Wie sich die Einkaufskanäle verbinden

Wie sich die Einkaufskanäle verbinden
Bisher fand Handel im Geschäft vor Ort oder online statt. Dank Smartphones beginnen sich die Grenzen aufzulösen – Herausforderung und Chance für den heimischen Handel.

Seit es Smartphones gibt, hat sich der Recherche- und Einkaufsprozess von Konsumenten erheblich verändert. Egal ob zu Hause, unterwegs oder in Geschäften – es wird überwiegend auf mobilen Endgeräten nach Produkten gesucht. Die aktuelle "Seamless Retail"-Studie von Accenture hat nicht nur gezeigt, dass weltweit 71 Prozent der Käufer daran interessiert sind, mit dem Smartphone zu bezahlen, sondern ganze 78 Prozent im Geschäft auch Testberichte und Bewertungen abrufen wollen. Aktuell bieten nur 14 Prozent der Händler QR Codes oder Digital Signage (Beschilderung) an, um Produktinformationen zur Verfügung zu stellen.

Rainer Will, Geschäftsführer des heimischen Handelsverbandes sieht die heimischen Händler hier unter Druck, da es durch den Onlinehandel und internationale Konkurrenz auch einen Kaufkraftabfluss ins Ausland gibt: "Die österreichischen Händler kämpfen an mehreren Fronten. Auf der einen Seite steht die internationale Konkurrenz, die vor allem Online einen großen Teil des Kuchens aus dem Land schafft. Das führt zu einem volkswirtschaftlich schädlichen Kaufkraftabfluss. Auf der anderen Seite müssen die Handelsunternehmen mit überbordender Bürokratie, hohen Lohnnebenkosten und wettbewerbshindernden Auflagen und Regulierungen kämpfen. Und all das in einem ohnehin schwierigen Umfeld der Transformation."

Allerdings steht eines fest: Egal in welcher Branche, im Internet wird es immer ein größeres Angebot oder einen besseren Preis als beim Händler um die Ecke geben. Der stationäre Handel muss also Kunden anderweitig ansprechen.

Neben qualifizierter Fachberatung spielt generell das Einkaufserlebnis im Geschäft eine große Rolle. Dazu gehört auch immer mehr Omni-Channel: Der stationäre Handel bietet zum Beispiel an, dass im Geschäft vor Ort gekaufte Ware zeitnah nach Hause geliefert wird. Andere ermöglichen es online gekaufte Güter im Laden nochmal anzusehen oder persönlich abzuholen. Die Bereiche wachsen zusammen. "Es ist essentiell, dass Loyalityprogamme on- und offline Gültigkeit haben, da der Kunde nicht mehr zwischen beiden unterscheidet. Seamless Commerce muss auch in diesem Bereich gelebt werde", konkretisiert Rainer Will.

Wie sich die Einkaufskanäle verbinden

Automatische Einkaufsliste

Spätestens mit dem Siegeszug des Smartphones ist eine Trennung zwischen Online und Offline hinfällig. Denn das Internet zieht sich durch unser ganzes Leben – und wird durch die steigende Anzahl der "Connected Devices" immer präsenter: Inzwischen gibt es neben internetfähigen Fernsehern, Laptops und Smartphones eine Vielzahl von Wearables wie etwa Smartwatches, Autos oder auch Kühlschränke, die mit dem Internet verbunden sind. Das Forschungsinstitut Gartner prognostiziert: Im Jahr 2020 wird es 25 Milliarden "Connected Devices" auf der Welt geben. Und manche von diesen werden auch automatisiert einkaufen oder zumindest die Einkaufliste auf dem Smartphone automatisiert befüllen.

Wichtig wird es dabei sein, diese Einkaufsprozesse kundenfreundlich zu gestalten. Heute finden laut Accenture nur 36 Prozent der Konsumenten, dass mobiles Einkaufen einfach ist. Naheliegend entstehen so entlang der so genannten Customer Journey immer mehr neue Services und Drittanbieter deren Ziel es ist, durch ihre innovativen Dienstleistungen den Konsumenten ihre Wünsche zu erfüllen.

Dies unterstützt auch der Handelsverband: "Viele Start-ups und innovative Betriebe helfen dem Handel dabei mit der Disruption umzugehen und konkurrenzfähig zu bleiben. Das ist auch gut so. Im Handelsverband fördern wir das einerseits durch die Partnerstruktur, in deren Rahmen wir ausgewählte Dienstleister des Handels mit unseren Mitgliedern zusammenbringen, andererseits durch unseren internen Arbeitskreis 'Innovation im Handel', in dem wir regelmäßig über die neuesten Innovationen informieren und sich die Händler untereinander austauschen können."

- von Martin Mühl/Stefan Kluger

An den Schnittstellen von Einkauf vor Ort im Laden und Online-Services entwickeln sich Konzepte wie Peary, einer App von Alexander Lechner und Sascha Kovacs, zwei Studierenden der Graphischen in Wien. Ihre App soll viele Ideen in diesem Bereich vereinen und den Einkauf digitaler und individueller machen. Dazu gehören einfach verwaltbare Einkauflisten auf dem Smartphone und das Bezahlen, bei dem die Strichcodes der Waren selbst eingescannt und per Smartphone bezahlt werden. Dazwischen gibt es ein Indoor-Navigationssystem, das die Einkäufer zum gewünschten Regal führt, spezielle Rabatte und Angebote für Peary-Nutzer und diverse Modelle der Kundenbindung.

Bereits angedacht sind außerdem automatisierte Machine-2-Machine Benachrichtigungen, wenn im Kühlschrank ein Produkt zu Ende geht oder das Ablaufdatum bald erreicht wird. Und natürlich könnte die App irgendwann Einkaufen rund um die Uhr erleichtern. Noch ist vieles davon Zukunftsmusik, aber an diesen Services wird bereits gearbeitet. Lechner und Kovacs haben das Projekt im Rahmen ihrer Diplomarbeit auf der Graphischen entwickelt und gründen daraus nun ein Start-up mit internationalen Ambitionen.

Wo liegt Ihrer Meinung nach der größte Kundenbedarf?

Alexander Lechner: Wir halten ständig Ausschau nach Problemen, die man vereinfacht lösen könnte; Supermärkte sind voll davon. Angefangen von den Wartezeiten an der Kassa bis hin zur Suche des gewünschten Produkts. Wir empfinden es als Zumutung für einen 2 Minuten Einkauf 6 Minuten an der Kassa zu warten.

Gibt es schon Interesse und Feedback vom Handel?

Das Interesse der Kunden ist sehr groß, das Interesse der Händler scheinbar nicht. Disruptive Innovationen entstehen eben nicht in etablierten Firmen wie z.B. bei Retailern.

Wie wirken sich die fortschreitende Digitalität und Mobilität auf den Handel aus?

Rainer Will: Die technologische Entwicklung und die Digitalisierung verändern den Handel rapide. Der Internet-Einzelhandel wächst um 7 Prozent und ist damit der Wachstumsmotor des Handels. Das Smartphone treibt nicht nur den E-Commerce voran, sondern verändert auch den Einkauf im stationären Handel. Omni-Channel entwickelt sich vom Schlagwort zur Überlebensstrategie. Wir sehen aktuell disruptive Entwicklungen, die in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch weiter an Fahrt aufnehmen werden. Den klassischen Einzelhandel und in weiterer Folge womöglich auch die Struktur unseres Wirtschaftssystems und unserer Gesellschaft.

Welche Auswirkungen hat das mobile Bezahlen auf den Handel?

Bezahlen am POS ist eine nicht vermeidbare Notwenigkeit für den Kunden und Teil der Customer Journey. Diesen Teil des Kaufprozesses zu individualisieren, zu verkürzen und zu vereinfachen, bringt dem Kunden und Händler Vorteile. Innovationen wie kontaktloses Bezahlen mittels NFC, Smartphone-Payment und die schon länger akzeptierten Bankomat- und Kreditkarten finden immer mehr Nutzer.

Welche Vor- oder Nachteile haben heimische Anbieter gegenüber internationalen Konkurrenten?

Der große Vorteil für Österreich liegt am durchaus hohen Ausgangsniveau als angesehener Wirtschaftsstandort. Das bringt mich aber auch schon zu den Nachteilen. Während andere Nationen an Attraktivität zulegen und sich an die neuen Anforderungen der digitalen Wirtschaft angepasst haben, hinken wir in Österreich etwas nach. Verglichen mit anderen EU-Mitgliedsstaaten, haben Unternehmer bei uns mit einem überregulierten, kostenintensiven, strukturell starren und veralteten System zu kämpfen. Um in der Sprache der Digitalisierung zu bleiben: Österreich benötigt ein Update!

Entstehen rund um den Handel auch neue Services?

Ja, in diesem Bereich tut sich sehr viel. Denken wir nur an die Bereiche Logistik, Payment, Virtual Reality, Robotik und vieles mehr. Viele Start-ups und innovative Betriebe helfen dem Handel dabei mit der Disruption umzugehen und konkurrenzfähig zu bleiben. Im Handelsverband fördern wir das.

Welche Rolle spielen die reglementierenden Behörden?

Der finanzielle wie personelle Aufwand, den Handelsbetriebe für die Abwicklung bürokratischer Auflagen leisten müssen, ist enorm. Bei der Urheberrechtsabgabe und den Lohnnebenkosten sind wir europaweit Abgabenkaiser und erzeugen auch enorme Bürokratie durch die komplexe Tarifsetzung und Anwendung im Arbeitsrecht. Den Betrieben obliegen unzählige Schulungs-, Melde- und Kontrollpflichten, die zum Teil je Filiale und Bundesland variieren. Der Behördenfokus muss von "bestrafen" auf "beraten" verschoben werden. Wir müssen aktiv in die Zukunft investieren und nicht nur darauf hoffen, dass eh alles gut wird. Für jede neue Regulierung müssen zwei alte abgeschafft werden.

- von Martin Mühl

Kommentare