CETA und Mordio um Mitspracherechte

CETA und Mordio um Mitspracherechte
Kommission will nationale Parlamente umgehen – Juncker: "Österreichischer Klamauk".

Die Wogen gehen hoch: Die EU-Kommission will - wie berichtet - das Handelsabkommen CETA mit Kanada durchwinken, ohne die nationalen Parlamente zu befragen.

"Eine juristische Analyse ist zu dieser Auffassung gekommen. Mir persönlich ist das schnurzegal", sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch vor Journalisten. Und zwar leicht genervt und auf Deutsch. Der Grund: In Österreich und Deutschland ist der Widerstand gegen die Handelsabkommen mit den nordamerikanischen Ländern am heftigsten. Der Vorwurf, er vergreife sich damit an der Demokratie, sei "österreichischer Klamauk".

Juncker nannte CETA das beste Handelsabkommen, das die EU je abgeschlossen habe. Zudem habe keiner der Regierungschefs auf dem EU-Gipfel inhaltlich daran etwas auszusetzen gehabt.

"Juncker entfernt sich mit jedem Tag mehr von der europäischen Bevölkerung", kritisierte indes Hans Peter Doskozil, Vizeparteichef der SPÖ: "Wenn er meint, dass die nationalen Parlamente nicht über CETA entscheiden sollen, ist er völlig am Holzweg, das ist inakzeptabel."

Wer muss bei Handelsabkommen zustimmen?

Seit dem Vertrag von Lissabon hat die EU-Kommission weitreichende Befugnisse, Freihandelsabkommen im Auftrag der EU-Länder auszuhandeln. Sofern darin nur "reine" Handelsthemen wie Zölle oder der Marktzugang berührt sind, müssen die nationalen Parlamente nicht konsultiert werden ("EU only"). Der Rat der 28 (bald 27) Regierungschefs und das EU-Parlament müssen aber auf jeden Fall zustimmen. Wobei nicht einmal juristisch restlos geklärt ist, ob eine einstimmige Mehrheit im Rat nötig wäre oder eine qualifizierte Mehrheit ausreicht - selbst hierbei gehen die Expertenmeinungen auseinander.

Wann werden die nationalen Parlamente befragt?

Wenn ein Handelsvertrag in Bereiche eingreift, für die die einzelnen Staaten zuständig sind, spricht man von einem "gemischten Abkommen". Diese Punkte müssen dann den nationalen Parlamenten zur Abstimmung vorgelegt werden.

Ist CETA so ein "gemischtes" Abkommen?

Vieles spricht dafür. Die EU-Kommission selbst hat CETA immer als sehr ambitioniert bezeichnet. Im Verhandlungsmandat von 2011 steht ausdrücklich das Ziel, einen Investitionsschutz in "gemischter Verantwortung" auszuhandeln. Auch ein Gutachten der österreichischen Parlamentsdirektion wertet CETA als gemischt. Die Investitionsbestimmungen, der Eigentums- und Arbeitsschutz oder die Anerkennung von Berufsqualifikationen seien eindeutig nationale Materien, sagte Arbeiterkammer-Expertin Eva Dessewffy. Der EU-Gerichtshof befasst sich übrigens genau mit dieser Frage, was bei Handelsabkommen nationale, gemischte oder EU-Kompetenz ist - und zwar am Beispiel des Singapur-Abkommens. Wann das Urteil kommt, ist allerdings noch offen.

Wie argumentiert die EU-Kommission?

Juncker beruft sich auf die Rechtsmeinung seiner Juristen. „Ich werde allerdings nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben“, kündigte er an. Er hätte rechtlich allerdings gerne eindeutig belegt, dass CETA kein reines EU-Abkommen ist. Dahinter steht aber natürlich auch die Überlegung, dass es für die Kommission faktisch unmöglich würde, künftig Handelsverträge für die ganze EU auszuhandeln, wenn jedes einzelne von 28 (bald 27) Ländern mitreden will. Oftmals drohen dann nationale Eigeninteressen das Ganze auszuhebeln. Etwa das Kuriosum der vier belgischen Regionalparlamente, wo sich eines auf ein Nein festgelegt hat. Oder Bulgarien und Rumänien, die Visa-Erleichterungen für ihre Bürger in Kanada rausschlagen wollen.

Was wäre, wenn ein Parlament Nein sagt? Wäre damit CETA als Ganzes gestoppt?

Nein. Das übliche Vorgehen ist, dass die reinen Handelsteile "vorläufig angewendet" werden. Die Zoll- und Marktzugangskapitel könnten also gelten, bevor das Abkommen offiziell ratifiziert ist – und das auch auf Dauer. Beim EU-Südkorea-Pakt war das der Fall: Er wurde ab Juli 2011 vorläufig angewendet, obwohl er erst im Dezember 2015 wirklich in Kraft trat.

Was bedeutet der Streit für TTIP, das umstrittene Abkommen mit den USA?

"Unglaublich töricht" nannte Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Haltung der Kommission: "Das dumme Durchdrücken von CETA würde alle Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen explodieren lassen." Wenn die Brüsseler Behörde das bei CETA durchziehe, "ist TTIP tot". In Österreich sieht WIFO-Chef Karl Aiginger keine Chancen mehr für TTIP – er plädiert für ein abgespecktes "TTIP light".

Wie sieht der weitere Fahrplan für CETA ab?

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, erst am 5. Juli legt die Kommission ihre Rechtsmeinung vor. Die förmliche CETA-Unterzeichnung wäre für den EU-Kanada-Gipfel am 17. Oktober geplant. Danach würde im EU-Parlament abgestimmt.

Quellen/Dokumente: Den Text des CETA-Verhandlungsmandates finden Sie hier, das Gutachten der Parlamentsdirektion zu CETA hier, eine Studie von ÖFSE und AK zu den erwarteten CETA-Effekten hier, Informationen der EU-Kommission zu CETA hier, die 1598 Seiten des CETA-Textes (englisch) hier.

Die Verhandlungen über das „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ begannen 2009, seit September 2014 liegt der Text vor. Fast 99 Prozent der Zölle würden fallen, Europas Firmen sollen sich fast 500 Mio. Euro Kosten pro Jahr ersparen.

Kanada lag 2015 auf Platz 11 der EU-Handelspartner und Platz 22 für Österreich. Heimische Exporteure erzielen satte Überschüsse: 1,03 Mrd. Euro Ausfuhren, 437 Mio. Einfuhren.

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