Mit deutscher Gründlichkeit zu neuen Höhenflügen

Mit neuen Idealen und neuem Personal hat Joachim Löw den Deutschen den Rumpelfußball ausgetrieben.

Er lachte, er reckte die Faust in die Höhe und ließ sich umarmen. Aber das war’s dann auch schon wieder mit dem weltmeisterlichen Jubel. Joachim Löw ist jetzt kein Mann, der sich in der Öffentlichkeit zum Kasperl macht und vor Kameras seinen Emotionen freien Lauf lässt. So besonnen wie er all die letzten Jahre mit der teils harschen Kritik an seiner Person und seiner Arbeit umgegangen ist, so beherrscht blieb der deutsche Bundestrainer nun auch im Augenblick des großen Triumphes. Den ekstatischen Jubel überließ Löw seinen Spielern, der 54-Jährige freute sich nach dem hart umkämpften Endspiel gegen Argentinien lieber nach innen. "Dieses Glücksgefühl wird aber für alle Ewigkeiten bleiben", glaubt Löw.

Der WM-Titel ist die Krönung in der Karriere des Bundestrainers. Und er ist der Lohn für einen langen Weg voller Gegenwind und Hindernisse, voller Zweifel und Widerstände. Ein Weg, auf dem Jürgen Klinsmann und dann vor allem Joachim Löw in den vergangenen zehn Jahren den deutschen Fußball revolutionierten und ihm ein neues Image verpassten

Es war das Jahr 2004, als beim Deutschen Fußballbund (DFB) alles infrage und auf den Kopf gestellt wurde. Die deutsche Nationalmannschaft hatte sich da gerade sang-, klang- und auch noch sieglos in der Vorrunde von der EM in Portugal verabschiedet und die Öffentlichkeit schrie nach Reformen. Klinsmann und sein damaliger Assistent waren mit dem Ziel angetreten, den Deutschen den Rumpelfußball auszutreiben und die berühmten alten deutschen Tugenden, wie Kampfgeist und Disziplin durch neue Attribute zu ersetzen. "Klar, da gab es den Begriff der deutschen Turniermannschaft. Aber die Spielweise hat eigentlich niemanden vom Sitz gerissen", erinnert sich Joachim Löw im KURIER-Gespräch. "Wir sind damals angetreten, um den Stil zu verändern und die Leute mit unserem Fußball zu begeistern."

Gegenwind

Und dabei setzte das Duo Klinsmann/Löw nicht nur bei der Nationalmannschaft Akzente, auch die gesamte Talentsichtung und -förderung wurde überdacht. Neue Leistungszentren wurden geschaffen und in der Ausbildung der Jungkicker wurde alles der Technik und Taktik untergeordnet.

Mit dem Reformeifer machten sich die beiden freilich nicht nur Freunde. "Das war ein schwieriger Prozess, weil es auch Widerstände innerhalb der Mannschaft gab", erklärt Löw, "da gab es Spieler, die gesagt haben: ‚Wir warten ab, wir lassen nichts anbrennen, und irgendwann können wir immer ein Tor machen.‘ Einige Spieler musste man vom neuen Weg überzeugen, manche sogar aussortieren."

Erst als sich die ersten Erfolge einstellten und die Fußballfachwelt begann, Lobeshymnen auf die neue deutsche Welle anzustimmen, hatte es der Visionär Löw etwas leichter. 2009 wurde das deutsche U-21-Nationalteam Europameister und die Hoffnungsträger von damals sind die Helden von heute. Gleich sechs Europameister standen jetzt bei der WM im Mittelpunkt: Tormann Neuer, die Verteidiger Boateng, Höwedes und Hummels, sowie die Mittelfeldspieler Khedira und Özil.

Zusammen mit den deutschen Routiniers, die teilweise bereits die schwarze Stunde von 2004 miterlebt hatten, formten sie sich zu einem Erfolgsteam. "Wenn es überhaupt irgendjemand verdient hat, dann diese Mannschaft mit Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Podolski und Klose", sagt Löw. "Sie waren die ganzen zehn Jahre über dabei, sind den Weg mitgegangen. Wir wussten genau, dass Champions irgendwann diesen letzten Schritt machen und die Sache zu Ende bringen."

Aufwind

Tatsächlich hat sich der erste Titelgewinn einer deutschen Nationalmannschaft seit 1996 (EM in England) schon lange angekündigt. Der deutsche Vereinsfußball befindet sich auch seit Jahren auf der Überholspur: längst punktet die Bundesliga nicht mehr nur durch die besten Zuschauerzahlen und stabile Finanzen. Allein in den vergangenen fünf Jahren stellte die Bundesliga vier Mal einen Champions-League-Finalisten, 2013 gewannen die Bayern den Titel. Jene Bayern, die im Finale gegen Argentinien gleich mit sieben Spielern vertreten waren und auch den Matchwinner (Mario Götze) stellten.

Kein Zufall also, dass inzwischen Spieler Made in Germany so begehrt sind wie zuletzt 1990 nach dem letzten WM-Titel. 2010 war Joachim Löw noch ohne Legionär zur Weltmeisterschaft nach Südafrika gereist, inzwischen schmücken deutsche Spieler die besten Vereine der Welt: Khedira gewann eben erst mit Real Madrid die Champions League und wechselt nun zu Arsenal, wo mit Özil, Mertesacker und Podolski bereits drei deutsche Teamspieler am Ball sind; Schürrle steht beim FC Chelsea unter Vertrag, Kroos gehört ab sofort dem Weißen Ballett von Real an.

Rückenwind

Mit deutscher Gründlichkeit zu neuen Höhenflügen
epa04314966 Bastian Schweinsteiger (C) of Germany and his teammates Philipp Lahm (L) and Per Mertesacker (R) celebrate with the World Cup trophy after the FIFA World Cup 2014 final between Germany and Argentina at the Estadio do Maracana in Rio de Janeiro, Brazil, 13 July 2014. Germany won 1-0 after extra time. (RESTRICTIONS APPLY: Editorial Use Only, not used in association with any commercial entity - Images must not be used in any form of alert service or push service of any kind including via mobile alert services, downloads to mobile devices or MMS messaging - Images must appear as still images and must not emulate match action video footage - No alteration is made to, and no text or image is superimposed over, any published image which: (a) intentionally obscures or removes a sponsor identification image; or (b) adds or overlays the commercial identification of any third party which is not officially associated with the FIFA World Cup) EPA/MARCUS BRANDT EDITORIAL USE ONLY
Der WM-Coup von Brasilien könnte freilich erst der Startschuss einer deutschen Erfolgsära sein. Experten trauen der deutschen Nationalmannschaft zu, auf den Spuren der Spanier zu wandeln, die zuletzt hintereinander zwei EM-Titel und einen WM-Titel geholt hatten.

Die Einschätzung von Joachim Löw, der seinen Vertrag bis 2016 wohl erfüllen wird, hört sich jedenfalls für die Konkurrenz bedrohlich an. " Uns wird dieser Titel einen Schub geben. Und wir haben noch Spieler, die größtenteils sehr jung sind."

Fünf Vorzugsschüler in Löws Weltmeister-Team:

- Joachim Löw Seit Sonntag gehört der 54-Jährige zum erlauchten Kreis der Weltmeister-Trainer. Seinen größten Erfolg davor hat der Schwarzwälder in Österreich gefeiert. 2002 wurde Löw mit dem FC Tirol, der kurz danach in Konkurs ging, Meister. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit bekam er im Sommer 2003 einen Job beim damaligen Meister Austria. Doch Geldgeber Frank Stronach ließ ihn schon nach zehn Monaten wieder fallen, obwohl die Wiener Tabellenführer waren. Löw fehlen die Visionen, meinte der austro-kanadische Milliardär. Vier Monate später wurde Löw Assistent von Deutschlands damaligem Teamchef Jürgen Klinsmann – der Beginn einer Erfolgsstory. Ob diese fortgesetzt wird, ist derzeit trotz eines bis Sommer 2016 laufenden Vertrages nicht ganz klar. Er wolle "erst einmal mit dem Präsidenten sprechen", betonte der Erfolgscoach.

- Hansi Flick Auch Löws Assistent arbeitete in Österreich – zwar nur zwei Monate, aber dafür in einer kuriosen Position. Flick war nämlich im Sommer 2006 bei Salzburg Assistent von Lothar Matthäus, der seinerseits Assistent von Cheftrainer Giovanni Trapattoni war. Für Trainingskiebitze war damals nicht klar, was Flick zu tun hatte. Mehr als die berühmten Hütchen aufstellen sah man ihn jedenfalls selten. Schon Ende August war Flick in Salzburg Geschichte, der langjährige Hoffenheim-Coach wurde von Löw als sein Assistent zum DFB geholt. Beim deutschen Verband steht der 49-Jährige vor einem Karrieresprung: Am 1. September übernimmt der Heidelberger den Posten des Sportdirektors.

- Yann-Benjamin Kugel Auch der Athletiktrainer des Weltmeisters hat eine Salzburger Vergangenheit. In der Saison 2012/’13 arbeitete er unter Cheftrainer Roger Schmidt. Kugel war live dabei bei der Champions-League-Schlappe gegen Düdelingen und der Cup-Blamage gegen den FC Pasching. Schon während seiner Zeit bei Red Bull trainierte er auch die deutschen Teamspieler. Derzeit arbeitet der 34-Jährige in seinem Hauptjob zusammen mit einem Österreicher. Kugel leitet die Athletikabteilung des 1. FC Köln, dem Klub von Cheftrainer Peter Stöger.

- Oliver Bierhoff Wer weiß, ob der mittlerweile 46-Jährige jemals Teammanager der deutschen Nationalmannschaft geworden wäre, hätte er nicht in der Saison 1990/’91 seine letzte Chance als Fußballer in Österreich genützt. 23 Tore erzielte der Mittelstürmer damals für Austria Salzburg, nachdem er sich in seiner Heimat nicht durchsetzen hatte können. In Italien machte Bierhoff große Karriere, entschied mit seinem Golden Goal die EM 1996 für Deutschland und gilt neben Löw als der Baumeister des deutschen Triumphes bei der WM 2014. Sein Vertrag beim DFB läuft bis Sommer 2016.

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