Als ein Mörder das Siegen befahl

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

ArgentinienNiederlande. Das heutige Semifinale veranlasst zu einem Blick zurück. Zum letzten Zusammentreffen dieser beiden Nationen auf südamerikanischem Boden. Zum WM-Finale 1978, das als eines der umstrittensten in die Fußballgeschichte einging. Die argentinischen Gastgeber ebneten sich mit einem dubiosen 6:0 gegen Peru den Weg. Die Peruaner mussten auf höhere Weisung dermaßen hoch verlieren. Als „Gegenleistung“ soll Argentiniens Militärjunta der rechten Regierung Perus beim Deportieren politischer Gegner geholfen haben.

Das 5:1 der Niederlande gegen Österreich indes kam korrekt zustande. Unter Regie Ernst Happels wurden dessen (spielerisch gleichwertige) Landsleute ausgekontert. Libero Erich Obermayer erzielte das Ehrentor. Sein Mitspieler Herbert Prohaska trug zur Match-Analyse als KURIER-Kolumnist nur Tränen bei. Auch das passierte damals in ... Córdoba.

Finalschauplatz war das River-Plate-Stadion von Buenos Aires. Keiner ahnte, dass sich nur ein paar Hundert Meter weiter ein Gefängnis befand, in dem Regimekritiker gefoltert wurden, ehe sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Bis zu 30.000 Menschen ließ die Junta liquidieren. Aber das kam erst sieben Jahre danach beim Prozess gegen General Jorge Videla im vollen dramatischen Umfang ans argentinische Tageslicht.

48 Stunden vor dem Finale mussten die Niederländer noch beim Empfang des Militärdiktators antanzen. Als sich während Videlas spanischer Rede im Hintergrund zwei Spieler unterhielten, bekamen sie von Uniformierten per Gewehrkolben eine Ermahnung gegen die Rippen. Daraufhin zog Happel sein Team von der Politshow ab.
Schon zuvor hatten sich Videlas linientreue Medien auf den Finalgegner eingeschossen. Kurz vor Spielbeginn schloss sich auch der Schiedsrichter dem Psychokrieg an. Indem der Italiener Sergio Gonella dem Niederländer Willy van de Kerkhof untersagte, mit einer Ledermanschette anzutreten, obwohl die der Holländer schon bei allen WM-Spielen zuvor zum Schutz seines gebrochenen Armes getragen hatte. Happel reagierte nach außen hin gelassen, als er sagte: „Okay. Dann muss ein anderer Spieler zuerst aufwärmen. Dann verlange ich, dass erst 20 Minuten später angepfiffen wird.“

Happel wusste, dass die Satellitenübertragung auf eine präzise Beginnzeit programmiert war. Und dass eine Verspätung Millionen kosten würde. Die Folge: Es wurde doch programmgemäß angepfiffen. Mit Manschettenträger Van de Kerkhof. Die Niederlande erzwangen eine Verlängerung. Jedoch: Zu sehr in Spiellaune war Schützenkönig Mario Kempes, zu beeinflusst von den 73.000 im Stadion der Referee, zu glücklos die holländische Mannschaft, als Rob Rensenbrink in der 91. Minute nur die Stange des leeren Tores traf. Endstand 1:3. Argentinien war Weltmeister, das Ziel der Junta erreicht.Danach brachen alle Dämme. Millionen Menschen rannten auf die Straße. Unser Bus kam nur 50 Meter weit. Gemeinsam mit ORF-Kommentator Gerhard Zimmer stapfte ich, eingekeilt in der Masse, quer durch Buenos Aires eineinhalb Stunden bis zum Medienzentrum. Dort wurden schon die nächsten Skandal- g’schichten produziert. Happel hatte die Pressekonferenz boykottiert.

Als wir in den Morgenstunden zurück über die Calle Florida zum Hotel gingen, flackerten Kerzen auf dem Asphalt. Und Polizisten deckten mit Packpapier die Toten zu. Sie waren nicht Opfer der Junta, sondern ihrer Begeisterung geworden.

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