"Man sollte nur wählen dürfen, wenn man eine Prüfung macht"

Gexi Tostmann vor ihrem Stammhaus in Seewalchen Foto: Neumayr/Leo
Die Unternehmerin über Heimat und Tracht, Kammern und Gewerkschaft, Registrierkassen und Wirte.

Die Trachtenmode-Unternehmerin Gexi Tostmann im Interview im Rahmen der KURIER-Serie "Zweite Republik - war's das?"

KURIER: Sie sind Österreichs wichtigste Vorkämpferin für Tracht. Die hat in der öffentlichen Wahrnehmung viel mit Heimat zu tun. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?

Gexi Tostmann: Heimat ist ein Begriff, dem ich immer distanziert gegenüber gestanden bin. Der hat ja historisch viel mit Treue, Pflicht, Ehre und solchen Begriffen zu tun. Damit kann ich wenig anfangen. Für mich heißt Heimat Freunde. Und Sprache.

Alexander Van der Bellen plakatiert den Begriff "Heimat", der zuletzt eher dem rechten Lager zugerechnet wurde.

Ich habe mir gedacht: Gott sei Dank. Das ist sehr lobenswert und weise. Ich habe immer dafür gekämpft, dass man sich, auch wenn man nicht rechts ist, zu seiner Heimat, zu seiner Region bekennt. Heimat darf man sich nicht von den Rechten nehmen lassen. Genauso wenig wie die Tracht.

Dennoch gibt es so gut wie keine linken Politiker in Tracht.

Ich habe den Grünen oft gesagt: Bitte, tragt’s doch ab und zu ein Dirndl oder einen Steirer. Aber sie hatten immer Hemmungen. Die Einzige, die sich wirklich getraut hat, war die türkische Abgeordnete Alev Korun. Sie spricht auch so ein schönes Deutsch, wesentlich schöner als die meisten Politiker, die verlangen, dass die Flüchtlinge Deutsch lernen müssen. Da denke ich mir immer: Selber lernen!

Als Claus Peymann Burgtheaterdirektor war, hat er gegen die Trachten- und Lodenfraktion gewettert. Da waren wohl auch Sie gemeint?

Ja, natürlich. Wir haben damals eine gemeinsame Bürgerinitiative bestritten. Sehr viele gar nicht rechte Leute, die gesagt haben: Der Peymann ist nicht der Richtige fürs Burgtheater, man sollte ihn als Direktor ablösen, nicht als Künstler. Das hat er nie verstanden, dass das zwei verschiedene Dinge sind. Man hat mich damals ermutigt mitzumachen. Mit dem Argument: Du bist definitiv keine Rechte. Prompt sind wir drinnen gesessen im rechten Eck. Auch der damalige Kulturminister Scholten hat uns attackiert. Wir wurden als Neonazis dargestellt. Dann haben einige jüdische Proponenten von uns gesagt: Das geht zu weit. Wir haben von Scholten verlangt, dass er sich im Parlament entschuldigt. Das hat er dann auch getan.

Sie wurden in den letzten Kriegsjahren geboren, haben Wiederaufbau, Staatsvertrag und alle wichtigen Errungenschaften miterlebt. Geht diese Form der Zweiten Republik zu Ende? Sind wir mitten in einem neuen Wandel?

Ich fürchte. Man müsste versuchen, dass jene, die diese Entwicklung nicht wollen, nun zusammenhalten.

Welche Entwicklung?

Sehr rechts, sich stark einengend, unsozial, unsensibel in Bezug auf wirtschaftliche Entwicklungen. Wir haben ja alle geglaubt: Nach der Zäsur durch die Lehman-Pleite werden alle vernünftiger. Aber nein: Es wird noch schlechter. Dass es so nicht weitergehen kann, spürt man auch bei den Registrierkassen. Da gibt es eine derart massive Ablehnung von den Vereinen, den kleinen G’schäftln. Für unser Geschäft spielt das ja keine Rolle. Aber ein Minister müsste die Größe haben zu sagen: Zehn Prozent Schattenwirtschaft schaffen wir. Das baut auch auf. In Italien sind es, glaube ich, 20 Prozent. Dass dann parallel zur Registrierkassen-Pflicht diese Panama-Geschichten aufgekommen sind, hat die Wut noch verschärft.

Was kommt, wenn diese Zweite Republik zu Ende geht?

Das weiß ich nicht. Es bricht jedenfalls gerade viel zusammen bei der SPÖ und bei der ÖVP. Aber dass man dann nur die FPÖ als Alternative sieht? Da bin ich sprachlos. Ich versuche immer, alle zum Wählen zu animieren. Und nach den Gesprächen sage ich dann oft: Wähle lieber nicht. Eigentlich sollte man nur wählen dürfen, wenn man eine Prüfung macht, dass man wahlreif ist.

Hat das System mit den Kammern Zukunft?

Ich war schon vor 20 Jahren gegen die Zwangsmitgliedschaft. Wenn es die nicht gäbe, müsste man sich viel mehr anstrengen, damit die Leute freiwillig bei den Kammern sind.

Ist die Gewerkschaft am Ende?

Ich finde schon.

Gibt es bei Ihnen Betriebsräte?

Natürlich. Wir hatten immer gerne einen Betriebsrat, weil man da einen Ansprechpartner bei gewissen Problemen, etwa bei Urlauben, hat. Betriebsrat ist für mich so etwas wie ein Klassensprecher und hat mit der Gewerkschaft nicht unbedingt etwas zu tun. Die Gewerkschaft glaubt immer: Sie sind die Chefs. Wir sind nette Chefs, bilden wir uns zumindest ein. Aber es gibt auch furchtbare Unternehmen. Mein Glaube an die Unternehmerkultur wurde durch Volkswagen auch zerstört. Ich habe immer geglaubt: Ja, man muss Gewinne machen. Aber dass man wirklich betrügt – das ist der Niedergang der Unternehmerkultur.

Sie haben einst gegen die Ladenschlusszeiten gekämpft und sich durchgesetzt ...

Aber das Thema hat mich eigentlich nicht interessiert. Als ich dann angezeigt wurde, dachte ich mir: Das geht zu weit, dass ich straffällig werde, weil ich in meinem Geschäft stehe und jemanden reinlasse. Das geht gegen meinen Freiheitsbegriff.

Was halten Sie von Geschäftsleuten wie der Lokalbesitzerin, die vor ihrem Café ein Schild aufstellte, dass Hofer-Wähler bei ihr nicht erwünscht sind?

Ich finde das blöd. Das gehört sich nicht. Ich kann immer sagen, wen ich wähle, aber werde trotzdem einen Rechten, der in mein Geschäft kommt und sich ordentlich verhält, nicht raushauen.

Und wie kommentieren Sie die Aktion jenes Gastwirtes, der die ÖVP-Parteispitze nicht bei sich essen lassen wollte?

Das ist etwas anderes: Das finde ich super. Das waren die Verantwortlichen für das Gesetz mit den Registrierkassen. Das ist ein faires Turnier.

Geht die Zeit der Parteien vorüber? Werden sich SPÖ und ÖVP noch erholen?

Parteien sind überholt. Vielleicht geht es ja politisch zurück ins Mittelalter: Viele kleine Einheiten, dazu eine oberste Instanz in Brüssel. Regional funktioniert es ganz gut, bilde ich mir ein, besser als auf Bundesebene. Und dann kommt die Wirtschaft dazu, die leider auch zum Teil zusammenzubrechen droht. Deshalb bin ich ganz klar für eine Mindestsicherung, sonst werden wir wahrscheinlich Bürgerkrieg haben. Sie darf nur nicht zu hoch sein.

Sind Sie glühende Europäerin?

Ich fühle mich eigentlich als Weltbürgerin. Ich habe keine Berührungsängste mit anderen Kulturen. Gegen die EU bin ich deswegen, weil wir jetzt diese neuen Grenzen aufbauen. Die EU muss offen sein für andere Kulturen und Systeme.

Stichwort Nationalismus: Gibt es bei den Trachten auch versteckten Botschaften wie etwa die Kornblume, die Norbert Hofer getragen hat?

Das war ganz schrecklich mit der Kornblume. Das war gezielt, eine Geheimsprache. Wir hatten früher in unserem Geschäft von Modeschauen so schöne Sträuße beim Eingang, auch mit Kornblumen. Als wir hörten, was das bedeutet, haben wir beschlossen: Die Kornblumen müssen sofort weg. Bei der Tracht waren es die weißen Stutzen zur Lederhose als Erkennungsmerkmal der Nazis. Das wissen offenbar viele Leute immer noch.

Wird es Geschäfte wie Tostmann in zehn Jahren noch geben, da sich ja der Handel immer mehr ins Netz verlagert?

Ganz sicher. Weil die Leute auch froh sind, wenn sie reden können. Kleine Einheiten, small is beautiful, das ist die Zukunft.

Und wie begründen Sie als Unternehmerin, dass Spitzenpositionen immer noch vor allem von Männer besetzt sind?

Die haben halt mehr Zeit.

Zur Person: "Gexi" Tostmann

Gesine Maria "Gexi" Tostmann wurde 1942 in Vöcklabruck geboren und studierte Volkskunde und Geschichte,
ehe sie in die elterliche Trachten-Firma einstieg, die sie ab 1968 leitete. Vor 14 Jahren übergab sie den Betrieb an ihre Tochter Anna. Tostmann Trachten beschäftigt
im Stammhaus Seewalchen und in Wien mehr als 120 Mitarbeiter.
Als ihre erste Tätigkeit nennt Gexi Tostmann heute Großmutter. Danach Mitglied im Komitee für Alexander Van der Bellen, grünes Ersatz-Mitglied im Gemeinderat in Seewalchen (ohne Parteimitgliedschaft) und Beirat im Vorstand der Volkskultur NÖ.

KURIER-Serie: Zweite Republik - war's das?

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