27. Juli: Der Tag, an dem die ersten Schüsse fallen

Ein Bericht über die Damen-Kapelle des Königs von Siam kann nur kurz vom Ernst der Lage ablenken
Es wird ernst: Franz Joseph wird die kaiserliche Genehmigung der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien unterbreitet.

28. Juni bis 28. Juli 1914 – ein Monat, in dem die Weichen für die Urkatastrophe des Jahrhunderts gestellt wurden. Der KURIER erinnert in seiner 31-teiligen Serie daran, was auf den Tag genau vor 100 Jahren geschah. Heute: der 27. Juli 1914, der Tag, an dem die ersten Schüsse fallen – angeblich.

„Aber damit fällt jeder Kriegsgrund fort.“ Das notiert der deutsche Kaiser Wilhelm heute vor 100 Jahren auf die Antwortnote der serbischen Regierung, in der diese fast alle Forderungen Österreich-Ungarns akzeptiert.

So kann man sich täuschen, selbst als Kaiser. Der Monarch schlägt vor, dass die Österreicher als Sicherstellung für die serbischen Zusagen Belgrad besetzen, aber dann die Kriegsmaschine anhalten.

Doch es ist zu spät: Am 27. Juli wird Franz Joseph die kaiserliche Genehmigung der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien unterbreitet. Wortlaut: „Ich nehme mir die ehrerbietigste Freiheit, Euer Majestät in der Anlage den Entwurf eines Telegrammes an das serbische Ministerium des Äußern zu unterbreiten, welches die Kriegserklärung an Serbien enthält und erlaube mir alleruntertänigst anzuregen, Euer Majestät wollen geruhen mich zu ermächtigen, dieses Telegramm morgen Früh abzusenden und die amtliche Verlautbarung der Kriegserklärung in Wien und Budapest gleichzeitig zu veranlassen.“

Es wird ernst: Das Pilsner Tagblatt berichtet, dass „Feldpostämter zur Ausstellung gebracht“ würden. Weiters, dass die bekannte Kaffeefirma Julius Meinl der Gesellschaft vom Roten Kreuze für den Kriegsfall 10.000 Kronen spendet. Und die Wiener Märkte reagieren: Hausfrauen müssen tief ins Bösel greifen, sind viel Waren doch über Nacht doppelt bzw. drei Mal so teuer geworden. Hamsterkäufe treiben die Preise weiter nach oben.

Die Zeitungen füllen ihre Seiten mit Schlagzeilen wie „Der Konflikt zwischen Österreich und Serbien“, „Die Stimmung auf dem Balkan“, „Vor dem Kriege“ oder „Die Schicksalstunde Europas“. Wer andere Themen finden will, muss schon genau schauen: Da eine Messerstecherei zwischen einem 20-jährigen Kutscher aus Hernals und einem unbekannten Widersacher, dort ein Bericht mit Foto über die Damen-Kapelle des Königs von Siam, die sich nur aus Aristokratinnen und Mitgliedern des Herrscherhauses zusammensetzt.

27. Juli: Der Tag, an dem die ersten Schüsse fallen
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Schließlich die Meldung, dass Bogenschießen in Seebädern die neue Trendsportart ist. Anno 1914 heißt es natürlich „eine Renaissance erlebt“.

All das kann nicht darüber hinwegtäuschen: Es wird ernst. Am 27. Juli fallen angeblich die ersten Schüsse. Die Neue Zeitung schreibt: „Der Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn ist bereits in das Stadium der militärischen Operationen getreten. Serbien hat gestern die Feindseligkeiten eröffnet. Bei Temes-Kubin haben serbische Truppen, die sich auf Donaudampfern befanden, von den Schiffen aus unsere Truppen beschossen.“

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100 Jahre später ist man nicht mehr sicher, ob dieses Gefecht überhaupt stattgefunden hat. Es wird jedenfalls benutzt, um Kaiser Franz Joseph dazu zu bringen, die Kriegserklärung an Serbien zu unterzeichnen.

Europäische Krise

In London tritt unterdessen das Unterhaus „unter allen Anzeichen großer Erregung zusammen“. Die europäische Krise erfülle die Mitglieder des Hauses mit größter Besorgnis. Staatssekretär Grey erklärt, „daß wir, solange der Streit auf Österreich-Ungarn beschränkt bleibe, kein Recht hätten, uns einzumischen. Wenn aber die Beziehung zwischen Österreich-Ungarn, Deutschland und Rußland bedroht würden, gehe die Sache des europäischen Friedens uns alle an.“ Nachzulesen in der Tages-Post.

Und weiter in der Salzburger Chronik: „Sofia, 27. Juli. In der Stadt herrscht ungeheure Aufregung. Man ist allgemein der Ansicht, daß die gewaltsame Lösung der österreichisch-serbischen Krise auch zur Lösung der anderen Fragen führen wird, die am Balkan derzeit in Schwebe sind.“

Was bisher geschah

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