Der Tag, an dem die Hoffnung starb

Heute vor 20 Jahren wurde Andrés Escobar nach einem Eigentor bei der WM erschossen.

Ein trauriges Stück Fußball-Geschichte ereignete sich am 2. Juli 1994. Andrés Escobar besuchte mit Freunden eine Bar in Medellin. Um 3.30 Uhr wurde er auf dem Heimweg erschossen. Humberto Muñoz Castro traf den kolumbianischen Teamspielern mit zwölf Schüssen in Herz und Gesicht. "Gooool", soll er dabei höhnisch gerufen haben, in Anspielung an das Eigentor, das der damals 27-jährige Escobar am 22. Juni bei der WM in den USA geschossen hatte. Muñoz wurde 1995 zu 43 Jahren Haft verurteilt, kam im Jahr 2005 wegen guter Führung aber wieder aus dem Gefängnis.

Die Vorgeschichte

Schon das erste Spiel bei der WM 1994 wurde zum Desaster: Kolumbien verlor 1:3 gegen Rumänien. Das Team erhielt Morddrohungen, sogar eine selbst ernannte Hexe rief an und verfluchte mehrere Spieler. Die Familien der Spieler wurden in Kolumbien unter Polizeischutz gestellt.

Das nächste Spiel gegen die USA war die letzte Chance der Cafeteros zum Aufstieg. Andrés Escobar passierte in der 13. Minute ein Missgeschick, er lenkte einen harmlosen Ball unglücklich ins eigene Tor. Sein kleiner Neffe sagte intuitiv: "Sie werden ihn töten!" Kolumbien verlor 1:2 und war ausgeschieden. Die Tageszeitung El Tiempo recherchierte, dass die Wettmafia durch das frühe Aus mehrere Millionen Dollar verloren hatte.

Escobar kehrte trotz Drohungen nach Kolumbien zurück. Der 27-Jährige wollte seine Freundin heiraten und zu Milan wechseln. Doch dazu kam es nicht mehr.

Die Geschichte des Andrés Escobar ist auch die des kolumbianischen Fußballs: Dem kometenhaften Aufstieg folgte das bittere Ende. Vor allem aber ist es die Geschichte der Drogenbosse und ihrer Herrschaft über den Fußball.

Andrés Escobar wurde in Medellín geboren und wurde Profi beim dortigen Verein Atlético Nacional. Das Team gewann 1989 als erstes kolumbianisches die südamerikanische Copa Libertadores. "Wir sind so schnell aufgestiegen, dass die Leute misstrauisch wurden. Sie fragten, wie wir das schaffen konnten", sagte Francisco Maturana. Er war damals gleichzeitig Klubtrainer und Teamchef, hatte sich 1990 mit Kolumbien erstmals nach 28 Jahren wieder für eine WM qualifiziert.

Pablo Escobar – nur zufällig ein Namensvetter von Andrés – war der Patrón, der Pate des Vereins und Chef des mächtigen Medellín-Drogenkartells. Escobar zeichnete sich durch Grausamkeit und Skrupellosigkeit aus, ließ 30 Richter sowie 457 Polizisten töten. Mit dem Fußball wurde Geld gewaschen – mit Spielertransfers, Ticketverkäufen, Wetteinsätzen.

Die Paten

Jedes Team hatte seinen Patrón, der die Mannschaft hochrüstete, Schiedsrichter bedrohte, sie bestach – oder sie aus dem Weg räumen ließ. Fußball war aber auch eine Leidenschaft der Paten. Pablo Escobars erste und seine letzten Schuhe sollen Fußballschuhe gewesen sein. Die Könige der Unterwelt, die skrupellos ihren Drogengeschäften nachgingen und dabei Menschen verschwinden oder zerstückeln ließen, wurden in den Stadien wieder zu kleinen Kindern. Sie jubelten ihren Mannschaften zu, beschenkten die Spieler und ließen ihre Spielzeuge bei privaten Freundschaftsspielen gegeneinander antreten. Pablo Escobar ließ seine Lieblinge, darunter auch Andrés Escobar, auf seine Ranch einfliegen und zahlte ihnen großzügigen Gagen.

Aber die Macht stieg den Drogenbaronen zu Kopf. Um die Auslieferung an die USA zu verhindern, ließ Pablo Escobar im August 1989 Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán ermorden. Danach eskalierte der Krieg zwischen Escobar und der Regierung. Das Land versank im Chaos von Bombenanschlägen, Straßenschlachten und Schießereien.

In dieser turbulenten Zeit schien es, dass nur noch der Fußball das Land zusammenhielt. "Wir waren nicht länger Medellín oder Cali, wir waren Kolumbien", erinnert sich Trainer Maturana an die Qualifikation für die WM 1990. "Wir spielten, um unser Land zu verteidigen."

Nach Friedensverhandlungen erklärte Escobar 1991 schließlich einen Waffenstillstand und stellte sich der Polizei, nachdem ihm zugesichert worden war, nicht an die USA ausgeliefert zu werden. Er ging in das extra für ihn errichtete luxuriöse Privatgefängnis La Catedral. Von dort aus organisierte er seine Drogengeschäfte – und er hatte sich auch einen Fußballplatz bauen lassen.

Die Häf’n-Spiele

Im Gefängnis organisierte er Privatspiele, zu denen im Jahr 1991 auch Diego Maradona eingeladen wurde. "Mein Manager sagte mir, dass ein wichtiger Kolumbianer eine enorme Summe zahlt, wenn ich bei einem Freundschaftsspiel mitmache." Maradona erinnert sich an La Catedral so: "Ich dachte, dass ich in einem Luxushotel in Dubai bin. Nach dem Spiel gab es ein Fest mit den schönsten Frauen, die ich je gesehen habe."

Pablo Escobar hat auch die Nationalmannschaft zu einem Essen ins Gefängnis eingeladen. Andrés sei damit nicht einverstanden gewesen, sagt seine Schwester – eine Wahl habe er aber nicht gehabt. Trainer Francisco Maturana drückte es so aus: "Falls Don Vito Corleone mich zu einem Teller Pasta in ein Restaurant einlädt, gehe ich natürlich auch hin."

Nach mehreren Skandalen wollte die Regierung Pablo Escobar in ein anderes Gefängnis verlegen. Der Drogenboss floh und wurde am 2. Dezember 1993 von einer amerikanisch-kolumbianischen Elite-Einheit in Medellín erschossen. 20.000 Menschen waren bei seinem Begräbnis. Am 2. Juli 1994 starb Andrés Escobar – 100.000 Menschen erwiesen ihm die letzte Ehre.

Kolumbien qualifizierte sich danach noch für die WM 1998, fiel dann aber in ein tiefes Loch, aus dem man erst auf dem Weg zur WM 2014 herausgefunden hat. Mit dem Viertelfinalduell gegen Brasilien am Freitag erreichte Kolumbien den bislang größten Erfolg in der Geschichte der Selección.

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