Der Mythos Ferrari und sein Wächter

Luca di Montezemolo
Der abgetretene Präsident polierte die Marke auf.

Braut und Bräutigam hatten gerade die Kirche in der toskanischen Hügellandschaft verlassen. Sie strahlte und badete im Reisregen, da hatte er schon beide Hände voll zu tun. Das kostbare Image stand auf dem Spiel. Und da versteht der avvocato keinen Spaß. Ein Paparazzo hatte sich unter die elitäre Festmenge gemischt und versucht, fotografisch festzuhalten, wofür die Boulevardpresse 2000 jeden Preis zu zahlen bereit war.

Niemand hatte den Eindringling bemerkt. Die Bodyguards nicht, die Trauzeugen – Fiat-Eigentümer Gianni Agnelli und Milliardärskollege Diego Della Valle – ebenfalls nicht. Nur Luca Cordero di Montezemolo. Also setzte der Bräutigam den Knipserling eigenhändig vor die Tür. Und lächelte keine zwei Sekunden später mit Ludovica Andreoni, seiner um 23 Jahre jüngeren Angetrauten in zweiter Ehe, in die Kamera des eigenen Hof-Fotografen.

Der 67-jährige Gentleman, der am Mittwoch nach 23 Jahren seinen Rücktritt als Ferrari-Präsident bekannt gab, hatte immer schon ein Gespür für Inszenierungen. Montezemolo tritt nicht auf, er erscheint auf der Bühne, begleitet von der Leichtigkeit, der Noblesse und der Grandezza, die nur ein smarter Edelmann an den Tag legen kann. Montezemolo ist ein geborener Showman. Er versteht es, sich zu zelebrieren. Im Endeffekt dreht sich alles um ihn. Seine Auftritte sind deswegen auch so hollywoodreif, weil sie minutiös geplant sind. Montezemolo überlässt nichts dem Zufall.

Erbgut

Was nach außen so spielerisch und elegant wirkt, ist härtester Arbeit, Willenskraft und eiserner Disziplin geschuldet. Montezemolo hasst Überraschungen. Findet er an der Strecke von Fiorano einen Zigarettenstummel, findet er auch den Übeltäter.

Montezemolo versteht sich als Wächter und Vermittler des Mythos Ferrari. Bei unserem ersten Meeting im Jänner 2000 hat er mir die Firmenwerte des springenden Pferdes in einem zweistündigen Monolog ins Gehirn gehämmert: "Das Image von Ferrari ist das höchste Gut." Und unterstrichen, wie wichtig es sei, das kostbare Erbgut zu schützen und zu pflegen.

Montezemolo ging bei Enzo Ferrari, dem legendären Firmengründer, in die Lehre. Die systematische Informationsverknappung war Grundlage für die Legendenbildung. Enzo Ferrari legte jedes Wort auf die Goldwaage. Montezemolo, zu Beginn seiner Karriere Fiat-Öffentlichkeitssprecher, Gerüchten zufolge Ferraris unehelicher Sohn, legte nach. Er baute Maranello sukzessive aus und machte Ferrari zum berühmtesten Markennamen weltweit.

Botschafter

Montezemolo war über Jahrzehnte der perfekte Markenbotschafter. Unter seiner Ägide wurde die Scuderia 2000 erstmals nach 21 Jahren wieder Formel-1-Weltmeister, in Folge noch vier weitere Mal. Die Umsatzzahlen der Acht- und Zwölfzylinder-Straßenautos vervielfachten sich. Die Traditionsmarke Maserati, die er ebenfalls unter seine Fittiche nahm, ist saniert. So gesehen hielt er sich womöglich zu Recht für die Reinkarnation von Enzo Ferrari, dem commendatore.

Montezemolo ist ein Vollblut-Manager mit außergewöhnlicher Menschenkenntnis. Er hat ein Elefanten-Gedächtnis und besitzt die seltene Gabe, jedem das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Als ich ihm 2002 eröffnete, Ferrari aufgrund eines Angebotes der Kandidatur Österreich-Schweiz zur EURO 2008 zu verlassen, gratulierte er mir. Womöglich, weil er 1990 selbst die Fußball-WM in Italien organisiert hatte. Heuer, im Mai, bei der Gedenkmesse für Umberto Agnelli habe ich ihn nach langer Zeit die Hand geschüttelt. Ich war mir gar nicht sicher, ob er mich noch erkennen würde. Bis er plötzlich schmunzelte: "Complimenti! Das mit der EURO hast du gut hingekriegt!"Bernd Fisa, früher Sportredakteur beim KURIER, war 2000 bis 2002 Pressesprecher von Ferrari. Heute ist er Medienberater der FIFA.

Luca Cordero di Montezemolo wurde am 31. August 1947 in Bologna als Sohn eines Adeligen geboren, fuhr Autorennen und studierte in New York Handelsrecht. Der 67-Jährige ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder. Am 13. Oktober übergibt er den Verwaltungsratsvorsitz bei Ferrari nach 23 Jahren an Fiat-Chef Sergio Marchionne.

Kommentare