„Ich versuche, stolz auf mich zu sein“

Georg Fraberger
Wie es ist, mit einer Behinderung aufzuwachsen, wird er oft gefragt. In seinem neuen Buch gibt Georg Fraberger, der ohne Gliedmaßen zur Welt kam, Antworten darauf. Daraus wurde ein Diskurs über Glück und Lebenssinn.

Ohne Arme und ohne Beine – so wurde Georg Fraberger, Psychologe am Wiener AKH, geboren.

Er selbst schreibt in seinem neuen Buch „Ohne Leib. Mit Seele“: „Nur auf der linken Seite ist ein kleiner Fuß mit einer Länge von heute insgesamt 25 Zentimetern. Damals war das Ultraschallgerät noch nicht routinemäßig in Betrieb und die Frage nach einem lebenswerten und erfüllten Leben wurde vor der Geburt noch nicht gestellt.“ Frabeger fährt heute Auto, steuert seinen Rollstuhl und bedient seine Computertastatur. Bei unserem Besuch in der Orthopädischen Klinik am Wiener AKH fährt er wendig durch die Spitalsgänge, spricht mit Patienten und telefoniert zwischendurch.

Der 39-Jährige geht der Frage nach, worauf es im Leben ankommt und was den Menschen ausmacht. Er ist überzeugt: Es ist die „Seele“ – der Kern jeder Person – und nicht der Körper, Verstand oder Geist. Das, was man ist, jenseits von Perfektion oder Schwachstellen. „Erst wenn seelische Bedürfnisse berücksichtigt werden, kann man Ideen, Aufgaben, Projekte und Ziele verwirklichen, die jenseits körperlicher, materieller und verstandesmäßiger Grenzen liegen.“

Frabergers Gedankenreise ist von seinen persönlichen Erfahrungen geprägt – von „der Tatsache, dass ich einen Körper habe, den kaum jemand mit mir tauschen möchte“. Dennoch führt er ein Leben, von dem viele Menschen träumen. Das damit verbundene Aufbrechen und Infragestellen von Normen und Werten ist Thema dieses Buchs.

„Ich versuche, stolz auf mich zu sein“
Georg Fraberger
Der Psychologe stellt die Frage, die sich vermutlich viele stellen: Wie kann es sein, dass man als Mensch mit so einer Behinderung ein selbstständiges, erfülltes Leben führt? Daraus ergibt sich ein tiefsinniger, zuweilen philosophischer Diskurs über gute Lebensführung und das Erreichen eines erfüllten Daseins.

Im KURIER-Interview spricht Fraberger über seine Kindheit,Vaterschaft sowie gute und schlechte Momente. Und darüber, wie er seine zweite Frau kennengelernt hat.

KURIER: Sie sagen von sich, dass Sie ein erfülltes Leben führen. Was hat dazu beigetragen, Ihre viel zitierte „Seele“ zu fördern?

Georg Fraberger: Ich glaube, indem mich meine Eltern so akzeptiert haben, wie ich bin. Indem sie mich nicht versteckt haben, indem sie stolz auf mich waren. Indem sie die gesellschaftlichen Werte erweitert haben um meine Person und Personen, die auch behindert sind. – Ich habe mich entwickeln dürfen.

Ein schöner Satz.

Ja – meine Behinderung wurde nicht als das Problem angesehen, ich durfte mich mit diesen Problemen entwickeln. Ich bin in einen normalen Kindergarten gegangen, dann kurzzeitig in eine Behindertenschule. Aber meine Mutter hat dann versucht, mich in eine normale Schule zu geben, später war ich auf der Handelsakademie, in der Integrationsschule.

Ein Schritt Richtung Emanzipation?

Durchaus. Eine persönliche Assistenz hat es noch nicht gegeben. Die Schulärztin und ihre Helferin sagten, wenn ich aufs Klo muss, könne ich zu ihnen kommen. Dann musste ich mal aufs Klo, aber sie sagten, sie hätten jetzt keine Zeit. Da habe ich mich entschlossen, es anders zu machen. Ich habe stattdessen einen Schulkollegen gebeten, dass er mir hilft. Weil ich dachte, das will ich nicht, das mag ich nicht, ich suche mir einen anderen Weg.

Es scheint, als wären Sie der geborene Optimist. Gab es auch dunkle Stunden?

Ja, sicher. Ich bin Optimist, aber Pessimist genauso. Das Glück war, dass ich meine Behinderung nicht für meine Situation verantwortlich gemacht habe. Dadurch bin ich weitergegangen, das hat mich dazu gebracht, an Problemen aktiv zu arbeiten. Ich habe zwei gesunde Brüder, die hatten auch Probleme, die sie lösen mussten. Die haben mir viel geholfen und ich ihnen, in vielen Gesprächen und Streits. Erstaunlich normal.

Haben Sie sich nie die Frage gestellt: Warum ich?

Oft. Das ist dieselbe Antwort auf die Frage „Warum nicht?“ Ich kann weder das eine noch das andere beantworten. Man muss sich eher fragen, wie stelle ich die richtige Frage. Was ist die richtige Frage.

Wer hat Sie besonders unterstützt?

Eltern, Frau, Freunde – klar. Mit einer Behinderung braucht man Menschen, die an einen glauben – auch beruflich. Mir wurde damals von Prof. Kotz (Orthopädische Abtlg., AKH Wien) die Möglichkeit gegeben, als Psychologe zu arbeiten. Er hat an mich geglaubt.

Wie schaffen Sie den Alltag?

Ich habe eine persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, ich habe zwei E-Rollstühle, zwei Armprothesen, unzählige Hilfsmittel. Wenn wir irgendwo hinfahren, brauchen wir acht Steckdosen, wo man irgendwas ansteckt, was einen irgendwie unterstützt. Meine Frau hilft mir auch sehr viel, da bin ich froh. Die nehme ich überallhin mit.

Ihr Buch dreht sich um die „Seele“. Wie definiert sich diese aus Ihrer Sicht?

Die Definition überlasse ich anderen. Ich kann Ihnen nur sagen, wie ich darauf gekommen bin, dass es eine geben muss. Ich bin auch Gutachter, mache psychologische Tests. Das, was bei den Tests herauskommt, ist oft etwas anderes, als der Mensch, den ich sehe. Es gibt mehr, als wir messen können. Das nenne ich Seele oder das, was den Kern des Menschen ausmacht. Ich schreibe nichts Neues, aber ich denke, das muss in der Wissenschaft und auch in der Medizin Einzug halten.

Wie finde ich diesen Kern, die „Seele“, und das, was sie braucht?

Erstens: Man muss denken lernen – nachdenken, was man den ganzen Tag gemacht hat. Wenn ich in der Früh ins Büro eile, dort nicht glücklich bin und abends vor dem Fernseher sitze, dann muss ich nachdenken: Ist das ein gutes Leben, fühle ich mich da wohl oder nicht? Der zweite Punkt betrifft das Nachfühlen: Wie fühlt sich das an, was ich da mache? Das führt zur Frage, was ich denn gerne machen würde. Was fühlt sich für mich gut an, ohne unbedingt gesellschaftlichen Werten entsprechen zu müssen.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistung, Status und ein perfekter Körper viel zählen. Wie viel Körper braucht der Mensch?

Leistung, Materie – gut. Das sind tolle Werte, aber nicht genug. Ich habe Menschen in meiner Praxis, die haben alles – Haus, Garten, Auto, Kinder. Die fühlen sich wertlos, weil das den Sinn des Lebens nicht trifft. Sie versuchen, Werte zu erfüllen, um einen gesellschaftlichen Platz zu bekommen. Es ist aber so, dass die Seele, also der Kern, der den Menschen ausmacht, sich nicht unbedingt an diesen Werten orientiert. Ein schöner Körper ist schön, den wollen wir nicht schiachreden. Man braucht einen Körper – denn erstens: keiner will alleine sein, jeder will erkannt werden. Wir brauchen zumindest einen anderen Menschen, der uns mag, der uns liebt. Und man braucht den eigenen Körper zum Fühlen und als Projektionsfläche. Wir brauchen den Körper, die Psyche – aber auch die Seele. Weil sie uns antreibt. Sie will ebenfalls erkannt werden. Und entwickelt.

Sie widmen das Buch Ihrer Frau Sue, wie haben Sie einander kennengelernt?

Übers Internet! Ich habe mich bei einer Singlebörse eingeschrieben. Nach der Scheidung von meiner ersten Frau hat mein Bruder zu mir gesagt, Georg, registriere dich bei einer Singlebörse. Ich habe schon in schlimmere Dinge investiert! Sie war die erste Frau, die mir geschrieben hat und der ich geantwortet habe, dann sah ich sie und alles war klar. Natürlich war ich in meinem Profil 1,80 Meter groß, muskulös, schlank, gut aussehend, sportlich. Da habe ich beide Brüder hingestellt.

Und wann kam die Wahrheit raus?

Auf Skype, nach zwei Stunden telefonieren.

Wie viele Kinder haben Sie?

Vier. Ich habe ein 9-jähriges Kind aus erste Ehe, drei mit meiner jetzigen Frau. Das Jüngste wurde am 13. August geboren.

Für Ihre Kinder ist es selbstverständlich, dass der Papa so ist, wie er ist, aber bekommen sie nicht etwas Besonderes für ihren Weg mit?

Sie müssen sich mehr mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen als andere. Es ist für die Kinder schnell Normalität – indem es für mich Normalität ist. Jedes Kind ist für gewöhnlich stolz auf den eigenen Papa. Wenn ich stolz auf mich bin, kann ich das den Kindern weitergeben. Das versuche ich – ich versuche, stolz auf mich zu sein.

Sie wirken sehr stark...

Stark, denk’ ich, bin ich schon (lacht). Ich bin, so hoffe ich, auch selbstkritisch.

Im Buch geht es auch um den Wert von Leben mit Behinderung. Wie stehen Sie zu Pränataldiagnostik?

Ich bin froh, dass es sie gibt. Man muss nur schauen, dass der Wert eines Menschen immer erhalten bleibt. Denn der Sinn eines Lebens lässt sich mit Wissenschaft nicht erklären.Es gibt immer wieder Fälle von Menschen mit einer Behinderung, die zeigen, der führt ein wertvolles Leben. Und das, obwohl man es nie erwartet hätte. Das müsste man berücksichtigen, wenn man den Kern des Menschen erfasst.

Wovon träumen Sie noch?

(Denkt nach). Einen Sportwagen zu fahren, davon würde ich wirklich träumen. Wofür ich ein Talent habe, ist fahren. Rollstuhl und Auto fahren. So ein Sportwagen, wo auch ein Rollstuhl hineinpasst, wäre schon was Nettes. Das wäre ein Traum, da würde ich alles vergessen – im Sinne eines Glücks-Flows.

Ihr Lebensmotto – haben Sie eines?

Lebensmotto? (lacht): „Habe keine Chance, aber nutze sie.“

Das Buch "Ohne Leib. Mit Seele" ist im Ecowin Verlag erschienen, 21.90€. Am Mittwoch, 18.9. um 19h liest Georg Fraberger bei Thalia, Landstraße, 1030 Wien aus seinem Buch.

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