Wer gewinnt die Vierschanzen-Tournee?
Schon unmittelbar nach der Landung seines zweiten Sprungs im Bewerb von Innsbruck war Anders Jacobsen klar, dass sein Vorsprung in der Tournee-Gesamtwertung dahin ist, er mit einem Rückstand zur letzten Station der 61. Vierschanzen-Tournee nach Bischofshofen fahren wird.
"Unter Druck springt Anders nicht so konstant, die Form ist noch nicht so stabil", kennt sein norwegischer Landsmann Espen Bredesen den Grund für den verpatzten zweiten Durchgang: Jacobsen sei beim Auftakt in Oberstdorf unbelastet zum Sieg gesprungen, habe als Tournee-Führender in Garmisch den ersten Sprung verpatzt und dann als Außenseiter den besten Sprung ausgepackt und neuerlich gewonnen. In Innsbruck gelang ihm kein Sprung perfekt. "Anders springt viel besser, wenn er zurückliegt, ich erwarte ihn in Bischofshofen viel aggressiver"
Bessere schlechte Sprünge
"Anders kann es schaffen, aber es wird nicht leicht, denn er trifft auf den besten Springer der Welt", meint Bredesen, dem diese Ausgangslage nicht unbekannt ist. 1994 war er in derselben Situation: Der beste Springer der Welt hieß damals Jens Weißflog, er selbst lag vor dem Springen in Bischofshofen 12,2 Punkte hinter dem Deutschen. Den Gesamtsieg hatte er bereits abgeschrieben und sich nur auf den Bewerb konzentriert. Den gewann er dann auch, der Deutsche lag als Dritter 20 Punkte zurück. "Zehn Punkte sind in Bischofshofen leichter aufzuholen als in Innsbruck", stellte Bredesen fest.
Die Qualitäten Schlierenzauers seien jedoch nicht zu übersehen: "Er führt im Weltcup und war fast immer weit vorne. Und seine schlechteren Sprünge sind nicht so schlecht wie die von Anders."
Gregor Schlierenzauer war nicht mehr zu bremsen. Der Tiroler hatte kaum festen Boden unter den Füßen, da hob er auch schon wieder ab. Rund um ihn im ausverkauften Bergiselstadion da tobten die Massen und jubelten ihm zu, und Schlierenzauer flitzte wie aufgedreht durch den Auslauf und zog noch einmal eine emotionale One-Man-Show ab. Er fabrizierte Luftsprünge, er ließ die Siegerfäuste sprechen und kostete diesen stimmungsvollen Moment voll aus. "Es gibt einfach nichts Geileres", schrie Schlierenzauer in seiner Ekstase in die ORF-Mikrofone.
Antwort: Er lässt sich total gehen, schreit sich die Lust von der Seele und kostet jede Sekunde in seinem Wohnzimmer namens Bergisel aus. "Hier zu springen ist der reinste Genuss", gesteht der Stubaier, "mir ist es selten so kalt über den Buckel gelaufen."
Aufholjagd
Da störte es auch nicht weiter, dass der Tiroler praktisch im Blindflug ins Rampenlicht flog. Der dichte Nebel rund um den Bergisel irritierte so manchen Springer, nicht aber den Lokalmatador vom SV Innsbruck-Bergisel, der auf seiner Haus- und Hofschanze schon mehrere Hundert Sprünge absolviert hat."Als Tiroler bin ich dieses Wetter gewöhnt."
Trendwende
Anders Jacobsen, der norwegische Triumphator der ersten beiden Tourneespringen hatte da schon mehr Probleme, den Durchblick und die Haltung zu bewahren. Er sprang im ersten Durchgang nicht nur kürzer als der dominierende Österreicher, er leistete sich auch bei der Landung einen kleinen Schönheitsfehler.
Diesmal war’s ähnlich – wenn auch mit anderen Vorzeichen. Denn während Anders Jacobsen im Finale (117,5 Meter) Nerven zeigte und auf den siebenten Platz zurückfiel, trug die Woge der Begeisterung Schlierenzauer auf 123 Meter und direkt zur Gesamtführung. Nach seinem zweiten Heimsieg am Bergisel nach 2010 – dem fünften österreichischen Heimsieg in Folge – geht der Tiroler nun als Leader und Gejagter ins Tourneefinale am Sonntag in Bischofshofen.
Endstand des Springens in Innsbruck
1. Gregor Schlierenzauer AUT 131,5m / 123,0m, 253,7 Punkte
2. Kamil Stoch POL 124,5m / 123,0m, 240,9 Punkte
3. Anders Bardal NOR 125,0m / 120,0m, 235,4 Punkte
4. Severin Freund GER 125,0m / 120,5m, 234,4 Punkte
5. Peter Prevc SLO 124,0m / 121,5m, 232,3 Punkte
6. Tom Hilde NOR 121,5m / 123,0m, 230,6 Punkte
7. Anders Jacobsen NOR 127,0m / 117,5m, 230,5 Punkte
8. Lukas Hlava CZE 120,0m / 122,5m, 227,9 Punkte
9. Maciej Kot POL 121,5m / 119,0m, 226,7 Punkte
10. Martin Koch AUT 121,5m / 121,5m, 226,6 Punkte
Vierschanzen-Tournee nach drei Bewerben
1. Gregor Schlierenzauer (AUT) 827,5 Punkte
2. Anders Jacobsen (NOR) 816,8 Punkte
3. Tom Hilde (NOR) 778,3 Punkte
4. Severin Freund (GER) 777,1 Punkte
5. Anders Bardal (NOR) 769,5 Punkte
6. Kamil Stoch (POL) 767,0 Punkte
7. Andreas Wellinger (GER) 745,5 Punkte
8. Michael Neumayer (GER) 745,2 Punkte
9. Peter Prevc (SLO) 744,7 Punkte
10. Dmitrij Wassilijew (RUS) 741,9 Punkte
11. Manuel Fettner (AUT) 741,2 Punkte
Weiter:
19. Wolfgang Loitzl (AUT) 602,4 Punkte
20. Andreas Kofler (AUT) 601,3 Punkte
22. Thomas Morgenstern (AUT) 594,0 Punkte
35. Michael Hayböck (AUT) 462,2 Punkte
37. Martin Koch (AUT) 453,8 Punkte
50. Stefan Kraft (AUT) 218,9 Punkte
Gesamtweltcup nach zehn Bewerben
1. Gregor Schlierenzauer (AUT) 708 Punkte
2. Severin Freund (GER) 556 Punkte
3. Anders Bardal (NOR) 430 Punkte
4. Andreas Kofler (AUT) 416 Punkte
5. Anders Jacobsen (NOR) 382 Punkte
6. Andreas Wellinger (GER) 355 Punkte
7. Richard Freitag (GER) 266 Punkte
8. Thomas Morgenstern (AUT) 260 Punkte
9. Tom Hilde (NOR) 249 Punkte
10. Kamil Stoch (POL) 239 Punkte
11. Jaka Hvala (SLO) 234 Punkte
12. Peter Prevc (SLO) 233 Punkte
13. Simon Ammann (SUI) 217 Punkte
14. Wolfgang Loitzl (AUT) 217 Punkte
15. Michael Neumayer (GER) 207 Punkte
Weiter:
18. Manuel Fettner (AUT) 161
31. Martin Koch (AUT) 65
33. Michael Hayböck (AUT) 56
51. Stefan Kraft (AUT) 8
FIS-Renndirektor Walter Hofer hat die Kritik des deutschen Bundestrainers Werner Schuster an der Materialschlacht im Skispringen und die damit verbundene Forderung nach mehr Kontrollpersonal pariert. "Wir haben ein Reglement, das nachvollziehbar und kontrollierbar ist. Wir haben das Gefühl, dass relativ wenig Spielraum vorhanden ist", sagte Hofer am Samstag der Nachrichtenagentur dpa.
Nach dem dritten Wettbewerb der Vierschanzentournee in Innsbruck hatte Schuster verbittert festgestellt: "Es ist ein Materialkrieg im Gange, speziell bei den besten Nationen. Es geht um Geld und Prestige, da wird enorm viel investiert. Das Skispringen war ein halbes Jahr fair, das war im Sommer. Im Winter können es sich nur die großen Nationen leisten, mitzurüsten. Die gesamte Skifamilie ist gefordert, da eine bessere Lösung zu finden."
Nach Ansicht von Schuster müssten die Materialkontrollen, für die der Österreicher Sepp Gratzer zuständig ist, verschärft werden. Doch Hofer sieht dafür keinen Anlass. "Es steht jedem frei, bei der FIS zu beantragen, dass wir noch mehr Personal einsetzen. Der Vorschlag muss nur konkretisiert werden", konterte der Renndirektor und fügte hinzu: "Wir haben mehr Kontrollsysteme, als den Trainern augenscheinlich zugänglich ist."
So sei Gratzer bei der Vierschanzentournee ohne das Wissen der Athleten von der Renndirektorin des Damen-Skisprungs unterstützt worden. "Wir schaffen es nicht, in jedem Durchgang jeden Springer zu kontrollieren. Aber an einem Wochenende haben wir alle durch. Und keiner weiß, zu welchem Zeitpunkt was kontrolliert wird", versicherte Hofer.
Diskussionen
Im Verlauf der 61. Vierschanzentournee wurde heftig diskutiert: Über die neuen Anzüge, deren Luftpolster vor dieser Saison von sechs auf zwei Zentimeter reduziert worden war, einen angeblichen "Wunder-Schuh" der Norweger sowie versteifte Ski. "Es ist ein Wettrüsten. In allen Bereichen gibt es Möglichkeiten, für sich einen Vorteil herauszuholen", erklärte Schuster.
Er deutete Unregelmäßigkeiten an, ohne jedoch konkrete Schuldzuweisungen zu machen. "Vielleicht wird gar nicht gemogelt, aber es wird alles maximal ausgereizt. Manchmal wird die Grenze überschritten und die FIS erkennt das, manchmal wird es nicht entdeckt. Es ist auf jeden Fall ein Bewegen am Limit", stellte Schuster fest.
Hofer weiß darum, glaubt aber fest an die Fairness der Athleten. "Ich habe in 31 Jahren, die ich dabei bin, noch keinen Spitzenathleten im Skispringen kennengelernt, der nicht ein ehernes moralisches Verständnis hat, seinen Sieg mit fairen Mitteln zu erkämpfen. Die sind alle für Kontrollen und unsere besten Mithelfer", betonte der gebürtige Kärntner.
Vor knapp einem Jahr feierte Thomas Morgenstern in Bischofshofen seinen 22. Weltcup-Sieg - es sollte bis dato sein letzter bleiben. Sportliches Erfolgserlebnisse waren seither rar, bei der Tournee lief es für den 26-Jährigen bis gar nicht nach Wunsch. Privat gab's mit der Geburt von Tochter Lilly dafür einen Höhepunkt. Doch spätestens bei der WM Ende Februar will der Olympiasieger, Weltmeister und Weltcup-Gewinner wieder an der Spitze mitmischen.
Heinz Kuttin, Stützpunkttrainer und eine Vertrauensperson Morgensterns, sieht den Jung-Vater auf einem guten Weg. "Thomas ist voll motiviert und steht in einem Arbeitsprozess", erklärte der Kärntner. Morgenstern habe wegen des späteren Einstiegs im Sommer Probleme mit der Umstellung auf die engeren Anzüge gehabt. "Thomas springt sehr aggressiv. Jetzt darf er nicht mehr Vollgas geben, sondern muss mehr mit Gefühl springen."
Verlorener Faden
Beim Saisonauftakt habe das auch sehr gut geklappt, danach habe Morgenstern etwas den Faden verloren und sei unsicher geworden, meinte Kuttin. "Aber er arbeitet sehr gut, ich bin überrascht, wie er das wegsteckt." Morgenstern selbst wirkt nach außen hin locker und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Für die Phase, in der ich jetzt stehe, läuft es ganz gut", betonte der Athlet des SV Villach. Sein erklärtes Fernziel ist Sotschi 2014. Dort will er den Olympiasieg von Turin 2006 wiederholen.
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