Der Held, der verschwunden ist

Joseph Gaetjens schoss die USA 1950 zum Sieg gegen England, seit 50 Jahren ist er verschollen.

Jede WM hat ihre Helden. Joseph Gaetjens wurde 1950 bei der ersten Endrunde in Brasilien zu so einem. Mit seinem Tor zum 1:0-Erfolg des damaligen Fußball-Zwerges USA gegen den WM-Favoriten England sorgte er für eine der größten Sensationen der Fußballgeschichte. Das Mutterland des Fußballs, das bis dahin einen großen Bogen um WM-Turniere gemacht hatte, weil man der Ansicht war, das beste Nationalteam der Welt zu haben, wurde bei seinem ersten Antreten bei einer WM von Amateuren gedemütigt und musste schon nach der Gruppenphase heimreisen.

Eigentlich war Gaetjens gar kein US-Amerikaner. Geboren wurde er am 19. März 1924 in Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti, als Sohn einer haitianischen Mutter und eines deutschstämmigen Vaters. In die USA kam Gaetjens erst nach dem 2. Weltkrieg, um an der Columbia-Universität in New York Rechnungswesen zu studieren.

Die Nationalmannschaft der USA hatte zwar schon an der ersten WM 1930 teilgenommen, Fußball war aber trotzdem nicht mehr als ein Hobby von wenigen Fußball-Enthusiasten und kein Massensport wie mittlerweile. Die US-Boys kassierten Ende der 1940er-Jahre in internationalen Spielen eine hohe Niederlage nach der anderen. Dass sich die US-Amerikaner trotzdem für die WM qualifizieren konnten, lag weniger an ihrer Stärke, sondern daran, dass Gegner Kuba noch schlechter war.

Da war es kein Wunder, dass der US-Verband alle Hebel in Gang setzte, um Verstärkungen für die Endrunde zu finden. Einer jener Spieler, die angesprochen wurden, war eben Gaetjens. Dieser beantragte auch die US-Staatsbürgerschaft. Bekommen hat er diese aber nie. Trotzdem wurde er in den WM-Kader einberufen. Neben dem Studenten standen auch Sportlehrer, Postboten, Beamte und sogar Leichenwagenfahrer im Team USA.

Zum Spiel gegen die Engländer sollen die US-Boys mit Cowboyhüten und Zigarren im Mundwinkel gekommen sein, die Nacht davor gar durchgezecht haben. "Wir waren in mindestens zwölf Bars", gab Gaetjens zu.

Das Spiel war dann auch wie erwartet einseitig verlaufen, völlig unerwartet war aber der Ausgang. "Die Amerikaner hatten im ganzen Spiel sechs Ballkontakte. Sechs! Einer davon erwischte mich auf dem falschen Fuß", erinnerte sich Englands erst im Jänner verstorbener Teamkeeper Bert Williams.

Falsches Resultat

Der, der Williams am falschen Fuß erwischte, war eben Gaetjens. Sein Kopfball landete im Tor. Eine Sensation war perfekt, die niemand glauben wollte – besonders in England nicht. Einige Zeitungen vermeldeten sogar einen 10:1-Sieg – im Irrglauben, das 0:1 wäre ein Übermittlungsfehler des Telegraphen der Nachrichtenagentur Reuters. Den US-Medien war die Weltsensation ziemlich egal. Die Zeitungen, die darüber berichteten, taten den Sieg als "glücklich" ab. Wohl auch deshalb blieb Gaetjens in den USA unbekannt.

Nach der WM zog es ihn nach Frankreich. Drei Jahre war er Profi beim Zweitligisten Troyes. Anschließend ging er zurück nach Port-au-Prince, arbeitete als Vertreter für Colgate-Palmolive und leitete einige Wäschereien. Nebenbei spielte er weiter Fußball – auch in einem Qualifikationsspiel zur WM 1954 gegen Mexiko. Dieses Mal allerdings für Haiti.

Politisch war Gaetjens nie aktiv. Trotzdem wurde 1964 von der Geheimpolizei Tonton Macoute verschleppt. Seine Brüder sollen im Exil für die Gegner von Diktator François "Papa Doc" Duvalier eingetreten sein. Seitdem gilt der WM-Held von 1950 als verschollen.

Die 0:1-Blamage der Engländer gegen die USA bei der WM 1950 zählt zweifelsfrei zu den größten Sensationen bei einer Endrunde. Aber es war bei Weitem nicht die einzige. Der KURIER wirft einen Blick zurück:

WM 19381934 waren Deutschland und Österreich Dritter und Vierter bei der Endrunde in Italien geworden, vier Jahre später traten beide Teams als Deutsches Reich und WM-Favorit in Frankreich an. Doch die Mannschaft von Trainer Sepp Herberger blamierte sich schon im Achtelfinale: Nach einem 1:1 gab es im Wiederholungsspiel gegen die Schweiz eine 2:4-Niederlage.

WM 1966 Als krasser Außenseiter waren die Nordkoreaner zum Turnier nach England gekommen. Doch Italien machte unliebsame Erfahrungen mit dem Underdog: Das Gruppenspiel gegen den die Asiaten ging 0:1 mit verloren. Die Nordkoreaner stiegen ins Viertelfinale auf, die Squadra Azzurra schied hingegen aus. Bei der Rückkehr in die Heimat wurden die italienischen Spieler von ihren maßlos enttäuschten Fans mit Paradeisern und faulem Obst begrüßt.

WM 1974 Zu Beginn der 1970er galt die BRD als unschlagbar. Dass es dann just der DDR gelang, die Westdeutschen bei der WM im eigenen Land zu besiegen, war natürlich eine Sensation. Jürgen Sparwasser traf in Hamburg im letzten Spiel der ersten Gruppenphase zum 1:0. Die BRD wurde trotzdem Weltmeister, der DDR blieb nur der sechste Platz.

WM 1990 Diego Maradona war vor 25 Jahren der beste Fußballer der Welt. Trotz des kleinen Superstars mussten die Argentinier im Eröffnungsspiel des Turniers in Italien eine peinliche 0:1-Niederlage gegen Kamerun hinnehmen. François Omam-Biyik erzielte in Mailand das entscheidende Tor.

WM 2010 In Südafrika blamierte sich Titelverteidiger Italien: Im Gruppenspiel gegen Fußballzwerg Neuseeland gelang dem Weltmeister von 2006 kein Tor. Nach dem 0:0 mussten beide Teams nach der Vorrunde die Heimreise antreten.

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