Russland mit italienischem Stil

Nah dran: Aleksandr Kokorin ist einer der in Westeuropa wenig bekannten Könner, die im russischen Team das ausgeklügelte System von Trainer Capello umsetzen sollen.
Tirols ehemaliger Tormann Tschertschessow analysiert das russische Team.

Es ist dieser Tage nicht ganz einfach mit Stanislaw Tschertschessow ins Gespräch zu kommen. Eines der drei Mobiltelefone, die der Trainer von Dynamo Moskau mit sich führt, bimmelt fast immer und dann kann man Ohrenzeuge werden, wie der Ex-Torhüter lästige Spieleragenten pariert. Njet brummt Tschertschessow ins Telefon, während schon wieder ein anderes Handy aufblinkt.

Während die Fußballwelt nach Brasilien blickt, ist der langjährige Tormann des FC Tirol bei seinem Heimatbesuch mit den Gedanken ständig in Russland. Schon in wenigen Tagen startet Stanislaw Tschertschessow mit Dynamo Moskau die Vorbereitung in die neue Saison und der 50-Jährige, der erst seit April beim Traditionsverein im Amt ist, bastelt noch am Team, das sich im August für die Europa League qualifizieren soll. Für die WM bleiben da nur Seitenblicke, obwohl Dynamo Moskau durchaus viel Schwung in die russische Nationalmannschaft bringt. Tschertschessows Verein stellt mit sechs Spielern das Gros im Aufgebot von Fabio Capello. "Das ist ein Zeichen, dass wir gut gearbeitet haben bei Dynamo, aber die Spieler kommen dann halt auch erst spät zu uns", sagt der Dynamo-Coach.

Russland schickt eine Nationalmannschaft nach Brasilien, die nicht wirklich greifbar ist. Selbst Insidern fällt es schwer, spontan fünf Spieler aus dem russischen 23-Mann-Kader zu nennen. Zumal mit dem ehemaligen Arsenal-Legionär Andrej Arshawin auch der einzige namhafte Kicker nicht für das Turnier berücksichtigt wurde.

Unangenehm

Deshalb gleich darauf zu schließen, dass die russische No-Name-Truppe bei der WM und vor allem bei der anschließenden EM-Qualifikation keine Rolle spielen würde, wäre ein Verkennen der Realität. Immerhin hat sich Russland in einer Qualifikationsgruppe gegen Portugal durchgesetzt. "Die Russen werden für uns ein äußerst unangenehmer Gegner sein", weiß der österreichische Teamverteidiger Sebastian Prödl (das erste Duell steigt am 15. 11. in Wien ).

Tschertschessow kann die österreichische Panikmache nicht ganz verstehen. "Was heißt unangenehm? Vielleicht denken die Russen ja genau das gleiche von Österreich", meint der 50-Jährige, der eines freilich schon feststellen konnte. "Capello hat dieser Mannschaft eine Handschrift gegeben." Und wenn der knorrige Italiener etwas bis zur Perfektion beherrscht – dann ist es, seinen Teams ein taktisches Grundgerüst zu verpassen, das Gegner, aber auch Fans nervt. Fabio Capello, der noch mit der alten Catenaccio-Schule aufgewachsen ist, steht seit jeher nicht für Erlebnis-, sondern für Ergebnisfußball. Defensive und Disziplin sind ihm heilig,und unter diesem Gesichtspunkt spielen die Russen mittlerweile sogar italienischer als die Squadra Azzurra unter Cesare Prandelli, der das Spektakel liebt. Gerade einmal fünf Gegentore hat Russland unter Capello während der gesamten WM-Qualifikation kassiert. "Die Mannschaft ist sehr stabil", weiß Tschertschessow.

Die passenden Spieler für seine Planspiele findet Capello ausschließlich in der russischen Premier Liga. "Das zeigt, dass das Niveau in unserer Liga gut ist", sagt Tschertschessow, "und dass hier gutes Geld bezahlt wird." Das goldene Ungetüm, das sein Handgelenk verdeckt, darf als Zeitzeuge des russischen Aufschwungs betrachtet werden. Ein Aufschwung, der spätestens 2018 bei der WM im eigenen Land gekrönt werden soll.
Uneinsichtig

Dass zuletzt die internationale Kritik an seinem Heimatland immer lauter wurde, kann und will Stanislaw Tschertschessow nicht verstehen. Er verteidigt Russland und die Politik des Präsidenten, und ihn stören die Vorurteile, die seinem Land entgegen gebracht werden. "Viele haben vor den Olympischen Spielen in Sotschi gesagt: ,Wie kann man nur die Spiele dorthin geben?’ Jetzt hat jeder gesehen, wie schön und toll diese Spiele waren. Wenn wir was machen, dann gescheit."

Russland mit italienischem Stil

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