Zu Besuch bei Vorzugsschüler Dragovic

Aleksandar Dragovic vor dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew.
Der KURIER begleitete Österreichs Abwehrchef Aleksandar Dragovic einen Tag lang in Kiew.

Aleksandar Dragovic ist durchaus ein lustiger Zeitgenosse. Aber: Während er die Institutska-Straße am Rande des Maidan, des Unabhängigkeitsplatzes in Kiew, hinaufgeht, wird auch seine Miene ernst. "Das ist kein schönes Gefühl. Hier sind Hunderte getötet worden", betont der 23-Jährige. Am Straßenrand liegen Kränze, geschmückt mit ukrainischen Fähnchen. Kerzen brennen, Fotos erinnern an die Verstorbenen. Langsam verschwindet alles unter einer dünnen Schneedecke, die Erinnerungen bleiben – auch bei Aleksandar Dragovic.

Seit Sommer 2013 ist er Legionär bei Dynamo Kiew in der Ukraine. Der monatelange Protest Hunderttausender gegen Präsident Wiktor Janukowytsch, der Ende Februar gewalttätig eskaliert war, hat sich nur 15 Gehminuten von seiner Haustür abgespielt. Ob er Angst hatte? "Keine Sekunde", sagt Dragovic. "Im Februar und März war es kritisch. Aber wir wurden vom Verein perfekt abgeschirmt."

Fokus Fußball

An einen Spaziergang über den Maidan, so wie an diesem Tag, war lange nicht zu denken. "Aber wir konnten uns zu hundert Prozent auf den Fußball konzentrieren." Offensichtlich, denn Dragovic mauserte sich still und leise in Kiew.

Zu Besuch bei Vorzugsschüler Dragovic
Aleksandar Dragovic
Als Österreichs Führungsfigur David Alaba dem Team im wichtigen EM-Qualifikationsspiel gegen Russland und drei Tage später gegen Brasilien fehlte, war Dragovic zur Stelle. Als Chef in der Abwehr, als unüberwindbarer Zweikämpfer sowie als Schütze vom Elfmeterpunkt. "Ich denke, dass ich in Kiew gereift bin. Auf und neben dem Platz."

Erstmals, seit er Österreich 2011 in Richtung Schweiz verlassen hatte, bekam er es mit einer komplett anderen Kultur, einer neuen Sprache und völlig anderen Gewohnheiten zu tun. Mit den tiefen Temperaturen im Winter ist er immer noch nicht warm geworden. Deshalb ist Dragovic an diesem Novembertag auch froh, dass Oleg endlich da ist.

Zu Besuch bei Vorzugsschüler Dragovic
Aleksandar Dragovic
Oleg ist jener Mann, mit dem er in Kiew die meiste Zeit verbringt. Oleg ist sein Chauffeur. Nicht alle, aber die meisten Spieler haben einen. Oleg und Aleksandar haben längst ein freundschaftliches Verhältnis. Englisch spricht Oleg nicht. "Aber das ist kein Problem. So ist er auch mein bester Sprachlehrer." Die beiden unterhalten sich in Russisch und Ukrainisch. Fließend. Dragovic hat es rasch erlernt.

Nach dem Spaziergang über den Maidan geht es mit Oleg zum Training. Das Trainingszentrum von Dynamo Kiew befindet sich zwanzig Autominuten außerhalb der Stadt. Bei minus drei Grad und leicht schneebedeckter Fahrbahn fährt alles langsamer, manche haben Probleme. Offenbar auch Dragovics Teamkollege Miguel Veloso, der mit seinem (selbstgesteuerten) Wagen in der Einfahrt des Trainingsgeländes steht und mit der Polizei diskutiert. "Die sind mir reingefahren", beteuert der Portugiese.

Tägliche Kontrolle

Der erste Weg im Trainingsgelände führt Dragovic ins Zimmer des Klubarztes. "Wir bekommen Vitamine, werden abgewogen und der Blutdruck wird gemessen. Und das täglich." Letzteres dient dem Verein zur Kontrolle, ob die Spieler genug geschlafen haben oder am Vortag Alkohol getrunken haben.

Zu Besuch bei Vorzugsschüler Dragovic
Aleksandar Dragovic
Dragovic hat den Test bestanden. Nach dem Training macht er in der Kraftkammer noch Überstunden, der KURIER darf im Zimmer des Österreichers warten. Schon am Tag vor jedem Spiel werden die Dynamo-Stars hier einquartiert. Da kann die Zeit schon einmal langsam vergehen. Worüber mit den Kollegen gesprochen wird? "Die Ukrainer reden auch über die politische Situation. Mich betrifft es weniger, solange ich meinen Job in Ruhe machen kann." Eine vom Klub vorgegebene politische Richtung gibt es ebenso nicht wie ein Verbot, öffentlich über das Thema zu sprechen. "Jeder ist Profi und muss wissen, was er sagt", betont Dragovic, während Oleg den Dienstwagen wieder Richtung Stadtzentrum lenkt.

Dass bei Spielen im Drei-Tage-Rhythmus und ständiger Kasernierung in Kiew nicht viel Freizeit bleibt, stört ihn nicht. "Es gibt so viele Dinge, die Männer in meinem Alter tun können, die ich nicht tun kann. Aber ich bin nur 15 Jahre lang Fußballer. In dieser Zeit will ich mir etwas aufbauen", sagt er. Mittlerweile wartet er im "Va Bene", seinem liebsten Italiener, auf den bestellten Fisch. Und selbst wenn er sich in Kiew – wie er immer wieder betont – wohl fühlt, wird es nicht seine Endstation sein. In Turin oder London gibt es bestimmt auch guten Fisch. Smačnoho! Mahlzeit.

Privat

Dragovic wurde am 6. März 1991 in Wien geboren, sein Großvater kam vor 48 Jahren aus Serbien nach Österreich.

Karriere

Dragovic begann mit sechs Jahren im Nachwuchs von Austria Wien, wo er 2008 in der Bundesliga debütierte. 2011 wechselte er für eine Million Euro Ablöse in die Schweiz zum FC Basel, wo er drei Mal in Serie Meister wurde und 2013 für die österreichische Rekordsumme von neun Millionen Euro Ablöse zu Dynamo Kiew wechselte. 2009 feierte er ausgerechnet in Belgrad gegen Serbien sein Länderspieldebüt. Mittlerweile hält er bei 35 Länderspielen.

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