Freie Gewerbe: Kleiner Wurf, große Wirkung

Freie Gewerbe: Kleiner Wurf, große Wirkung
Eine radikale Reform könnte unerwartet drastische Folgen haben, warnt Arbeitsrechtler Mazal.

Aufräumcoach, Wahrsager, Befüller von Sitzsäcken oder Betreiber einer Salzgrotte: So lauten einige der 440 freien Gewerbe in Österreich. Das sind all jene Tätigkeiten, für die ein Unternehmer keine besondere Qualifikation nachweisen muss. Nicht alle davon klingen so exotisch, es zählen etwa auch der Berufsfotograf oder Botendienst (ohne Kraftfahrzeug) dazu.

Jetzt macht sich die Regierung an die Arbeit, die Gewerbeordnung zu entrümpeln. Angekündigt ist, dass es eine einheitliche freie Gewerbeberechtigung geben soll. Bisher galt nämlich: Will ein Unternehmer mehrere dieser Jobs erledigen, muss er mehrere Gewerbescheine lösen. Das erklärt, warum in Österreich auf 609.618 aktive Personen 800.258 Berechtigungen kommen.

Künftig könnte der Unternehmer mit einem Gewerbeschein mehrere der 440 Tätigkeiten ausüben. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner will so die Zahl der Anmeldeverfahren von 80.000 auf 40.000 im Jahr senken.

Ersparnis eher gering

Freie Gewerbe: Kleiner Wurf, große Wirkung
Jede Vereinfachung sei zu begrüßen, das alleine wäre aber noch kein großer Wurf, sagt Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal. Allerdings könnte dieser kleine Schritt dramatische Folgewirkungen auslösen, warnt der Universitätsprofessor im Gespräch mit dem KURIER: "Das österreichische System des Arbeitsrechts baut darauf aus, dass jeder Unternehmer eindeutig einer Teilorganisation der Wirtschaftskammer zugeordnet wird", sagt Mazal. "Ohne klare Zuordnung bricht das Kollektivvertragssystem in sich zusammen."

Das heißt: Wollte die Regierung die freien Gewerbe zur Gänze aus der bisherigen Kammerorganisation lösen, müsste sie das Arbeitsrecht großflächig ändern. "Das ist nicht anzuraten", sagt der Experte. Dann wäre der Gewerbetreibende keinem oder einem beliebigen Kollektivvertrag (KV) unterstellt. Oder es müsste mit dem ÖGB ein neuer KV verhandelt werden, der schlimmstenfalls 440 Lohngruppen umfassen würde. "Das wären alles sehr eigenartige Effekte", so Mazal.

Der Arbeitsrechtler rät deshalb dringend, dass der Gewerbetreibende gleich bei der Anmeldung klären muss, welche Tätigkeiten er auszuführen gedenke. Wenn er das nicht wisse, werde er wohl nicht weit kommen.

Die Kostenersparnis durch die einfache Anmeldung sei überschaubar: Bisher musste ein Unternehmer, der drei Fachverbänden angehörte, die Grundumlage der Wirtschaftskammer drei Mal bezahlen; meist zwischen 100 und 300 Euro pro Jahr. Wer daran unternehmerisch scheitere, bewege sich ohnehin auf dünnem Eis. Da bereite die Sozialversicherung den Kleinunternehmern viel mehr Probleme.

Echter großer Wurf

Wenn die Anmeldung nicht das vordringliche Thema ist, was wäre dann ein großer Wurf? Die reglementierten Gewerbeberechtigungen sollten so breit gefasst werden, dass sie Tätigkeitprofile umfassen, die wirklich der Realität entsprechen, rät Mazal. Dann würde dem Gebäudereiniger keine Anzeige mehr blühen, sobald er in einem gesonderten Auftrag Vorhänge wäscht. Und die zentrale Frage einer Reform wäre, für welche Gewerbe überhaupt Befähigungsnachweise nötig sind.

Herumgedoktert wurde schon viel, an einer echten Reform der Gewerbeordnung haben sich aber etliche Regierungen die Zähne ausgebissen. Worum geht es? Den 440 freien Gewerben darf ein Unternehmer nachgehen, ohne eine Qualifikation nachzuweisen. Für 80 reglementierte Gewerbe (von Arbeitsvermittler bis Rauchfangkehrer, von Reisebüro bis Zahntechnik) braucht es Befähigungsnachweise. Das kann eine Konzession sein, die Meisterprüfung oder einschlägige Berufserfahrung.

Gründe für eine Reform

Die Gewerbeordnung ist jahrzehntelang gewuchert. Viele der Gefahren für Leib und Leben, die einst kritisch waren, seien heute obsolet, sagt die liberale Denkfabrik Agenda Austria und will die Liste der reglementierten Gewerbe von 80 auf 15 reduzieren. Eine Reform könnte die Kosten und Bürokratie für Firmengründer reduzieren.

Kritiker der Gewerbeordnung bemängeln, dass die starren Regeln Konkurrenten am Eintritt in den Markt hindern. Das führe zu weniger Wettbewerb und somit höheren Kosten für die Verbraucher. Gute Unternehmer würden sich auf dem Markt ohnehin durchsetzen.

Die Vorbehalte dagegen

Erfahrungen aus Deutschland zeigen: Werden reglementierte Gewerbe liberalisiert, versuchen viele Einzelkämpfer ihr Glück in der Selbstständigkeit. Es entstanden unzählige Ein-Personen-Unternehmen.

Die Bundessparte Gewerbe und Handwerk sorgt sich dabei um die Lehrlinge: Wer kann das Wissen an die nächste Generation weitergeben, wenn immer weniger Gewerbetreibende eine Meisterprüfung ablegen? Der Konsument könne sich nicht sicher sein, qualitätsvolle Arbeit zu erhalten. Und die Freigabe benachteilige alle "Alteingesessenen", die höhere Hürden nehmen mussten.

Finanziell spüren würde die Reform die Wirtschaftskammer, die weniger Umlage erhalten würde. Dem sollte aber nicht das primäre Interesse gelten, das sei ein "kammerinternes Thema", sagt Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal.

KURIER: Die Regierung plant einen einheitlichen Gewerbeschein für alle 440 freien Gewerbe. Was bedeutet das aus arbeitsrechtlicher Sicht?

Wolfgang Mazal: Jede Verwaltungsvereinfachung ist zu begrüßen. Das österreichische System des Arbeitsrechts baut allerdings darauf auf, dass jeder Unternehmer eindeutig einer Teilorganisation der Wirtschaftskammer zugeordnet wird. Diese muss wissen, was ein Unternehmer ungefähr tut, weil davon abhängt, dass der richtige Kollektivvertrag angewendet wird. Ohne klare Zuordnung bricht das Kollektivvertragssystem in sich zusammen.

Wäre ein freies Gewerbe ganz ohne Zuordnung zu einem Fachverband der Wirtschaftskammer denkbar?

Das würde eine Folgewirkung erzeugen, die wirklich dramatisch wäre: Dazu müsste das Arbeitsrecht großflächig geändert werden. Das ist nicht anzuraten.

Was würde eine solche radikale Freigabe auslösen?

Dann hat der Gewerbetreibende entweder überhaupt keinen Kollektivvertrag. Oder es würden nach Beliebigkeit Kollektivverträge angewendet, die verschiedene der angemeldeten Gewerbe abdecken. Oder, die dritte Möglichkeit: Man müsste mit dem ÖGB einen Kollektivvertrag verhandeln, der im Worst Case 440 Lohngruppen enthält. Das wären alles sehr eigenartige Effekte.

Wie könnte dann die Neuregelung der freien Gewerbe klappen?

Genau das ist die Frage. Irgendwann und irgendwo muss der Gewerbetreibende bekannt geben, welche Tätigkeit er entfalten will. Dies sollte am besten gleich bei der Anmeldung und nicht in einem späteren Schritt erfolgen. Ganz ehrlich: Wenn ein Unternehmer am Anfang nicht weiß, was er tun möchte, wird er vermutlich nicht weit kommen. Irgendwann müsste er es ohnehin definieren. Eine umfassende Gewerbeberechtigung und eine spätere Konkretisierung wäre eine Verdoppelung der bürokratischen Vorgänge – und wenig sinnvoll.

Was wäre daran so negativ?

Wenn sich im Nachhinein oder im Zuge einer Beitragsprüfung herausstellt, dass nach dem falschen Kollektivvertrag bezahlt wurde, ist das für alle Beteiligten schlimm. Für den Unternehmer, der womöglich mit großen Nachforderungen konfrontiert ist, weil er sich falsch eingeschätzt hat. Für die Arbeitnehmer, falls das Unternehmen pleite geht. Und für die Kassen, die dann bei den Beiträgen durch die Finger schauen. Deshalb ist dringend zu empfehlen, eine Zuordnung im Vorhinein zu machen, damit jedem klar ist, wie die Lohnkosten zu kalkulieren sind.

Besteht die Gefahr eines KV-Shopping? Dass also unter mehreren Optionen die günstigste herausgepickt wird?

Im derzeitigen System nicht. Die Kammer überprüft die Zuordnung und es gibt Kontrolldruck durch die Konkurrenz. Ich kenne etliche Fälle, wo Leute angezeigt wurden – so gab es vor Jahren einen Gebäudereiniger, der Probleme erhielt, weil er Vorhänge gewaschen hat. Auch Gewerkschaft, Betriebsrat und Arbeiterkammer haben Möglichkeiten. Und dann gibt es natürlich Beitrags- und Steuerprüfungen.

Wie läuft das jetzt ab, wenn ein Unternehmer mehrere freie Gewerbe betreiben will?

Deckt ein Gewerbe mit seinen Nebenrechten (z.B. Handel) die anderen Gewerbe ab, reicht eine Anmeldung, sonst nimmt er die Anmeldung bei mehreren Fachverbänden vor. Dann muss bestimmt werden, welcher Kollektivvertrag anzuwenden ist - dafür gibt es im Gesetz klare Bestimmungen.

Heißt das, dass de facto jetzt auch schon eine klare Festlegung stattfinden muss?

Das hängt von der Organisation ab. Wenn der Unternehmer drei unterschiedliche Gewerbe an drei Standorten anmeldet, wendet er drei Kollektivverträge an. Bei einer Mischtätigkeit an einem Standort wird geprüft, was er überwiegend macht.

Was halten Sie generell von der Idee, die 440 freien Gewerbe mit einem einzigen Gewerbeschein zu ermöglichen?

Ob jemand die Berechtigungen für fünf, zwanzig oder dreißig freie Gewerbetätigkeiten zusätzlich erhält, ist an sich völlig egal. Er muss nur von Anfang an sagen, wovon er Gebrauch macht. Die Anmeldung ist im Übrigen nicht das große Thema. Ich glaube, da hätten wir in der Gewerbeordnung und für Unternehmensgründer in Österreich größere Probleme zu lösen.

Immerhin würden dadurch die Kosten sinken, oder?

Konkret geht es darum, dass der Unternehmer für drei Fachverbände drei Mal die Grundumlage zahlen muss. Diese beträgt in den meisten Fällen zwischen 100 und 300 Euro pro Jahr. Wenn er daran scheitert, bewegt er sich vermutlich ohnehin auf dünnem Eis; ökonomisch größere Probleme haben Kleinunternehmer mit der Sozialversicherung, nicht mit der Kammer.

Für die Wirtschaftskammer spielen diese Beiträge vermutlich sehr wohl eine Rolle.

Das ist ein kammerinternes Thema und sollte in der Diskussion aus Sicht des Staates nicht primäres Anliegen sein, wenn es um Systemfragen geht.

Wie müsste denn ein großer Wurf zur Reform der Gewerbeordnung aussehen?

Das ginge meines Erachtens anders: Dafür müssten die reglementierten Gewerbeberechtigungen breiter gefasst werden, sodass sie Tätigkeitsprofile umfassen, die auch wirklich der Realität entsprechen. Damit auch der Gebäudereiniger künftig nicht mehr unzulässig handelt, wenn er in einem gesonderten Auftrag die Vorhänge wäscht. Und die zentrale Frage lautet natürlich: Für welche Gewerbe braucht man künftig noch Befähigungsnachweise?

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