"Großbritannien wird leiden": Konzerne drohen mit Abzug

Besser rechtzeitig gegen die Brexit-Folgen wappnen, das empfehlen Experten.
Nicht nur internationale Konzerne wie Airbus, Visa und Siemens wappnen sich gegen einen Brexit. Auch heimische Unternehmen sollten sich vorbereiten, sagt ein Experte.

Der Zeitplan für einen allfälligen Brexit, also den Austritt Großbritanniens aus der EU, ist noch nicht absehbar, dennoch sollten sich die heimischen Unternehmen schon jetzt vorbereiten. Zu diesem Schluss kommt Bernhard Gröhs von Deloitte Österreich: "Die zukünftigen Folgen eines britischen EU-Austritts sind vielfältig und werden ihre Spuren im wirtschaftlichen Alltag hinterlassen." So sollten österreichische Unternehmen bereits jetzt ihre Lieferkette und langfristige Verträge mit britischen Vertragspartnern überprüfen.

Auch internationale Konzerne ziehen bereits erste Konsequenzen aus dem drohenden Brexit oder prüfen weitere Schritte. Ein Überblick:

  • Siemens hat den weiteren Ausbau seines großen Werkes in Hull gestoppt, wo Rotorblätter für Windräder produziert werden. Der ursprüngliche Plan, von Hull aus Rotorblätter in andere Länder zu exportieren, sei durch den Brexit fraglich geworden.
  • Der Telekommunikationsriese Vodaphone droht mit einem Abzug seiner Londoner Firmenzentrale, sollte die für seine Mitarbeiter nötige Personenfreizügigkeit nicht gewährleistet sein.
  • Goldman Sachs überlegt bis zu 6.500 Mitarbeiter aus Großbritannien abzuziehen. Das Institut sei stark davon abhängig, dass seine in London zugelassenen Finanzprodukte auch im EU-Ausland anerkannt würden, sagte Richard Gnodde, Co-Chef der Investmentbanking-Abteilung der US-Bank.
  • Die Traditionsbank Lloyd's, das führende Hypothekeninstitut in Großbritannien, schließt wegen dem Votum der Briten 23 Filialen und streicht nach eigenen Angaben hunderte Stellen.
  • Virgin verzichtet angesichts der aktuellen Entwicklungen auf die geplante Übernahme einer ungenannten Firma. Der Deal hätte laut Firmenchef Richard Branson 3.000 Arbeitsplätze in Großbritannien gesichert. Branson warnte zudem, seine chinesischen Geschäftspartner würden ihr Interesse an Großbritannien verlieren. Das würde Tausende Jobs kosten.
  • Visa könnte bis zu tausend Jobs aus Großbritannien in die EU verlagern. Damit will die Kreditkartenfirma eine EU-Auflage erfüllen, dass die Daten des Unternehmens in einem EU-Land liegen müssen.
  • JP Morgan-Chef Jamie Dimon rechnet damit, dass bis zu 4.000 Arbeitsplätze der Bank in andere Länder verlagert werden könnten. Die Mitarbeiter wurden bereits per Mail über mögliche Änderungen informiert.
  • Ford will "alle nötigen Maßnahmen ergreifen", um nach einem Brexit wettbewerbsfähig zu bleiben. In einem ersten Schritt will das Unternehmen seinen Investitionsplan für Großbritannien überprüfen.
  • Billigflieger Ryanair kündigte nach dem Referendum an, keine weiteren Flugzeuge in Großbritannien zu stationieren und keine neuen Routen aus dem Königreich anzubieten. Man wolle sich voll auf weiteres Wachstum in der Europäischen Union konzentrieren.
  • Kryptischer waren die Ansagen von Airbus-Chef Tom Enders: "Großbritannien wird leiden", sagte er nach dem Brexit-Votum. Sein Unternehmen werde nachrechnen, ob sich geplante Investitionen im Königreich noch lohnten.

Chancen und Risiken im Auge behalten

Für Österreichs Unternehmer hat Bernhard Gröhs von Deloitte einen Tipp: Es sei jetzt besonders wichtig, Chancen und Risiken in den Bereichen Handel und Steuern, Unternehmensstrategie, Wertschöpfungs- und Lieferkette und Personal sowie rechtliche und organisatorische Entwicklungen im Auge behalten. Zu beachten wären etwa die Auswirkungen auf indirekte Steuern. Ab in Kraft treten des Brexit wären Lieferungen sowie unternehmensinterne Warenbewegungen nach Großbritannien nicht mehr als innergemeinschaftliche Lieferungen, sondern als Exporte zu behandeln. Sie müssten entsprechend zollrechtlich angemeldet werden.

Warenlieferungen in die EU wiederum wären als Importe und nicht mehr als innergemeinschaftliche Erwerbe zu deklarieren. Sofern kein neues Handelsabkommen mit Großbritannien geschlossen wird, würden auf den Warenverkehr neben Einfuhrumsatzsteuern reguläre Drittlandzölle erhoben. Der Mehraufwand müsste in künftigen Preisverhandlungen berücksichtigt werden.

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