten eine typische Flucht aus dem Risiko in Richtung "sichere Häfen": Gold legt zu. Aktien verlieren. Sichere Staatsanleihen gewinnen. Die Schuldpapiere der Euro-Krisenländer kriegen Probleme. Im Detail:

Deutsche Anleihen

Deutsche Schuldpapiere gelten als Richtschnur für sichere Werte. Wenn Anleger nicht wissen wohin, kaufen sie Bundesanleihen. Seit Freitag sind die Kurse auf einem Allzeithoch und die Rendite (die konträr läuft) auf einem Allzeittief angekommen.

Absurd: Stand Montag werfen die Papiere läppische 0,019 Prozent über zehn Jahre ab. Wenn Deutschlands Finanzminister Schäuble jetzt Schulden macht, zahlt er dem Anleger 2026 gerade einmal den Einsatz zurück. Setzt sich der Trend fort, wäre eine negative Verzinsung auf zehnjährige Papiere eine Frage von Tagen. Dann würde Schäuble sogar weniger zurückzahlen, als der Investor verborgt hat.

Neue Schuldenkrise?

Flucht aus dem Risiko heißt auch: Flucht aus Euro-Krisenländern. Noch dazu, wo in Spanien am 26. Juni heikle Wahlen anstehen. In Madrid droht eine neuerliche Hängepartie ohne klaren Regierungsauftrag. Und: Sollten die Briten drei Tage davor für den EU-Ausstieg stimmen, könnte das den Separatisten in Katalonien Auftrieb geben, die sich vom Zentralstaat lossagen wollen. Die Zinsen für italienische, spanische und portugiesische Staatsanleihen stiegen, aber nur um 0,04 Prozentpunkte, weil die Europäische Zentralbank mit ihren Wertpapierkäufen um 80 Mrd. Euro pro Monat den Markt dominiert und die Lage unter Kontrolle hält.

Rohstoffe

Die Krisenwährung Gold hat seit Ende des Vorjahres um 21 Prozent an Wert zugelegt. Weniger Wachstum heißt weniger Ölverbrauch: Der Preis für ein Fass der Sorte Brent gab entgegen jüngsten Trends am Montag um 1,6 Prozent nach.

Währung

Das britische Pfund Sterling hat seit Mitte Juni 2015 wegen der Brexit-Debatte rund 9 Prozent zum US-Dollar verloren. Die schwächste Entwicklung aller großen Weltwährungen.

Aktien

"Der Optimismus aus dem Frühjahr ist wie weggeblasen. Den Börsen steht ein stürmischer Sommer bevor", prognostiziert Jochen Stanzl vom Brokerhaus CMC. Die Woche hatte schon denkbar schlecht begonnen, indem Japans Nikkei-Index ein sattes Minus von 3,5 Prozent vorlegte. Das setzte sich in Frankfurt (DAX –1,31 Prozent um 16.30 Uhr) und Wien (ATX –2,17 Prozent) fort.

Besonders viel verloren Finanztitel wie Unicredit, Generali, ING oder Santander. "Banken wären am stärksten von einem Brexit betroffen", sagte Analyst Zeg Choudhry vom Investmenthaus Lontrad: "Wer in den nächsten zwei Wochen nicht defensiv investiert, muss ziemlich verrückt sein." Noch dazu, wo Sitzungen der Notenbanken in den USA, der Schweiz, in England und Japan die Märkte unerwartet bewegen könnten.

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