"Stillstand wäre das Schrecklichste"

"Stillstand wäre das Schrecklichste"
Alexander Pointner, der Erfolgstrainer der ÖSV-Skispringer über Siegeshunger, Papierflieger & Lagerkoller

Alexander Pointner steht mit seinen Skispringern hoch im Kurs. In seiner Ära haben die österreichischen Adler alles gewonnen, was es im Reich der Schanzen zu gewinnen gibt. Am Freitag heben die Österreicher in Lillehammer in die neue Saison ab.

KURIER: Gehen den österreichischen Springern langsam die Ziele aus?
Alexander Pointner: Es stimmt schon, für uns wird der Spielraum nach oben immer kleiner. Die Öffentlichkeit erwartet ja nur mehr Siege und Medaillen, und die am besten in Gold. Es sieht von außen vielleicht alles so leicht aus, aber das ist nicht so. Es wird auch durch die Erfolge nicht leichter. Im Gegenteil: Nach den tollen Saisonen muss man sich schon genau Gedanken machen, was man noch verbessern kann.

Wo orten Sie denn noch Potenzial?
Das Schöne ist, dass unsere Leute alle noch in ihrer Entwicklung stecken, selbst die älteren. Das sehen sie übrigens selbst so: Unsere Springer wissen, dass sie sich noch in der Ausbildung befinden. Das ist ein sehr guter Zugang. Denn Stillstand wäre das Schrecklichste. Nur mit Verwalten kannst du dich im Skispringen nicht behaupten.

Und welche neuen Reize haben Sie dann konkret gesetzt?
Man darf nicht den Fehler machen, sich zu sehr auf die Details in Kraft, Technik oder Kondition zu versteifen. Dafür ist das Skispringen viel zu komplex. Außerdem bin ich der Meinung, dass man nicht nur an der Pyramidenspitze arbeiten soll, sonst ist irgendwann das Fundament nicht mehr da und alles bricht zusammen. Man sollte ja nie die Basisarbeit vergessen.

Heißt das, Ihre Athleten haben das Skisprung-ABC noch einmal neu erlernt?
Wir sind jedenfalls back to the roots gegangen. Ein Thomas Morgenstern ist zum Beispiel wie in seiner Kindheit mit Alpinski springen gegangen, auf 30-Meter-Schanzen. Wir haben uns bewusst die Zeit genommen für solche Sachen, vor allem auch damit unsere Springer sich geistig regenerieren können.

Ist Skispringen denn in erster Linie ein Abenteuer im Kopf?
Spitzenathleten, wie wir sie haben, sind während der Saison sicher mehr gefordert als Springer, die wenig Erfolg haben. Die öffentlichen Auftritte, die Termine, da ist es wichtig, dass sie Abstand gewinnen und nicht den ganzen Tag nur ans Skispringen denken. Ich will sogar, dass sie in andere Welten eintauchen: Mir gefällt es, wenn ich sehe, dass Morgenstern mit dem Hubschrauber fliegt und Gregor Schlierenzauer fotografiert.

Sie arbeiten seit 2004 praktisch durchgehend mit den gleichen Springern. Gibt’s da keine Abnützungserscheinungen oder Formen von Lagerkoller?
Das ist ja genau das Ziel und eine der größten Motivationen, obwohl wir mit diesem Team schon alles gewonnen haben: Die wahre Herausforderung ist es, so eine erfolgreiche Mannschaft arbeitsfähig und produktiv zu halten, damit sie trotz allem nie den Spaß verliert.

Wie hält man Seriensieger und Alphatiere bei Laune?
Da geht es in erster Linie um eine gute Kommunikation. Wenn die Leute Persönlichkeiten werden, dann wird es umso wichtiger, dass das gemeinsame Reden und das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommen. Man kann das oft in der Wirtschaft beobachten: Die Leute galoppieren davon, jeder geht seinen eigenen Weg, das Reden wird eingestellt und dann bricht das ganze zusammen wie ein Kartenhaus. Umso schöner ist es zu sehen, dass die Skisprungfamilie funktioniert.

Für einen jungen österreichischen Skispringer ist es heute aber fast aussichtslos, Aufnahme in diese Familie zu finden. Fehlen da nicht die Perspektiven für die Zukunft?
Einspruch. Wir haben sogar die besten Perspektiven in Österreich. Ich hab’ das öfter schon gehört: "Bei anderen Nationen wären der oder der Fixstarter." Stimmt, aber sie wären wahrscheinlich nur irgendeine Nummer.

Wenn du es aber in die österreichische Mannschaft schaffst, dann bist du definitiv wer, dann hast du es geschafft. Man muss das auch aus diesem Blickwinkel sehen. Mir ist lieber, die Athleten entwickeln sich in Ruhe und reifen dabei auch noch zur Persönlichkeit. Außerdem darf man nicht von einem Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern ausgehen, die mit 16 schon Weltklasse waren. Der übliche Weg ist ein anderer.

Apropos anders: Die Anzüge der Adler sind über den Sommer deutlich enger geworden. Hat sich dadurch das Skispringen verändert?
Wir haben uns schon sehr viele Gedanken darüber gemacht und viel im Windkanal getestet. Der Laie wird vielleicht auf den ersten Blick wenig Unterschiede merken, aber einiges ist schon anders.

Dann erklären Sie für Laien bitte einmal den Unterschied.
Man kann sich das so vorstellen: Jedes Kind kann mit wenigen Handgriffen einen Papierflieger basteln, und die fliegen dann meistens auch recht gut. Es gibt aber auch Modelle, die leistungsfähiger sind und weiter fliegen. Aber da muss man dann schon sehr genau falten, mit Gefühl. So ist das jetzt mit den neuen Anzügen: Man muss jetzt einfach viel genauer springen, weil man weniger kaschieren kann und sich einfach weniger leisten kann. Die Anzüge verzeihen jetzt weniger Fehler. Aber das sollte eigentlich für unsere Springer sprechen.

2004/'05

WM: Gold im Mannschaftsspringen auf der Großschanze. Gold im Mannschaftsspringen auf der Normalschanze

Sieg im Nationencup

2005/'06

Olympia: Gold (Thomas Morgenstern), Silber (Andreas Kofler). Gold im Mannschaftsspringen

Skiflug-WM: Silber (Andreas Widhölzl), Bronze (Thomas Morgenstern)

Sieg im Nationencup 

2006/'07

WM: Gold im Mannschaftsspringen. Bronze auf der Normalschanze (Thomas Morgenstern)

Sieg im Nationencup

2007/'08

Weltcup: Gesamtsieg (Thomas Morgenstern)

Skiflug-WM: Gold (Gregor Schlierenzauer), Silber (Martin Koch), Gold (Mannschaft)

Sieg im Nationencup

2008/'09

WM: Gold Normalschanze (Wolfgang Loitzl), Silber Normalschanze (Gregor Schlierenzauer), Gold im Mannschaftsspringen

Tournee-Sieg Wolfgang Loitzl

Weltcup: Gesamtsieg (Gregor Schlierenzauer)

Sieg im Nationencup

2009/'10

Olympia: Bronze Normalschanze (Schlierenzauer), Bronze Großschanze (Schlierenzauer), Gold im Mannschaftsspringen

Skiflug-WM: Gold Mannschaft, Silber (Schlierenzauer)

Tournee-Sieg Andreas Kofler

Sieg im Nationencup

2010/'11

WM: Normalschanze: Gold (Morgenstern), Silber (Kofler). Großschanze: Gold (Schlierenzauer), Silber (Morgenstern). Mannschaft: Gold Normalschanze, Gold Großschanze.

Tournee-Sieg Thomas Morgenstern

Weltcup-Gesamtsieg Morgenstern

Sieg im Nationencup

2011/'12

Skiflug-WM: Bronze (Martin Koch), Gold Mannschaft

Tournee-Sieg Gregor Schlierenzauer

Sieg im Nationencup

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