Brasilianische Ballnächte sind bunt

Was fiel auf, wer fiel ab, was bleibt zurück – eine Bilanz des Turniers in Brasilien.

Adieu Zuckerhut, Ciao Copacabana, Servus die Wadl’n – einen Monat lang hat sich Brasilien die Kugel gegeben. Zeit, Bilanz zu ziehen.

Was wir 2018 in Russland wiedersehen wollen...

Platz-Konzerte. Die Hymnen der Teams aus Süd- und Lateinamerika waren der letzte Schrei. Vor allem Brasilianer und Kolumbianer kannten bei den Platz-Konzerten kein Halten mehr. Fast hatte es den Anschein, als ob sich die Gastgeber bei ihrer Ouvertüre oft schon dermaßen verausgabt hätten, dass die Kräfte danach nicht mehr für ihr Joga Bonito, das schöne Spiel, reichten.

Deutsche Tugenden. Ob die Generation der Effenbergs, Matthäusse und Baslers auf ein 7:1 gegen Brasilien ähnlich respektvoll, schaumgebremst und fair reagiert hätte? Mit der neuen deutschen Tugend sammelte das Team von Joachim Löw viele Sympathiepunkte.

Lausbub. Die schnellste Maus von Mexiko war einmal, jetzt gibt es "die schnellste Laus" von Mexiko. Miguel Herrera, verhaltensorigineller Teamchef der Lateinamerikaner, Spitzname "die Laus", gefiel durch seinen emotionalen Torjubel. Neben Herrera verkommt selbst Jürgen Klopp zum Stoiker.

Unglücksbringer. Wann immer Mick Jagger am Ball war, standen die Teams im Abseits. Den Engländern brachte er genauso Pech wie Italienern und Portugiesen. Weil Jagger auch am Dienstag im Stadion war, sehen die abergläubischen Brasilianer in ihm den Schuldigen am 1:7 gegen Deutschland. Der Rolling Stone schwört Stein und Bein, dass er damit nichts zu tun hat. "Ich kann Verantwortung für das erste Tor der Deutschen übernehmen, nicht für die anderen sechs."

Brasilianische Ballnächte sind bunt
epa04299338 A Brazilian supporter holds a cardboard cutout depicting Rolling Stones singer Mick Jagger prior to the FIFA World Cup 2014 quarter final match between Brazil and Colombia at the Estadio Castelao in Fortaleza, Brazil, 04 July 2014. (RESTRICTIONS APPLY: Editorial Use Only, not used in association with any commercial entity - Images must not be used in any form of alert service or push service of any kind including via mobile alert services, downloads to mobile devices or MMS messaging - Images must appear as still images and must not emulate match action video footage - No alteration is made to, and no text or image is superimposed over, any published image which: (a) intentionally obscures or removes a sponsor identification image; or (b) adds or overlays the commercial identification of any third party which is not officially associated with the FIFA World Cup) EPA/MAURICIO DUENAS

Nadelsprädikat. Maurico Pinilla gab das Achtelfinal-Aus gegen Brasilien im Elfmeterschießen so einen Stich ins Herz, dass der Chilene zur Nadel griff. Die spielentscheidende Szene, als Pinilla in der 120. Minute die Latte traf, trägt er mittlerweile als großflächiges Tattoo auf seinem Rücken spazieren.

Jokertore. Das Aufbleiben hat sich fast immer gelohnt. Denn je später der Abend, desto offener die Tore. Brasilien war die WM der Jokertore und späten Entscheidungen. Und die Last-Minute-Treffer und Elfmeterschießen entschädigten auch für so manchen Langweiler in der regulären Spielzeit.

...und was uns erspart bleiben kann

Torlinientreue.Die neue Torlinientechnologie ist der größte Stolz der FIFA. Und damit auch ja jeder sehen kann, wie supertoll das System ist, wurden in der ersten WM-Woche überhaupt gleich alle Tore von der FIFA-Technik anschaulich auf ihre Echtheit hin überprüft – auch jene, bei denen der Ball das Tornetz zum Wackeln brachte.

Bissspuren. Luis Suárez hatte Giorgio Chiellini kaum angeknabbert, da machten die ersten Unternehmen auch schon Werbung mit dem Beißer. Die Suárez-Gedächtniszähne waren bei den Fans aus Uruguay in aller Munde.

Heulsusen. Tränen während der Hymne, Tränen vor dem Elfmeterschießen, Tränen nach Toren, Tränen bei Interviews – bei Spielen der Seleção wurde noch mehr geheult als in den berühmten brasilianischen Telenovelas.

Stadlzeit. Costa Cordalis, Semino Rossi, Marc Pircher und andere Vertreter der fidelen Humtata-Fraktion als Pauseneinlage – wer die WM im Staatsfunk verfolgte, fühlte sich bisweilen wie im Musikantenstadl. Kein Zufall, dass hunderttausende Österreicher regelmäßig beim WM-Schauen nach Deutschland auswanderten.

Rollstuhltrick. Mario Ferri ist offenbar nichts zu blöd, um sich zum Affen zu machen. Der italienische Flitzer stürmte im WM-Achtelfinale USABelgien im Superman-Kostüm über das Spielfeld. Zutritt zur Arena hatte sich Ferri mit einem Rollstuhl verschafft ...

Abgekartetes Spiel. Das WM-Finale 1950 in Rio hatte Joedir Belmont verpasst und danach seine damalige Eintrittskarte der FIFA zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug erhielt der 85-Jährige Tickets für das heutige Endspiel. Auch diesmal verpasst Belmont das Endspiel – keine sechs Stunden, nachdem er die Karten von der FIFA erhalten hatte, hatte er sie auch schon verloren.

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