"Wachstumsfreunde aller Länder, vereinigt euch!"

Produktion von Elektronikteilen in Suzhou, China: Arbeiten für ein erfülltes Leben?
Ökonomen verteidigen den Kapitalismus – unbeirrt von Umweltsorgen, Gier und Ausbeutung.

Aufwieglertum wäre so ziemlich das Letzte, das man Christian Helmenstein nachsagen kann. Deshalb hat es fast komische Züge, wenn der Chefökonom der Industriellenvereinigung, sonst die Sachlichkeit in Person, zu Revolutionsparolen greift. "Wachstumsfreunde jenseits aller Länder und Parteien, vereinigt euch!" In diesem (ironischen) Echo auf das Kommunistische Manifest gipfelte Helmensteins Brandrede für den Kapitalismus.

Ort des Schauspiels: die Oesterreichische Nationalbank. Dort stellte der Wirtschaftshistoriker und Ökonom Felix Butschek bei einer Podiumsdebatte sein jüngstes Buch vor (siehe unten). Es ist eine nicht minder leidenschaftliche Verteidigung des mitteleuropäischen Wirtschaftssystems gegen seine Kritiker geworden.

Gier doch gut?

Butschek trifft einen empfindlichen Nerv – wenn auch nicht jenen einer großen (oder zumindest lautstarken) Bevölkerungsgruppe. Das Buch sei "sicherlich nicht im Mainstream der gesellschaftlichen Diskussion", stellte Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny fest.

Butscheks Buch wird bei Vielen als blanke Provokation ankommen. Seit der Dauerkrise, die die Weltwirtschaft seit 2008 durchrüttelt, ist es schick geworden, den Kapitalismus zu geißeln. "Die Gier nach Mehr, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, erbarmungslose Konkurrenz – für all das soll der Kapitalismus prägend sein", sagte Butschek. Diese Vorwürfe seien seit John Stuart Mill, seit 150 Jahren, dieselben geblieben. Dabei sei die Arbeit für die Menschen der zweitwichtigste Glücksfaktor – gleich nach der partnerschaftlichen Beziehung.

Es gibt keinen Wachstumszwang, der den Menschen auferlegt wird, befand auch Helmenstein. Im Gegenteil: Kreative Menschen würden von sich aus nach Erfindung, Innovation, Effizienz streben – also dem, was die Wirtschaft voranbringt.

1700 Jahre Krise

Wachstum sei dabei kein Selbstzweck. Der Mensch habe aber Wünsche – nach Konsum in Form von Gütern und Dienstleistungen oder Balance von Arbeit und Freizeit. Dieses Streben sei genau das, was wir üblicherweise als Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) messen, sagt der Industrie-Vertreter. Kein ideales Maß für das Wachstum, aber: "Wir haben noch keinen besseren Indikator gefunden."

Im Moment ist der Norden erfolgreicher als der Süden. Was aber nicht ewig so bleiben muss. "Wachstum kann man verlieren", warnte der IV-Ökonom. Vor 2000 Jahren sei das ökonomische Zentrum im Süden gewesen. Nach dem Römischen Reich sei Europa in eine "1700 Jahre lange Wirtschaftskrise" gestürzt. Im Mittelalter habe der arabische Raum als sehr fortschrittlich gegolten, etwa bei der Medizin, ergänzte Butschek: "Seither hat sich nichts mehr getan."

Kein Wunder, lieferte Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, umgehend eine Erklärung: "In kreativen Gesellschaften nehmen Frauen teil am Wirtschaftsleben. Diese Aufklärung hat im arabischen Raum nicht stattgefunden." Das Auditorium dankte es mit Beifall. Zumindest dessen weiblicher Teil.

Den Fortschrittsoptimismus kann Vogel nicht völlig teilen. So sei der Klimawandel ein Faktum, über das sie nicht mehr diskutiere. Natürlich stoße das Wachstum an Grenzen, die Tragfähigkeit der Biosphäre sei begrenzt: "Die Erde wird weiterbestehen, aber ein komfortables menschliches Dasein braucht eine gesunde Natur."

Deshalb zahle es sich aus, unseren Reichtum zu teilen, plädiert Vogel: "Die Sorge um die Umwelt ist eine Sache für die Starken dieser Welt. Die Schwachen können es sich gar nicht leisten."

Ökologen übertreiben

Ja, es gibt Probleme. Aber die werden von den Ökologen krass überzeichnet, findet Butschek: "Es hat sich viel getan. In meiner Jugend waren Österreichs Seen mit Rotalgen belastet. Heute haben sie Trinkwasserqualität."

Und was ist mit den begrenzten Ressourcen? Das unterschlage, dass der Kapitalismus auf Knappheit reagiert, mit höheren Preisen oder Technologiesprüngen.

Oft ist zu hören: Wir brauchen qualitatives, nicht quantitatives Wachstum – also besser statt mehr. "Damit kann ich nichts anfangen. Jedes Wachstum ist qualitativ", kontert Butschek. Produkte würden gar nicht nachgefragt, wenn sie nicht gut wären – eine strikt marktwirtschaftliche Argumentation. Eine Wirtschaft ohne Wachstum kann er sich indes schwer vorstellen. Das müsse in Planwirtschaft münden.

Und wer sollte das wollen, Europas Reichtum gebe dem Kapitalismus doch recht. "Das ist der europäische Mensch. Und so soll er bleiben." Dass die Wachstumskritik auf so fruchtbaren Boden fällt, wundert Butschek indes nicht: "Der Österreicher hat große Lust an der Muße. Nicht solange er arbeitet, aber sobald es um die Frühpension geht."

Der alte Mann und das Mehr – Antwort auf die Wachstumskritik

"Wachstumsfreunde aller Länder, vereinigt euch!"
Felix Butschek wurde 1932 in Brünn geboren. Er arbeitete im Sozialministerium und war Sekretär von Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ). 1962 kam Butschek an das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), wo er 25 Jahre lang tätig war, zuletzt als stellvertretender Leiter. Aktiv geblieben ist er aber weit über die Pension hinaus.
Der Autor von Standardwerken zur österreichischen Industrie- und Wirtschaftsgeschichte meldete sich auch häufig zu politischen Themen zu Wort. Die Reformpolitik der schwarz-blauen Regierung begrüßte er, trotz grundsätzlicher Distanz.

Felix Butschek: Wirtschaftswachstum. Eine Bedrohung? Böhlau 2016, 148 S., 30 Euro.

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