Nach Spa-Crash weitet sich die Kampfzone aus

Nach der kurzen Berührung mit großen Folgen herrscht dicke Luft im Mercedes-Rennstall.
Das WM-Duell der beiden Mercedes-Fahrer beschäftigt Deutsche, Briten, zwei Österreicher und einen Australier.

Es war nur eine kurze Berührung zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton am Sonntag beim Großen Preis von Belgien, den Bruchteil einer Sekunde waren sich die beiden Mercedes-Piloten in die Quere gekommen.

Abendfüllend ist im Internet bereits die Lektüre zum Unfallhergang und seiner Bedeutung, mit einer 38-minütigen Aussprache begnügten sich die Verantwortlichen im Fahrerlager von Spa. Mit dem Ergebnis? Es gibt keines.Es wurde weder ein neuer Regelkatalog für das Verhalten auf der Rennstrecke festgelegt, noch die Schuldfrage restlos geklärt. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff warnte jedenfalls vor "Schnellschüssen". Zu heikel sei die Angelegenheit, zu aufgeheizt die Stimmung. "Nico hat zugegeben, dass er im Duell nicht zurückgesteckt hat, aber er hat nicht zugegeben, absichtlich einen Unfall verursacht zu haben", betonte der Wiener.

Angriffslustig

Ungewohnt angriffslustig gab sich Rosberg, der nach einem Tausch des Frontflügels noch Rang zwei in Belgien über die Ziellinie retten konnte: "Ich war schneller als Lewis und sah meine Chance. Warum sollte ich warten?"

Zuvor hatte Hamilton, der das Rennen nicht beenden konnte, eine etwas andere Version der Aussprache wiedergegeben: "Nico hat gesagt, dass er die Kollision hätte verhindern können, aber er habe es gemacht, weil er ein Zeichen setzen wollte."

Dem 29-jährigen Deutschen wurde immer wieder fehlende Wettkampfhärte angelastet. In Bahrain im April waren sich die beiden erstmals nahegekommen, doch Hamilton demonstrierte Stärke und Kompromisslosigkeit. Vor vier Wochen in Ungarn widersetzte sich der Brite einer Teamanweisung und bremste Rosberg ein.

Ins Bild passt, dass die beiden Rivalen ihre verbalen Spitzen über die jeweilige nationale Presse aussenden lassen. Längst ist der Mercedes-Titelkampf auch ein Duell der beiden Lager: britische Motorsport-Avantgarde gegen neue deutsche PS-Welle. Und in der Mitte zwei Österreicher: Wolff und Team-Aufsichtsrat Niki Lauda versuchen zu vermitteln.

Ein schwieriges Unterfangen. "Mercedes-Bosse machen Rosberg platt. Hammerharte Kritik nach Crash mit Hamilton. Rosberg, der Prügelknabe von Spa", titelte die deutsche Bild-Zeitung. Die Schlagzeile der britischen Times liest sich wie ein Konter: "Hamilton hatte sich mit einem unaufhaltsamen Stier verglichen, doch Rosberg brauchte zwei Runden, um in die Gestalt des Toreros zu schlüpfen und den Spieß in seine Seite zu setzen."

Antastbar

Die Fakten tun ihr Übriges zur angespannten Lage in der Daimler-Zentrale: Mercedes ist zwar weiterhin die dominante Kraft der Formel 1 im Jahr 2014, jedoch längst nicht mehr unantastbar.

Hamilton werfen immer wieder technische Defekte aus der Rennbahn, Rosberg ließ zuletzt seine Konstanz vom Jahresbeginn vermissen: Vier Polepositions konnte der WM-Führende an den vergangenen vier Grand-Prix-Wochenenden in lediglich einen Sieg verwandeln. Die Punkte-Ausbeute der jüngsten sechs Rennen ist angesichts der Stärke des Silberpfeils alarmierend: Ricciardo 102 Punkte, Rosberg 98, Bottas 76, Hamilton 73.

Verringert Belgien-Sieger Daniel Ricciardo seinen Rückstand auf die Spitze (derzeit 64 Punkte) weiter, ist der australische Red-Bull-Pilot ein seriöser Anwärter auf den WM-Titel. Zur Erinnerung: Im letzten Saisonrennen in Abu Dhabi werden heuer erstmals doppelte Punkte vergeben – sprich: 50 für den Sieger. "An so ein Szenario will ich gar nicht erst denken", sagt Niki Lauda. Doch er tut es bereits.

So sieht die internationale Presse den ereignisreichen Grad Prix von Spa:

Bild: "Mercedes-Bosse Niki Lauda und Toto Wolff machen Rosberg platt. Hammerharte Kritik nach Crash mit Hamilton. Rosberg, der Prügelknabe von Spa. Jetzt gibt's Team-Krieg."

Die Welt: "Der Große Preis von Belgien wird vom lange befürchteten Unfall der beiden Mercedes-Piloten Rosberg und Hamilton überschattet. Die nun angedrohten Konsequenzen kommen zu spät. Rosbergs Gesichtsausdruck wollte sich partout nicht der Champagnerlaune auf dem Podest anpassen."

Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Fliegende Fetzen! Der Streit bei Mercedes eskaliert in den Ardennen: Die Kollision zwischen Rosberg und Hamilton macht den Weg für den Sieg von Ricciardo frei."

Süddeutsche Zeitung: "Der Grand Prix in Spa-Francorchamps ist ein Klassiker im Formel-1-Kalender. Und die Ausgabe 2014 brachte einen Crash hervor, der das Zeug hat, als Klassiker in die Geschichte der Sportart einzugehen. 'Unakzeptabel' - Toto Wolff und Niki Lauda hatten sich schnell auf ein Wort geeinigt."

El Pais: "Messerstechereien bei Mercedes. Ricciardo profitiert von einem Disput zwischen Rosberg und Hamilton, um seinen dritten Sieg zu erringen."

El Mundo: "Krieg außer Kontrolle. Das Duell bei Mercedes verschärft sich. Rosberg richtet Hamilton zugrunde."

Marca: "Ricciardo bringt den vierfachen Weltmeister aus der Fassung. Daniel schafft seinen dritten Sieg mit Red Bull, während Vettel weiterhin bei Null ist."

Telegraph: "Welche Strafe Mercedes auch immer Nico Rosberg auferlegt, für seine Beziehung zu Lewis Hamilton gibt es keine Zukunft mehr."

Der Belgien-GP stand im Zeichen des Mercedes-Duells. Doch auch die Randnotizen haben historisches Potenzial: Das Podium in Spa (Ricciardo, Rosberg, Bottas) war das erste seit sechs Jahren, auf dem keiner der vier bestimmenden Piloten (Vettel, Hamilton, Alonso, Button) der vergangenen Jahre zu sehen war. Zuletzt geschah dies 2008 in Ungarn (Kovalainen, Glock, Räikkönen). Ferrari-Fahrer Alonso wartet wie sein Teamkollege Räikkönen weiterhin auf den ersten Sieg 2014. Gelingt der heuer nicht mehr, wäre es die erste sieglose Saison für die Italiener seit 1995 (Berger/Alesi).

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