Wenn das Spital krank macht

ARCHIV - Der Kardiologe Christoph Metzer und sein Team setzen bei einer Patientin im kardiologischen Funktionslabor der Charite Mitte in Berlin am 16.05.2008 unter Röntgenkontrolle einen Herzschrittmacher ein. Die Zahl der herzinsuffizienten Patienten wächst stetig, im Jahr 2011 war nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg Herzinsuffizienz die häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt. Foto: Marcel Mettelsiefen/dpa (zu lsw: "Experte: Lokale Betreuungskonzepte bei Herzinsuffizienz notwendig" vom 03.04.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Jeder zweite Fehler könnte vermieden werden, sagen Experten

Die Bandscheibenoperation der 75-jährigen Erika K. sollte Erleichterung bringen – war aber der Beginn eines langen Leidens: Ein Monat später musste sie wegen eines Blutergusses und eines neuerlichen Vorfalls wieder aufgenommen und operiert werden. „Dann kam hohes Fieber durch eine Staphylokokken-Infektion – die Patientin war mehrere Monate in stationärer Behandlung“, erzählt die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz.

Bei einem 55-jährigen Mann wurde im selben Spital nach der dritten Bandscheiben-OP ein Abszess an der Wirbelsäule (Eiterherd) diagnostiziert.

„Heuer haben wir bereits 70 Beschwerden wegen vermuteter Krankenhausinfektionen“, so Pilz: „Aber die Beweislage für die Patienten ist extrem schwierig. Ohne verschuldensunabhängigem Patientenentschädigungsfonds würden sie übrig bleiben.“ Beide Patienten wurden letztlich mit „erheblichen Summen“ entschädigt.

In Österreich infizieren sich 6,2 Prozent der Patienten im Spital mit einem Krankheitserreger (EU-Schnitt: 7,1 Prozent). Das Vermeidungspotenzial liegt – je nach Studie – zwischen 10 und 70 Prozent. „Jede im Spital erworbene Infektion ist ein Fehler“, so Infektionsspezialist Prim. Christoph Wenisch. „Hier ist ein Fehlermamanagement wichtig.“

Fehlende Daten

Doch das ist derzeit nicht so einfach: Denn es fehlt in vielen Bereiche an flächendeckenden und nach einheitlichen Kriterien durchgeführten Datenerhebungen: „Viele Abteilungen kennen etwa auch ihre eigenen Infektionszahlen nicht“, sagt der nö. Patientenanwalt Gerald Bachinger: „Aber nur dann sieht eine Abteilung, wo sie im Vergleich mit den anderen steht und welches Verbesserungspotenzial es gibt.“

Pilz: „Die Spitäler sind eine Blackbox, was die Information betrifft.“ Wichtig wäre es, Qualitätsdaten auch als Orientierung für die Patienten zu veröffentlichen.

Sparen als Risiko

Sparmaßnahmen beim Personal sind für die Hygiene schlecht: „Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Personalausstattung und der Infektionshäufigkeit“, sagt Ursula Frohner, Präsidentin des Österr. Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. Nur 30 bis 60 Prozent des Pflegepersonals würden die Händedesinfektion so durchführen, wie sie vorgeschrieben sei.

Österreich steht insgesamt nicht so schlecht da“, sagt der Mediziner Günther Schreiber von „Quality Austria“ (stellt Qualitätszertifikate aus), „aber konkretes Datenmaterial fehlt uns. In Deutschland sterben jährlich 15.000 bis 40.000 Menschen an den Folgen von Hygienemängeln.“ Immer mehr Anforderungen an immer weniger Personal erhöhe das Risiko für Patienten: „Deshalb muss das Gesundheitspersonal von organisatorischen Aufgaben entlastet werden.“

„Einem schweren Schaden gehen 30 bis 40 geringe Fehler voraus“, so die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely anlässlich des Wiener PatientInnensicherheitstages (siehe re.) „Wir müssen ein Klima fördern, wo ein Sprechen über Fehler ohne Angst möglich ist.“

Prim. Brigitte Ettl, ärztliche Direktorin des Krankenhauses Hietzing und Präsidentin der Plattform Patientensicherheit: „Auch Patienten sollen den Beitrag, den sie leisten können, nicht unterschätzen – häufiges Fragen kann letzte Sicherheitslücken schließen.“

Morgen: Was Experten fordern

Der Gynäkologe und Sicherheitsexperte Univ.-Prof. Norbert Pateisky berät mit der Firma AssekuRisk Gesundheitseinrichtungen.

KURIER: Wie häufig sind Fehler im Gesundheitssystem?

Norbert Pateisky: Laut Weltgesundheitsorganisation kommt es bei einem von zehn Patienten während eines Spitalsaufenthaltes zu einem nicht vorhergesehenen Problem – etwa durch Unachtsamkeiten bei der Übergabe von Nacht- zum Tagdienst. Überlastung, Müdigkeit, Denkfehler in der Eile – das alles können die Ursachen sein. Drei von 1000 erleiden schwere bis schwerste Schäden etwa durch eine Infektion, Zehnfach-Dosierung, übersehene Allergien, Verwechslungen. Die Hälfte dieser unerwünschten Ereignisse wäre leicht vermeidbar.

Woran mangelt es bei der Umsetzung von Strategien für mehr Patientensicherheit?

An strukturierten Trainings im Team. Es nützt nichts, Checklisten einzuführen, wenn der Umgang damit nicht trainiert wird und wenn sie nicht für die Abteilung angepasst werden. Und immer noch steht bei Fehlern das Suchen nach Schuldigen über Anstrengungen zur vorbeugenden Fehlervermeidung.

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