Buhlt EU bald um Wirtschaftsmacht Türkei?

Buhlt EU bald um Wirtschaftsmacht Türkei?
Bislang wurde die Türkei in EU-Beitrittsverhandlungen auf die lange Bank geschoben. Doch Wirtschaftswachstum macht das Land attraktiver.

Seit dem Oktober 2005 verhandelt die Türkei über eine Aufnahme in die EU – bislang erfolglos. Nur schleppend kamen die Beitrittsgespräche voran. Brüssel hat immer wieder auf mangelnde Reformen im Land verwiesen – auf den ungelösten Streit mit Zypern etwa. Die Regierung in Ankara weigert sich, ihre Häfen und Flughäfen für das EU-Mitglied Zypern zu öffnen.

Ankara wiederum beklagt, dass die EU ständig neue Hürden für eine Aufnahme errichte. Statt einer Vollmitgliedschaft befürworteten Deutschland und Frankreich, ebenso wie Österreich, eine „priviligierte Partnerschaft“.

Nun aber könnte sich das Blatt in den Beitrittsgesprächen wenden, meinte Marco Garcia, Wirtschaftsdelegierter der Wirtschaftskammer in Istanbul am Donnerstag. Denn die Verhandlungsposition der Türkei habe sich gebessert.

Wirtschaftsentwicklung

Vor allem die Wirtschaftsentwicklung stärke die Rolle des Landes. Denn der Konjunkturmotor brumme laut Marco Garcia derart stark, dass der EU-Beitritt für die Türken zunehmend unattraktiv wird: "Ein Beitritt könnte scheitern, weil am Ende des Tages die Türkei nicht mehr will". Europa sei zwar nach wie vor der wichtigste Handelspartner, die Wachstumsmärkte aber lägen woanders, so der Wirtschaftsdelegierte – nämlich im arabischen Raum oder etwa in Russland. Außerdem garantiere die bestehende Zollunion zwischen der Türkei und Europa bereits gute Handelsbedingungen.

Für die EU wiederum ist die Türkei nicht nur wirtschaftlich von Interesse - während der Krise kam keine einzige Bank ins Strudeln - sondern auch wegen der geografischen Lage. "Europa könnte mit einem Beitritt der Türkei vorzeigen, wie friedliches Zusammenleben zwischen den Kulturen funktioniert. Andererseits könnte die EU gleichzeitig ihre Stellung in der Region verbessern", sagte Garcia.

Nach einem Wirtschaftswachstum von knapp neun Prozent 2010 wuchs das BIP der Türkei im Vorjahr erneut um 8,5 Prozent und damit weit stärker als die prognostizierten 4,5 Prozent. Für das Jahr 2012 werden vier Prozent Wachstum erwartet, was auf einen Rückgang der Exporte nach Europa zurückzuführen sei.

Österreich und die Türkei

Knapp die Hälfte des türkischen Handels entfällt auf Europa. Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielt Österreich. So stiegen im Vorjahr die Exporte um 17,6 Prozent auf 1,3 Mrd. Euro. Die Importe kletterten um 17,9 Prozent und knackten erstmals die 1 Mrd. Euro Schwelle.

Hinzu kommt, dass Österreich im Jahr 2011 zum dritten Mal in Folge der wichtigste Auslandsinvestor in der Türkei war. Im Wert von 1,77 Mrd. Euro wurde investiert. Von wem die großen Investitionen kamen, sei laut Garcia allerdings nicht ganz nachvollziehbar.

Für kleine und mittlere Unternehmen, die in die Türkei gehen wollen, empfiehlt Garcia, sich zuerst auf Istanbul zu konzentrieren. Die Kaufkraft in der 15-Millionen-Metropole sei um 70 Prozent höher als am Land und liege damit über Bulgarien oder Rumänien. Allerdings sei die Konkurrenz in der Türkei besonders hart, die staatlichen Interventionen gering. Darauf müsse man gefasst sein.

Die Wirtschaftskammer betreut in der Türkei etwa 250 bis 300 Firmen, beispielsweise die OMV, Verbund, baumax, Mondi oder Mayr Melnhof. Auf sie kämen gute Zeiten zu, so Garcia.

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