Zu Besuch bei Vorzugsschüler Dragovic
Aleksandar Dragovic ist durchaus ein lustiger Zeitgenosse. Aber: Während er die Institutska-Straße am Rande des Maidan, des Unabhängigkeitsplatzes in Kiew, hinaufgeht, wird auch seine Miene ernst. "Das ist kein schönes Gefühl. Hier sind Hunderte getötet worden", betont der 23-Jährige. Am Straßenrand liegen Kränze, geschmückt mit ukrainischen Fähnchen. Kerzen brennen, Fotos erinnern an die Verstorbenen. Langsam verschwindet alles unter einer dünnen Schneedecke, die Erinnerungen bleiben – auch bei Aleksandar Dragovic.
Seit Sommer 2013 ist er Legionär bei Dynamo Kiew in der Ukraine. Der monatelange Protest Hunderttausender gegen Präsident Wiktor Janukowytsch, der Ende Februar gewalttätig eskaliert war, hat sich nur 15 Gehminuten von seiner Haustür abgespielt. Ob er Angst hatte? "Keine Sekunde", sagt Dragovic. "Im Februar und März war es kritisch. Aber wir wurden vom Verein perfekt abgeschirmt."
Fokus Fußball
An einen Spaziergang über den Maidan, so wie an diesem Tag, war lange nicht zu denken. "Aber wir konnten uns zu hundert Prozent auf den Fußball konzentrieren." Offensichtlich, denn Dragovic mauserte sich still und leise in Kiew.
Erstmals, seit er Österreich 2011 in Richtung Schweiz verlassen hatte, bekam er es mit einer komplett anderen Kultur, einer neuen Sprache und völlig anderen Gewohnheiten zu tun. Mit den tiefen Temperaturen im Winter ist er immer noch nicht warm geworden. Deshalb ist Dragovic an diesem Novembertag auch froh, dass Oleg endlich da ist.
Nach dem Spaziergang über den Maidan geht es mit Oleg zum Training. Das Trainingszentrum von Dynamo Kiew befindet sich zwanzig Autominuten außerhalb der Stadt. Bei minus drei Grad und leicht schneebedeckter Fahrbahn fährt alles langsamer, manche haben Probleme. Offenbar auch Dragovics Teamkollege Miguel Veloso, der mit seinem (selbstgesteuerten) Wagen in der Einfahrt des Trainingsgeländes steht und mit der Polizei diskutiert. "Die sind mir reingefahren", beteuert der Portugiese.
Tägliche Kontrolle
Der erste Weg im Trainingsgelände führt Dragovic ins Zimmer des Klubarztes. "Wir bekommen Vitamine, werden abgewogen und der Blutdruck wird gemessen. Und das täglich." Letzteres dient dem Verein zur Kontrolle, ob die Spieler genug geschlafen haben oder am Vortag Alkohol getrunken haben.
Dass bei Spielen im Drei-Tage-Rhythmus und ständiger Kasernierung in Kiew nicht viel Freizeit bleibt, stört ihn nicht. "Es gibt so viele Dinge, die Männer in meinem Alter tun können, die ich nicht tun kann. Aber ich bin nur 15 Jahre lang Fußballer. In dieser Zeit will ich mir etwas aufbauen", sagt er. Mittlerweile wartet er im "Va Bene", seinem liebsten Italiener, auf den bestellten Fisch. Und selbst wenn er sich in Kiew – wie er immer wieder betont – wohl fühlt, wird es nicht seine Endstation sein. In Turin oder London gibt es bestimmt auch guten Fisch. Smačnoho! Mahlzeit.
Dragovic wurde am 6. März 1991 in Wien geboren, sein Großvater kam vor 48 Jahren aus Serbien nach Österreich.
KarriereDragovic begann mit sechs Jahren im Nachwuchs von Austria Wien, wo er 2008 in der Bundesliga debütierte. 2011 wechselte er für eine Million Euro Ablöse in die Schweiz zum FC Basel, wo er drei Mal in Serie Meister wurde und 2013 für die österreichische Rekordsumme von neun Millionen Euro Ablöse zu Dynamo Kiew wechselte. 2009 feierte er ausgerechnet in Belgrad gegen Serbien sein Länderspieldebüt. Mittlerweile hält er bei 35 Länderspielen.
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