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Markt für Altersversorgung, Wellness, Schönheit und gesunde Lebensmittel boomt

Für die Menschen in der wohlhabenden westlichen Welt gibt es kein höheres Gut als die Gesundheit. Zu ihrer Erhaltung ist man bereit, tief in die Tasche zu greifen.

Mehr als 35 Milliarden Euro werden in Österreich für Gesundheit im weitesten Sinne ausgegeben, nicht wenig davon privat. Über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet, und jeder siebte Arbeitsplatz hängt davon ab – Tendenz steigend. Nicht einmal die Wirtschaftskrise konnte den Gesundheitsmarkt erschüttern.

Die Österreicher zahlen willig für Arzneimittel, Zusatzversicherungen, Privatärzte, alternativmedizinische Behandlungen und Wellness-Tourismus aller Art.

2,4 Millionen haben außerdem eine private Krankenvorsorge – in Kärnten und Salzburg ist es jeder Zweite, in Wien jeder Dritte. Die Sonderklassehonorare daraus machen einen nicht unerheblichen Teil der Arzthonorare in den Spitälern aus. Ob sich der Patient damit aber lediglich ein besseres Spitalszimmer oder auch bessere Behandlung erkauft, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert.

„Sun Citys“ für Rentner?

Stetig wachsend ist der Markt für häusliche Pflege alter Menschen. Das betrifft übrigens auch Seniorenresidenzen statt der klassischen Altersheime. Das Ziel: so lange wie möglich selbstständig leben zu können, aber Unterstützung, wenn es nötig ist.

Martin Gleitsmann, für Sozialpolitik und Gesundheit zuständiger Abteilungsleiter in der Wirtschaftskammer, kann sich sogar vorstellen, dass Ausbauprogramme (ähnlich wie thermische Sanierung beim Wohnbau) staatlich gefördert werden. Letztlich spare es dem Staat ja Geld. „Sun Citys“ – also eigene Seniorenstädte, wie es sie in den USA gibt, hält der Experte aber nicht für die Zukunft. Generationenmix sei auf jeden Fall humaner.

Wellness boomt

Laut einer Studie von Roland Berger wird sich der Gesundheitsmarkt bis 2020 sogar noch verdoppeln. Überdurchschnittliches Wachstum wird den Bereichen Fitness, Gesundheitstourismus und gesunde Lebensmittel vorhergesagt. Tatsächlich wächst der Platz für Waren, die der Gesundheit (angeblich) dienen, in den Regalen der Supermärkte und Drogerien stetig.

Gleitsmann erwartet auch, dass sich neue Berufe etablieren werden, etwa der „Gesundheitscoach“, der Patienten durch den Dschungel der Angebote lotst. Wobei das Gesundheitswesen in Zukunft transparenter werden muss, meint der Experte: Fallzahlen und Fehlerquote des jeweiligen Spitals sollten öffentlich sein. „Über jedes Beisl am Eck bekomme ich mehr Informationen“, kritisiert er. Digital lasse sich das problemlos bereitstellen.

Schönheitsmarkt

Apropos digital: Hier entwickeln sich weitere Geschäftsfelder – etwa Gesundheits-Apps für Mobiltelefone. Sie könnten zum Beispiel Patienten an die Medikamenteneinnahme erinnern oder Auskunft über Wechselwirkungen von Arzneien geben.

Geradezu explosionsartig wächst auch der Schönheitsmarkt. Die auf Gesundheitsfragen spezialisierte Ökonomin Maria Hofmarcher schätzt, dass in Österreich jährlich rund 25.000 Schönheitsoperationen gemacht werden. Zählt man auch die – konservativ geschätzten – 55.000 „minimal-invasiven“ Prozeduren wie Botox-Spritzen dazu, dann kommt die imposante Zahl von 77.000 Eingriffen pro Jahr heraus – das ergibt Arzthonorare von insgesamt 76 Millionen Euro jährlich.

Zahlen für die Zähne

Das heimische Gesundheitswesen gilt als sozial, dennoch gibt es zahlreiche Selbstbehalte: von der Rezeptgebühr (5,30 Euro) bis zu hohen Selbstkosten für Sehbehelfe und Zahngesundheit. Kurz vor der Wahl hat sich Gesundheitsminister Alois Stöger dafür stark gemacht, Zahnspangen von der öffentlichen Hand übernehmen zu lassen. Bisher zeigte sich die Gesundheitspolitik schizophren: Für einen Arztbesuch zu zahlen ist verpönt, dass aber Familien Tausende Euros für die Zahnspangen ihrer Kinder ausgeben, wurde stillschweigend akzeptiert. Lediglich in Ambulatorien wurden die Kassenleistungen für Zahngesundheit ausgeweitet. Beamte, Gewerbetreibende, Bauern und pragmatisierte Eisenbahner haben übrigens auch bei Arzt- und Spitalsbesuch Selbstbehalte zu bezahlen.

Auffällig gestiegen ist die Zahl der Wahlärzte – auch eine Folge davon, dass weniger Kassenordinationen genehmigt werden. Die Österreicher sind mit „ihrem“ Gesundheitswesen dennoch zufrieden. Sie sehen offenbar eher den Vorteil der Wahlfreiheit als den Nachteil, mehr zur Kasse gebeten zu werden, glaubt Hofmarcher. Langfristig hält sie Strukturreformen aber für nötig. Ziel: Die Beschäftigten im Gesundheitswesen sollten motiviert bleiben, ohne dass die Kosten davonlaufen.

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Die Unterfinanzierung der MedUni Wien sorgt nun sogar für einen Aufschrei bei Nobelpreisträgern. Namhafte Forscher wie Harald zur Hausen (2008), Peter Charles Doherty (1996) und Jules Hoffmann (2011) setzen sich in einer Petition dafür ein, dass die Politik alle nötigen Schritte – inklusive einer adäquaten Finanzierung – einleitet, um einen Einbruch in der Forschungs- und Lehrarbeit sowie der Patientenversorgung an der Universitätsklinik zu verhindern.
Wien galt einmal als Weltstadt für Spitzenmedizin. Vor dem Zweiten Weltkrieg und der Emigration vieler jüdischer Spitzenforscher war die dominierende Sprache der Medizin Deutsch. Inzwischen ist sie Englisch. Wien hat seinen Status verloren.

Subventionierung

Heute sind Wachstum und Aufbruchstimmung, die sich österreichische Mediziner über die Jahre wieder erarbeitet haben, erneut gebremst. Univ.-Prof. Markus Müller, Vizerektor für Forschung an der MedUni Wien, erklärt das mit dem „Leben in einer Mangelumgebung“ – Hauptgrund sei die spärliche Finanzierung. Bis vor Kurzem wurde klinische Forschung vom Bund gar nicht gefördert. „Derzeit kommt die jährliche Förderung für klinische Forschung auf 50 Cent pro Österreicher (ca. 3 Mio. Euro, Anm.) – die Subventionierung von Blasmusikkapellen beträgt 1 Euro pro Österreicher. Wir können nicht mit einer Seifenkiste die Formel 1 gewinnen. Wollen wir ein Disneyland für Fans von Habsburgern und Mozartkugeln sein, oder wollen wir Spitzenforschung?“
Schon jetzt sei die Universität darauf angewiesen, mit der Pharmaindustrie zu kooperieren – diese finanziert inzwischen ein Viertel des Budgets. „Es gibt zwar seit zwei Jahren ein Strategiepapier, aber diese Strategie wird nicht konsequent verfolgt.“ Es fehle ein klares Bekenntnis. Stattdessen würden funktionierende Strukturen kaputtgespart.

Rankings

Die Auswirkungen zeigen sich in diversen internationalen Rankings von medizinischen Universitäten. Die MedUni Wien fällt vor allem durch eines auf: „Unser Output ist sehr gut, wir können international mitspielen, aber wir haben ein massives Standortproblem.“ Das macht Österreich nicht nur für Spitzenforscher uninteressant, sondern auch für den Nachwuchs. „Der Druck ist hoch, die Bezahlung ist schlecht – daher bleiben viele Studenten nicht als Arzt tätig, sondern gehen beruflich andere Wege“, sagt Müller.
Oder sie gehen nach Deutschland oder Großbritannien, wo sie gute Ausbildungsmöglichkeiten zu besseren Konditionen vorfinden. „US-Universitäten kaufen Spitzenforscher ein wie Fußballstars – das erhöht natürlich ihre Chancen auf einen Nobelpreis.“
Letztendlich lebe die medizinische Universität von beeindruckenden Leistungsträgern mit innerem Forschungsdrang. „Die forschen nicht wegen der guten Rahmenbedingungen, sondern weil sie leidenschaftlich und kreativ sind und sich Österreich loyal verbunden fühlen.“

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