Brasilianische Bewährungsproben

Von Messi bis Ronaldo, von Balotelli bis Löw - einige Stars stehen bei der WM in der Bringschuld.

Sie sind Weltfußballer, Torschützenkönige und Trainer des Jahres. Sie haben mit ihren Vereinen alles gewonnen, was es im Klubfußball zu gewinnen gibt. Sie sind Superstars und die größten Attraktionen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Sie alle zusammen stehen aber auch deshalb im Fokus, weil das WM-Turnier in Brasilien für sie eine große Bewährungsprobe ist.

Kann Lionel Messi auch im Trikot der argentinischen Nationalmannschaft groß aufspielen?

Läuft Cristiano Ronaldo auch einmal bei einer WM zur Hochform auf?

Ist Mario Balotelli ausnahmsweise mehr Genie als Wahnsinn?

Wird Neymar den hohen Vorschusslorbeeren gerecht?

Und holt Joachim Löw den lang ersehnten Titel?

In den Geschichtsbüchern der Fußball-Weltmeisterschaften ist der amtierende Weltfußballer nichts weiter als ein Otto Normalkicker. Ein Spieler, der lediglich im ausführlichen Statistik-Teil Notiz findet, ein Mann, dem noch kein eigenes Kapitel gewidmet werden musste, weil seine Erfolgsstory erst noch geschrieben werden muss.

Für Cristiano Ronaldo hat bei Fußball-Weltmeisterschaften bisher immer nur das olympische Motto gegolten. ,Dabei sein war alles.‘ So sehr sich der exzentrische Portugiese in Meisterschaft, Cup und Champions League in Szene zu setzen weiß, sobald das wichtigste Turnier des Weltfußballs auf dem Spiel steht und von Ronaldo Wunderdinge erwartet werden, ist der Superstar meist nur mehr ein Schatten seiner selbst.

Das war bei Cristiano Ronaldos WM-Premiere 2006 in Deutschland so, als dem Jungstar in sechs Partien – die Portugiesen verloren das Spiel um Platz drei gegen Deutschland – nur ein Tor gelungen war.

Und das war 2010 beim Turnier in Südafrika nicht anders, als Portugal bereits im Achtelfinale am späteren Weltmeister Spanien ausschied und ein enttäuschender Cristiano Ronaldo ebenfalls nur einen Treffer erzielen konnte.

Zwei Tore in zehn WM-Spielen – das ist eine miserable Quote für einen, der es abseits des WM-Turniers gewohnt ist, in jedem Match zumindest ein Mal zu jubeln. 52 Treffer in 45 Partien hat der 29-Jährige allein in der laufenden Saison zu Buche stehen.

Vier Privatjets

Die wichtigsten vier Tore erzielte Ronaldo in den Qualifikationsspielen gegen Schweden (1:0, 3:2), als er sein Land im Alleingang nach Brasilien schoss und bei den portugiesischen Fans die Hoffnung nährte, dass sich der Kapitän der Nationalmannschaft doch noch einmal mit der Weltmeisterschaft versöhnen könnte.

Cristiano Ronaldo hat in Brasilien, wo auf die portugiesische Nationalmannschaft Deutschland, Ghana und die USA als Gruppengegner warten, jedenfalls Großes vor. Vorsorglich hat der Superstar schon einmal vier Privatjets gechartert. Damit seine Familie immer am Ball und in seiner Nähe ist.

Es ist jetzt nicht überliefert, wie Alejandro Sabella tatsächlich auf das Viertelfinal-Aus des FC Barcelona in der Champions reagiert hat, aber es wäre durchaus nachvollziehbar, wenn der argentinische Teamchef daheim vor dem Fernseher eine Flasche Sekt geköpft hätte – zur Feier des Tages.

Sabella und der argentinischen Nationalmannschaft kommt das frühe Ausscheiden von Barcelona sicher nicht ungelegen. Denn damit steigen die Chancen, dass Superstar Lionel Messi ausgeruhter und fitter zur WM nach Brasilien reist.

Zu gut ist den argentinischen Fans noch das vergangene Turnier 2010 in Erinnerung, als Messi nach einer langen, kräfteraubenden Saison und 66 Partien dann in Südafrika mehr schlecht als recht über den Platz taumelte und wie eine billige Kopie des Lionel Messi wirkte, den man aus dem Barça-Trikot kennt. Zumindest in dieser Hinsicht sind Messi und Cristiano Ronaldo auf einer Wellenlänge. Auch beim Argentinier war’s bei der Weltmeisterschaft alles andere als Liebe auf den ersten Kick. Ein WM-Treffer in acht Partien ist die magere Bilanz des erfolgsverwöhnten 26-Jährigen, den die ständigen Vergleiche mit seinem Idol Diego Maradona vor allem in der Nationalmannschaft zu hemmen scheinen.

Die erste, leise öffentliche Kritik am Superstar hat Alejandro Sabella gleich einmal gekontert. Als erste Amtshandlung hat der neue Teamchef sofort Lionel Messi zum neuen Kapitän bestimmt und ihm alle Freiheiten erlaubt.

Die Aussage von Andrea Pirlo in der aktuellen Gazzetta dello Sport klingt wie eine Drohung. "Italien ist von Balotelli abhängig", erklärt der Spielmacher der Squadra Azzurra und offenbart damit auch das Dilemma, in dem die italienische Nationalmannschaft steckt. Einerseits sind die Italiener angewiesen auf die Geniestreiche des 23-jährigen Angreifers, andererseits ist dieser Mario Balotelli auch die Unverlässlichkeit in Person, weil immer für einen Ausraster oder eine Eskapade gut.

Nur zur Erinnerung: Mario Balotelli ist der Mann, der schon mit Feuerwerkskörpern sein Badezimmer in Brand gesetzt hat; der mit Dartpfeilen auf Jugendspieler warf; der in das Frauengefängnis von Brescia einbrach; der im Vorjahr den Spielern von Real eine Nacht mit seiner – damaligen – Freundin versprach, sollten sie in der Champions League gegen Dortmund aufsteigen; der noch jeden seiner Trainer zur Weißglut gebracht hat.

Der italienische Teamchef Cesare Prandelli, ein Mann mit einem sehr langen und reißfesten Geduldsfaden, nimmt den Exzentriker immer wieder ins Gebet und gewährt ihm immer aufs Neue eine Chance. "Mario muss lernen, dass er nicht immer aus dem Bauch heraus reagieren kann. Wir verlangen von ihm, dass er den Fußballer gibt und nicht den Star."

Die WM in Brasilien ist für den Angreifer des AC Milan eine Bewährungsprobe. Möglicherweise sogar schon die letzte. Denn sollte sich Mario Balotelli neuerlich Ausraster leisten, dann wird seine erste Weltmeisterschaft vielleicht zugleich schon seine letzte gewesen sein.

Er kann die beste Bilanz aller deutschen Bundestrainer vorweisen. Er hat in seiner Heimat die höchsten Beliebtheitswerte nach Altkanzler Helmut Schmidt und Showmaster Günther Jauch. Er hat den Deutschen den Rumpelfußball ausgetrieben und ist mitverantwortlich dafür, dass der deutsche Kick im Allgemeinen und die Nationalmannschaft im Besonderen international wieder hohes Ansehen genießt.

Joachim Löw hat fast alles richtig gemacht in seiner fast achtjährigen Ära als Bundestrainer. Und trotzdem – oder gerade deswegen – steht der ehemalige Innsbruck- und Austria-Coach in Brasilien unter Zugzwang. Das Land fordert den ersten Titelgewinn seit 1996 (EM), nachdem Löw die Mannschaft bei den letzten Turnieren (EM, WM) stets zumindest bis ins Semifinale geführt hatte.

Einige seiner Teamspieler sind dem Bundestrainer mittlerweile einen Schritt voraus. Der Triumph des FC Bayern in der Champions League ist auch ein Plus für das Team, versichert Löw. Denn lange war Spielern wie Lahm oder Schweinsteiger fehlende Winnermentalität vorgehalten worden.

Und falls es auch 2014 nichts mit dem Titel werden sollte, kann Joachim Löw immer noch auf die Statistik verweisen. In Südamerika ist noch nie eine europäische Mannschaft Weltmeister geworden.

Vielleicht hat es der große Pelé ja nur gut gemeint, als er Neymar da Silva Santos Júnior in den Himmel lobte. Ob er dem 22-Jährigen mit seiner Huldigung tatsächlich etwas Gutes getan hat, darf bezweifelt werden. "Wenn Lionel Messi der beste Fußballer aller Zeiten sein will", sagte also Pelé, "dann muss er erst einmal besser werden als Neymar."

Besser als Neymar? Das ist im Moment keine große Fußballkunst. Denn seit der 22-jährige Brasilien beim FC Barcelona spielt, ist vom einstigen Wunderkind und kommenden Superstar nur wenig zu sehen. Verschwunden ist die Leichtigkeit, verloren gegangen der Spielwitz, und die Debatten über seine horrende Ablösesumme (knapp 100 Millionen Euro) sind dem Ballzauberer auch nicht gut bekommen. Längst üben die Experten lautstark Kritik am jungen Brasilianer. "Barcelonas Problem heißt Neymar", sagt Johan Cruyff und widerspricht auch Pelé. "Niemand ist mit 21 ein Gott."

In Brasilien geht derweil die Sorge um, dass Neymar in Europa die Freude am Fußball verloren haben könnte. Die Brasilianer wünschen sich den alten Neymar zurück. Den jungen, unbekümmerten Offensivgeist, der die Massen begeistert und den Gegnern Sorgen bereitet. So wie 2013, als Brasilien den Confed-Cup gewann, und Neymar zum Spieler des Turniers gewählt wurde.

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