4 Gründe für den 4. Streich

Marcel Hirscher
Marcel Hirscher gewinnt als erster alpiner Rennläufer zum vierten Mal hintereinander den Gesamtweltcup.

In manchen klassischen, von mächtigen Gebirgsketten umgebenen Skiorten, gestand Marcel Hirscher einmal, halte er es kaum länger als drei Tage aus. "Weil mir sonst die Berge auf den Kopf fallen." In Méribel aber schließt der Bursche, der sich oft nach der Weite des Flachlands sehnt, seinen alpinen Gipfelsturm mit einem Ski-Weltrekord ab. Als erster Rennläufer wird der Sohn einer Holländerin und eines Salzburger Skilehrers am Sonntag zum vierten Mal hintereinander als Gesamtweltcupsieger geehrt werden.

Zwar erwies sich der norwegische Speedspezialist Kjetil Jansrud als ebenso zäher wie fairer Konkurrent, der im Riesentorlauf noch erstaunlicher (mit 24 Punkten honorierter) Elfter wurde. Auf einen angedachten Start im Slalom aber verzichtet Jansrud, somit stand Hirscher schon vor dem letzten Rennen als uneinholbarer Erster fest.

Hatte Hirscher vor zwei Wochen noch den Riesentorlauf von Garmisch-Partenkirchen mit einem Riesenvorsprung von mehr als drei Sekunden gewonnen, so wurde für den bereits als Riesenslalom-Disziplinsieger feststehenden 26-Jährigen der finale Riesenslalom in Méribel zu einer riesigen Nervenprobe. Was vor allem an Jansrud lag, der im zweiten Durchgang einige Minute lang sogar führte. "Ich habe vor jedem Läufer meinen Physio gefragt: Ist der jetzt vor oder hinter Jansrud? Dann hörte ich: Der ist hinter Jansrud. Bei jedem Läufer haben meine Knie mehr zu zittern begonnen."

Als Halbzeit-Sechster gelang es ihm, im zweiten Lauf die richtige Mischung zwischen Angriff und dosiertem Risiko zu finden. Obwohl taktisches Fahren für Hirscher bislang ungewohnt war. Für seinen vierten Gesamtweltcupsieg gibt es vier andere Gründe:

1.) Begnadetes Skitalent gepaart mit mentaler Stärke. Kein anderer kann sich mit dermaßen viel Konstanz auf ein Topereignis fokussieren und selbst am Renntag noch Autogramme und Interviews geben wie Hirscher.

2.) Kondition. Aus dem einst schmächtigen Juniorenweltmeister ist ein Topathlet geworden. Auf 1,73 Meter verteilt, scheint er nur aus Muskeln zu bestehen. Dazu hat er sich seit seiner Kindheit mit koordinativen Übungen (Seiltanzen, Slack Line) ein außergewöhnliches Balancegefühl angeeignet.

3.) Material-Tüftelei. Hirscher testete bis zu hundert Paar Ski, verfügt über zig paar Skistiefel, experimentiert wochenlang mit Bindungsplatten – auch wenn er Ausrüster mit seiner Hartnäckigkeit zuweilen nervt .

4.) Umfeld. Papa Ferdinand gilt als Vater des Erfolgs. In Absprache mit ihm bilden der vom ÖSV finanzierte PrivatTrainer Mike Pircher, Hermanns Maiers ehemaliger Servicemann Edi Unterberger, Atomic-Rennchef Christian Höflehner , PR-Mann Stefan Illek (sie alle kennen einander seit Jahren) und Physio Alexander Fröis ein Betreuerteam, das ÖSV-Chefcoach Andreas Puelacher selbstständig agieren lässt.

Marcel Hirscher hat Geschichte geschrieben. Der 26-jährige Salzburger ist eine Ausnahmeerscheinung im alpinen Rennsport, Rekorde gewinnen für ihn zunehmend an Bedeutung. Das Einzige, das dem Supertechniker in seinem Steckbrief noch fehlt, ist Olympiagold.

Mit der vierten großen Kugel zog Hirscher mit seinem Landsmann Hermann Maier, Gustavo Thöni (ITA) und Pirmin Zurbriggen (SUI) gleich, voran liegt mit fünf Trophäen der Luxemburger Marc Girardelli. An kleinen Kristallkugeln hat der Annaberger je zwei für Riesentorlauf- und Slalomwertung daheim, am Sonntag könnte nach dem letzten Weltcup-Saisonrennen in Meribel eine weitere Torlauf-Trophäe hinzukommen.

30 Weltcuprennen hat der Absolvent der Hotelfachschule Bad Hofgastein bisher in seiner Karriere gewonnen, 15 im Slalom, 14 im Riesentorlauf und einen Parallelbewerb. Er liegt damit im vom Schweden Ingemar Stenmark angeführten Ranking (86) an achter Stelle, vor ihm sind noch seine Landleute Hermann Maier (54) und Benjamin Raich (36). Er ist der Österreicher mit den meisten Slalomsiegen und ex aequo mit Maier und Raich meisten RTL-Erfolgen.

Dreifacher Junioren-Weltmeister

Bei Olympischen Spielen hat Hirscher 2014 in Sotschi/Krasnaja Poljana die Silbermedaille im Slalom erobert, bei Weltmeisterschaften ist er vierfacher Titelträger. Er holte 2013 bei der Heim-WM in Schladming die Goldmedaille im Slalom und 2015 in Vail/Beaver Creek in der Kombination, 2013 und 2015 war er mit der ÖSV-Mannschaft Team-Weltmeister. Dazu kommen jeweils Silbermedaillen im Riesentorlauf 2013 und 2015.

Der dreifache Junioren-Weltmeister und Europacup-Gesamtsieger 2007/08 fuhr im Dezember 2009 beim Riesentorlauf in Val d'Isere seinen ersten Weltcup-Sieg ein, der Übergang vom erfolgreichen Nachwuchsläufer zum Jungstar war geglückt. Als solcher wurde Hirscher aufgrund seines enormen Talents und Potenzials recht rasch in den Medien bezeichnet.

Vater Ferdinand Hirscher bemerkt bei seinem Sohn den gleichen Erfolgshunger wie noch vor ein paar Jahren. "Er ist hungrig, explosiv, aggressiv. Das Feuer lodert schon noch gleich", sagte der Senior in Meribel. Wo es in Zukunft hingehen werde, sei momentan schwer einzuschätzen. "Vielleicht entschließt er sich in ein paar Jahren, dass er überhaupt Richtung Speed geht", wäre eine mögliche Variante. Denn wieviel Spaß ihm das macht, ist nicht zu übersehen.

Marcel Hirscher, dem der Titel Olympiasieger noch verwehrt geblieben ist, befindet sich auf dem Weg zur Legende. Und er beschäftigt sich auch immer mehr mit Rekorden. "Gegenüber noch vor drei Jahren ist jetzt die Zeit gekommen, dass mir Rekorde immer wichtiger werden. Ich schaue auch immer mehr auf Zahlen in der Geschichte des Skisports. Rekorde sind doch das, was von einem bleibt in der Geschichte, wenn man einmal seine Karriere beendet", sagte er kürzlich.

Serviceteam

Rund um das 1,73 m große Kraftpaket mit niederländischer Mutter Sylvia wurde im Laufe der Jahre eine eigene Einheit innerhalb der ÖSV-Mannschaft installiert. "Unterstützer und Optimierer" Vater Ferdinand ist nach wie vor bei jedem Training und Rennen mit dabei, sofern er dafür nicht ins Flugzeug steigen muss. Vertrauenstrainer Michael "Mike" Pircher wurde vom ÖSV eigens abgestellt, immer an der Seite des Atomic-Piloten sind auch Physiotherapeut Alexander Fröis und Medienbetreuer Stefan Illek sowie natürlich Servicemann Edi Unterberger. Privater Halt ist Freundin Laura Moisl.

Der vierte Gesamtweltcupsieg löste im Hirscher-Lager vor allem "Freude" aus. "Wir sind vom Schicksal ziemlich gebeutelt in unserer Familie. Mein Bruder ist Komapatient, der ist acht Meter vom Dach runtergefallen. Da relativiert sich alles, da ist man immer am Boden. Da ist Überheblichkeit uninteressant. Ich definiere das mit Freude", beschrieb Ferdinand Hirscher in Hochsavoyen seine Gefühle.

Als neuerlicher Gesamtweltcupsieger darf sich Marcel Hirscher damit wieder Hoffnung auf die Auszeichnung "Österreichs Sportler des Jahres" machen. 2012 hat er gewonnen, 2013 und 2014 musste er sich jeweils Bayern-München-Fußballstar David Alaba geschlagen geben.

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