Doris Schretzmayer ist erwachsen geworden

Doris Schretzmayer ist erwachsen geworden
In "Braunschlag" spielt sie eine schräge Tantra-Therapeutin. Im Landestheater St. Pölten Ferdinand Raimunds Fee Lacrimosa. Mit ihrem Mann, dem Sänger und Songschreiber Florian Horwath, schreibt sie ein Stück. Auf der Suche nach Balance ist Doris "Schretzi" Schretzmayer erwachsen geworden.

Sich zurückpfeifen. Wenn’s zu viel wird mit dem Hausfrauenspiel: "Sonst steh ich wie meine Mama um eins in der Nacht noch im Wohnzimmer und bügle die Bettwäsche." Doris Schretzmayer und Florian Horwath haben ein Haus im Wiener Cottagegrün zum Familienpreis von seiner Mutter gemietet. "Eine belebte Villa Kunterbunt mit altem Garten", schnurrt die Ehefrau, Schauspielerin, Moderatorin, Journalistin, Autorin. "Schön!" Trotzdem: "Nie hätt ich von mir gedacht, dass ich das Abendessen koch, während mein Mann mit dem Kind Radfahrüben geht." Anderer Plot, den sich Jungstar Schretzi vor zwanzig Jahren auf den Leib geschrieben hatte: "Gas geben und um die Häuser ziehen".

Das Erstaunliche geschah, als Sohn Nikolai vor sechs Jahren zur Welt kam. "Das Draußen hat mich nicht mehr interessiert. Bin unter die Erde gekrochen wie ein Maulwurf. Der nimmt auch nicht viel davon wahr, was an der Oberfläche geschieht." Im nächsten Atemzug passt sich die schöne schlanke Frau mit den großen Augen und dem wehenden Haar ein poetischeres Bild an: "Wie eine Blumenzwiebel, bei der’s auch eine Weile dauert, bis was rauswächst." Jetzt wieder. Weil Alt und Neu, Außen und Innen in guter Balance stehen. "War eine Zeitlang sehr verunsichert, weil nix mehr zusammengepasst hat. Ich wollt nicht mehr rauswachsen lassen, was früher war, und das Außen wollt mich nicht verändert akzeptieren."

Viel gelebt

Doris Schretzmayer ist erwachsen geworden

Nachdenken. Lesen. Schreiben. Um das Leben glücken zu lassen. Doris Schretzmayer ist 40. Da hat man schon ziemlich viel gelebt. Wenn man beweglich, neugierig, intelligent ist. Darüber hinaus als 24-Jährige mit der Sterblichkeit konfrontiert worden ist, durch einen Geisterfahrerunfall auf der Autobahn. Den Schock in seinen Träumen mitträgt.

Schreiben hilft gegen so was. Gezwungen sein, sich zwingen, seine Umstände zu reflektieren. Die Bauerntochter aus Hausleiten bei Stockerau begann ja mit einem Publizistik- und Wirtschaftsstudium, sah als Radiojournalistin das Leben selten ungefiltert. Hielt gefühlige, gesellschaftliche, esoterische Männer- und Frauenthemen wie Kristalle ans Licht, um sie anzuschauen und zu begreifen. 1995 unterhielt sich Schretzi in der Talk-Sendung "Liebe undsoweiter..." mit Jugendlichen über ihren ersten Sex. Schreibt bis heute in diversen Magazinen, von "Krone bunt" über "Fleisch" und "Seitenblicke-Magazin" bis "2012".

Rolle in "Braunschlag"

Aufg’legt fast, ihre schräge Tantra-Therapeutin in David Schalkos (Kult-)Serie " Braunschlag", in den Folgen sechs und sieben. Ja, und er hat diese Rolle für sie geschrieben. Sie erinnert sich an einen Abend in einer Berliner Hotelbar: Da ging es ums globalisierte Ratgeber-Unwesen. Schalko verfilmte Thomas Glavinics Parodie "Wie man leben soll", Florian Horwath zeichnete für die Film-Musik, Doris hatte ihn begleitet. Sie erzählt von dem Tantra-Zentrum in der Straße, in der sie (fünf Jahre) in Berlin gelebt hatte. Gab nicht nur Frauen-, auch Männer- und gemischte Gruppen, in denen trainiert wurde, alles in eine Beziehung einzubringen, was einen beschäftigt und bewegt, bevor man miteinander schläft. Sie lacht: "Das hat mich neugierig gemacht. Doch was ergab eine Umfrage in L. A. nach zwei Jahren Tantraübungen? Frauen wünschen sich feste Partnerschaften, in denen sie alles (mit-)teilen. Männer möchten Beziehungen öffnen und mit möglichst vielen Frauen etwas haben."

Ihre Rolle in "Braunschlag" hat sie geliebt. Ließ die Haare kreppen, damit der Zuschauer nicht genau weiß, wie diese Tantra-Tante eigentlich aussieht. Hat die Sätze, die ihr Schalko in den Mund legt, "richtig vorgekaut. Mich darauf gefreut, sie auszuspucken". Haucht: "Du, ich kann dir alles Mögliche geben!" Versinkt noch beim Wienerschnitzel im "Café Engländer" genüsslich in der Szene mit dem geschockten Tschach (Robert Palfrader): "Da hat sich der Mann endlich zu einer Paartherapie durchgerungen, will was lernen für daheim, und dann bekommt er Champag­ner am Vormittag und eine Sex-Offensive!" Kichert: "Die selbsternannte Therapeutin hat selber ein Tantra-Seminar hinter sich. Ist total high. Ihre Welt ist neu! Und sie kippt gnadenlos in die Ego-Falle."

Offene Beziehung

Zwölf Jahre, zwei davon verheiratet, ist Doris mit dem Sänger-Songschreiber Florian Horwath zusammen. Musikproduzent Sven Regener hat ihn "den ersten New-Austrian-Folk-Star" genannt. Gleich alt wie sie, sieht Florian ernsthaft, liebevoll und romantisch aus, mit dichten Locken zu feinen Zügen. Zwölf Jahre "mit Phasen großer Vertrautheit und ebenso großer Fremdheit. Überraschend für beide". Er sei "bewahrend", sagt sie, "bereit, für die Beziehung auch Opfer zu bringen".

Er weiß und sie weiß, dass es schwer ist, an offene Beziehungen zu glauben. Irgendwann platzt alles auseinander. Obwohl Treue auch nicht leicht sei: "Du musst immer wieder eine Entscheidung treffen." Manchmal geht es auch um Konkurrenz. "Florian hat ein Duett mit Nina Persson gesungen: Pfah, ist die toll!, hieß es danach hundert Mal im Freundeskreis. Florian sagte: Ja, weiß ich eh." Doppelt gemoppelt: Für ihn ging’s auch um die Konkurrenz zwischen ihr und ihm. Doch wennsd’ als Frau daneben stehst, fragst dich: Wie oft muss das noch einer sagen?" Am kompliziertesten für beide aber: "Die Aufteilung der Verantwortung. Wenn einer viel draußen ist, bleibt der andere beim Kind. Unausgesprochener Pakt, in Liebe hochgehalten. Und doch: Wer wird dadurch grad in seiner Arbeit gebremst?"

Kleine Dinge würden manchmal plötzlich groß. "Eine Frage der Perspektive. Drei Schritte zurücktreten und Raum aufmachen zwischen dem Ich und der Welt. Um nicht total mit der Traurigkeit zu verschmelzen", hat Eckhart Tolle, Bestsellerautor spiritueller Bücher, sie gelehrt. Er schrieb über "Schmerzkörper"– die Summe aller schmerzlichen Erfahrungen, die oft durch eine Nebensächlichkeit aktiviert wird, sich ausbreitet, über einem zusammenschwappt. "Subjektive Identifikationen durchbrechen", heißt das bei Psychologen. Ja. Ernst, witzig, ironisch. Man erschafft sich seine Umstände und die Resonanz darauf selbst. In der Liebe und im Schmerz. "Wenn ich sehr in Liebe bin, denk ich, es kann nie anders werden – und dann kommt’s doch. Dann musst genau hinschauen, Kleinigkeiten Aufmerksamkeit geben. So, wie ich es bei meinem Sohn mach. Nur fällt’s einem bei einem Kind viel leichter."

Gemeinsamer Abend

Doris Schretzmayer ist erwachsen geworden

Seit einem Jahr arbeiten Doris und Florian an einem gemeinsamen Abend. "Keine Paartherapie", sagt sie. Aber irgendwie doch. "Bin sehr überrascht, wie gut wir miteinander arbeiten können. Er sitzt am Computer und klopft die Texte rein. Ich dachte, ich müsste das tun ..." Jeder brachte was mit. Einen Text, ein Thema, ein Lied. Beide auch ihre Phobien: Florian wollte keinen Liederabend. Doris wollte, dass die Figuren nicht zu persönlich geraten: "Sonst wird’s pornografisch und das ist mir ein Gräuel. Klar geht es um uns als Paar. Aber wenn man auf der Bühne steht, spielt man zwei Figuren, zwei Rollen."

Drei Monate waren sie nur am Sammeln ... Doris hatte ein Dramaturgenseminar und Autorenseminar besucht, auf der Filmhochschule und auf der uniT, einer Kulturinitiative der Grazer Karl-Franzens-Universität. Das Wesentliche: "Du musst zum Kernthema kommen!" Also: "Auf einem großen Blatt Papier alle Unterthemen notieren, und daraus ablesen, was die Kernthemen sind, indem du immer weiter verdichtest." Ein Riesenplakat hing drei Monate im Haus Schretzmayer-Horwath: "Wenn Besuch kam, wurde es abmontiert." Dann kam der deutsche Drebuchautor Martin Rauhaus ("Winterreise") ins Spiel, "brachte den Bogen rein", den Aufbau. Ja, sie wollten ihr Stück erstmal in den Bundesländern voraufführen, erst dann in Wien. Und jetzt meint Rauhaus, sie sollten überhaupt einen Film daraus machen.

Rückkehr mit "Kottan" im Rabenhof

Welt-Pianist Friedrich Gulda, für viele Österreichs wichtigster, größter, genialster Klaviervirtuose, kommt auch darin vor. Doris war ihm von ihrem 24. bis 27. Jahr verbunden: "Ich hab die Lisa Engel in der sat.1-Serie ,Die Neue’ am Mondsee gedreht, und er ist mit seinem Ferrari dort rumgekurvt. Ich war sehr jung, hab ihm wohl auch gefallen. Aber nein, wir haben nie was miteinander gehabt. Ein paar Auftritte, da hab ich ihn einmoderiert, einmal auch im Konzerthaus. Er hatte immer was auszusetzen, ein hyperintelligenter Querdenker. Schrieb Briefe, mit Tipps und Richtlinien, um mich als Künstlerin anzuleiten und zu beschützen. Nach der Konzerthaus-Moderation hat er mir eine Kassette besprochen, 20 Minuten lang: Hör dir das an, liebe Doris! Ach. Diese Wucht war mir damals zu viel, empfand sie bissl grenzüberschreitend, besitzergreifend, wollte meinen Weg auch selber suchen. Hab alles weggepackt. Zu Beginn des Drehbuch­seminars sollten wir ,in alten Erlebnissen wühlen’, da sind mir die Gulda-Briefe wieder eingefallen. Und: Er hat mit jedem Wort Recht gehabt, das er mir geschrieben hat. Recht, Recht, Recht. Damals wollt ich’s nur nicht wahrhaben. Find’s aber schön, dass er jetzt wie ein Schutzpatron über unserem Projekt schwebt."

Nachdenken, die Fantasie spielen lassen, sich selber für eine Rolle mobilisieren: Bei Raimund etwa. In St. Pölten spielt Doris Schretzmayer die Fee Lacrimosa in einem österreichischen Herzensklassiker, dem ländlich-alpinen Zauberstück "Der Bauer als Millionär". Ihr fünftes Bühnenengagement. "Ich hatte großen Respekt vor dem Theater, wie viele, die von Film und Fernsehen kommen. ,Kottan’ im Rabenhof war das richtige Debüt. Leicht, komödiantisch – und im Dialekt. Ist gut gegangen, war ermutigend."

Also hat Doris jetzt die Fee Lacrimosa für sich übersetzt: "Eine Frau, die alles will. Der zu fad ist im Feenreich, weshalb sie auf die Erde fliegt, um auch dort was zu erleben. Verliebt sich und bekommt ein Kind, doch der Mann stirbt. Ihr Kind? Soll klarerweise nur das Beste haben, unter idealen Umständen und in großem Reichtum aufwachsen. Deshalb kehrt sie heim ins Feenreich. Bloß: Die Feenkönigin intrigiert. Zwei Frauen matchen sich!" Doris lacht: "Genauso, wie’s am Kinderspielplatz zugeht. Wer nie dort war, hat keine Ahnung, wie Frauen sich als Mütter aufführen können."

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