Jürgen Melzer schlägt Dominic Thiem

Volles Haus: Thiem füllte die Ränge - und unterlag
Im Duell der Niederösterreicher siegt der 35-jährige Jürgen Melzer über den zwölf Jahre jüngeren Dominic Thiem.

Eine der größten Sensationen der österreichischen Tennis-Geschichte ist am Mittwoch Jürgen Melzer gelungen. Der nach einer Langzeitverletzung auf ATP-Rang 421 zurückgefallene Niederösterreicher bezwang beim Generali Open in Kitzbühel im Achtelfinale Topstar Dominic Thiem völlig unerwartet nach 77 Minuten mit 6:3,7:5. Nun kommt es am Donnerstag (2. Match nach 14.00 Uhr) zum Bruder-Duell mit Gerald.

5800 Fans im erstmals seit vielen Jahren ausverkauften Stadion kamen aus dem Staunen nicht heraus. Nicht Dominic Thiem, der in Österreich in den vergangenen Monaten einen Tennis-Hype ausgelöst hatte und wegen dem ein Großteil der Fans gekommen war, sondern der 35-jährige Altstar Jürgen Melzer zwang der Nummer neun der Welt sein Spiel auf.

Nach einem Break zum 5:3 holte Melzer den ersten Satz nach 33 Minuten, doch an die Sensation glaubte zu dem Zeitpunkt dennoch noch niemand. Thiem hatte zuvor im dritten Game drei Breakbälle gegen Melzer ausgelassen, er sollte auch im Rest des Spiels dem 35-Jährigen keinen Aufschlag abnehmen. Im Gegenteil: mit einem Break zum 6:5 holte sich Melzer die Chance, das Match auszuservieren - und tat es.

Ein bisschen Harakiri

Wie war das möglich? Nach zehn Monaten Pause, wenig Matchpraxis und als krasser Außenseiter? „Ich glaube, mit einer perfekten Taktik und dem einen oder anderen Quäntchen Glück natürlich auch. Das gehört immer dazu, wenn man einen Top-Ten-Spieler schlagen will“, analysierte Melzer. „Viel hat nicht für gesprochen heute, aber der Druck, den er natürlich hat, der hat schon für mich gesprochen. Ich glaube, dass ich es vom ersten bis zum letzten Ball einfach durchgezogen hat und mir viele Dinge aufgegangen sind.“

Mit einer aggressiven Return-Taktik („war ein bisschen Harakiri“), und einer Lockerheit, von der Thiem an diesem Tag weit entfernt war. Er habe versucht, die Punkte kurz zu halten, sagte Melzer. „Ich brauche mit ihm von hinten nicht Rallye spielen, da bin ich Zweiter, das weiß ich.“ Und so gelang Melzer eine Umkehrung der Ereignisse: 2013 war er dem 17-jährigen Thiem in Kitzbühel mit 5:7,3:6 unterlegen - nach 76 Minuten, diesmal drehte Melzer den Spieß um.

Melzer freute sich über die tolle Stimmung im Stadion: „Unglaublich, aber ich weiß, dass die Leute nicht wegen mir da waren. Es wäre auch voll gewesen, wenn er gegen Taro (Daniel, sein Erstrundengegner, Anm.) gespielt hätte.“

Eine Superleistung

Aus Sicht des Unterlegenen hörte sich das freilich ganz anders an. „Hochachtung vor dem Jürgen, der hat eine Superleistung gebracht. Er war einfach stark, ich habe viel zu viele Fehler gemacht“, sagte Thiem noch im ORF Fernsehen, später sprach er auch von körperlicher Schwäche. „Ich habe mich körperlich nicht so wohlgefühlt, das gehört jetzt noch einmal abgeklärt in Wien, bevor ich nach Toronto fliege.“ Dies solle aber auf keinen Fall Melzers Leistung schmälern, dieser habe verdient gewonnen.

Erst nach über einer Stunde und einem langen Gespräch mit Coach Günter Bresnik erschien Thiem. „Sicher bin ich enttäuscht, aber das Turnier hat morgen Melzer/Melzer, plus ein Österreicher ist im Halbfinale. Für das Turnier ist es das geringste Problem“, glaubt Thiem, den es wurmte, dass das Stadion erstmals seit vielen Jahren ausverkauft war und er „sehr weit weg von meiner Bestform“ war.

Die hohe Erwartungshaltung habe keine Rolle gespielt, versicherte der siebenfache Turniersieger aus Lichtenwörth. Und die große Gams zu holen, dafür habe er noch Zeit. „Ich bin 22 und habe hoffentlich noch, elf, zwölf Chancen auf die Gams - ich werde sie mir hoffentlich irgendwann holen.“

Sein Coach Günter Bresnik sah die Entwicklung seit der Stirn- und Nebenhöhen-Eiterung seines Schützlings ein bisschen so kommen. „Es ist zehn Tage her, dass Dominic erstmals wieder gespielt hat. Er hat in den zehn Tagen seit vergangenem Sonntag nicht einmal im Training gesagt, dass er sich körperlich wohlfühlt. Jürgen hat gut gespielt, aber Dominic ist für mich von seiner Normalform meilenweit entfernt, das war im Training schon so“, stellte Bresnik fest.

Thiem spielt am Donnerstag noch Doppel mit Dennis Novak und will sich vor der Übersee-Serie in Wien noch durchchecken lassen. Eine Absage des Trips zum Masters-1000-Turnier nach Toronto steht laut Bresnik aber nicht zur Diskussion.

Für Jürgen Melzer geht es am Donnerstag in eine emotionales Brüder-Duell mit Gerald. „Ich habe dem Kleinen seinen ersten Schläger geschenkt, habe versucht, alles Wissen, was ich habe, ihm weiterzugeben. Ich freue mich für ihn, wenn er gewinnt, und wäre glücklich, wenn ich ins Semifinale komme.“

Papa Rudolf Melzer strahlte freilich auch: Zerrissen werde er nicht sein. Im Gegenteil: „Mir geht es gut. Man kann bei jedem Ball klatschen. Wir können morgen nur gewinnen.“

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