One Day, Baby

One Day, Baby
Der KURIER holt Poetry-Slammerin Julia Engelmann nach Wien.

Am 2. Oktober haben Sie die Möglichkeit, die wohl berühmteste Poetry-Slammerin des deutschsprachigen Raumes im Festsaal der Universität Wien zu erleben. Beginn: 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Im Anschluss an ihren den Auftritt diskutiert Julia Engelmann mit KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter und Sandra Baierl (KURIER Karrieren) zum Thema "TUN STATT TRÄUMEN".

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Nähere Informationen in Kürze auch auf unileben.univie.ac.at.
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Lageplan

Eine blonde junge Frau stellt sich vor das Mikrofon. Der Hörsaal der Uni Bielefeld ist bei der Poetry Slam-Veranstaltung – einem Dichterwettbewerb – bis zum letzten Platz gefüllt. Ihre Stirn glänzt. Ein leichtes Lächeln kommt ihr über die Lippen. Mit leiser Stimme stellt sie sich vor. Ihr Name ist Julia, sie studiert Psychologie. Dann beginnt sie ihren Text vorzutragen.

Julia bezieht sich auf den Refrain des Liedes „One Day/Reckoning Song“ von Asaf Avidan: „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, werden wir alt sein, und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.“ Und setzt mit eigenen Gedanken fort: „Ich würd’ gern so vieles tun, meine Liste ist so lang, aber ich werd’ eh nie alles schaffen, also fang ich gar nicht an.“ Julia spricht die Lethargie und Nullbock-Attitüde an, die ihrer Generation zugeschrieben wird. Und trifft einen Nerv. Innerhalb der vergangenen Tage wurde das erst jetzt aufgetauchte Video ihres Auftritts vom Mai rund 2,5 Millionen Mal auf YouTube angeklickt. Und wird heftig geteilt und geliked. Angelika etwa kommentiert im Netz das Video so: „Es hat mein Herz berührt, weil es so wahr ist. Vieles haben wir wirklich gemacht, doch zu vieles nicht.“ Und ein gewisser Ben schreibt: „Sprachlos. Gänsehaut. Ich bin begeistert – und würde gerne diesem Mädchen, das dort vorne meine Gedanken liest, einen Heiratsantrag machen.“

Bühnenmomente

One Day, Baby
Auch Doris Mitterbacher alias Mieze Medusa gefällt Julias Text. Sie gehört zu den Größen der österreichischen Hip-Hop- und Poetry-Slam-Szene und organisiert monatliche Slams (Bewerbe) in Wien sowie Workshops.

Mieze Medusa fasst das Prinzip des Poetry Slam zusammen: „Man geht mit selbstgeschriebenen Texten auf die Bühne und stellt sich dem Publikum. Das Publikum bewertet, wobei das nicht fair sein kann, weil sich die verschiedenen Texte nicht vergleichen lassen. Es geht mehr darum, dass das Publikum mitfeiert und etwas zurückgibt.“ Der schönste Moment, sagt sie, ist, „wenn du auf der Bühne stehst und siehst, wie sich die Gesichter entspannen, wenn du merkst, dass das Publikum bei dir ist und nicht mehr an die Einkaufsliste denkt. Sie verlieren sich in dem, was du präsentierst.“

Die Themen der Texte sind so vielfältig wie die Menschen, die auf der Bühne stehen. Mit Zeilen wie „Mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf. Mein Dopamin, das spar ich immer, falls ich’s noch mal brauch“ wählte die junge Poetry-Slammerin aus Bielefeld ein Generationenthema.

Glaubwürdigkeit

So heftig die Begeisterungsstürme darüber sind, so laut werden auch die Stimmen der Kritiker, die sich über die junge Poetin mokieren. Die 21-jährige Julia heißt mit Nachnamen Engelmann und ist keine Unbekannte. Sie schauspielerte einige Jahre am Theater Bremen und spielte bis Oktober 2012 in der RTL-Serie „Alles was zählt“ mit. Zudem hat sie bereits diverse Poetry-Slam-Wettbewerbe gewonnen. Mieze Medusa versteht die Aufregung nicht. „Man ist einem Musiker auch nicht böse, weil er ein Instrument gelernt hat. Ich finde es okay, wenn jemand Schauspiel- oder Bühnenerfahrung hat.“ Sie begründet dies damit, dass sich die Poetry-Slam-Szene in Deutschland professionalisiert hat. „Es geht auch darum, ein Handwerk zu erlernen, wie man eine gewisse Art von Bühnensituation inszeniert, den Text schreibt und eine Figur entwickelt. Poetry Slam ist eine Einladung, Texte so zu schreiben, dass sich Menschen wiederfinden. Ob es gelingt, erfährt man durch das direkte Feedback. Das Publikum bewertet die Glaubwürdigkeit.“ Ob Julia Engelmanns Auftritt das Ergebnis ihres Schauspieltrainings ist, sei dahin­gestellt. Mit ihrem verlegenen Lächeln, ihren fahrigen Handbewegungen und kraftvollen Aussagen hat sie es auf jeden Fall geschafft, viele Menschen zu berühren.

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