Vienna: In den Fängen der Wett-Mafia

Vienna: In den Fängen der Wett-Mafia
Wie der älteste Fußball-Verein des Landes zu einem Ziel der Wett-Mafia wurde. Der Staatsanwalt ermittelt.

Es war die Szenerie eines Agententhrillers made in Hollywood. Nach dem Ende der Herbstsaison vor einem Jahr luden die Vienna-Verantwortlichen eine Handvoll Spieler zu einer vertraulichen Sitzung auf die Hohe Warte. Mit dabei war ein Mittelsmann, der für die Legionäre im Vienna-Kader als Dolmetscher fungierte, angeblich aber auch eine andere, dubiose Rolle einnahm.

Den Spielern des Zweitligisten wurde erklärt, dass die Vienna ein Problem mit der Wett-Mafia hätte. Dass die Hintergründe der eigenartigen Leistungsschwankungen hin bis zu unerklärlichen Handspielen im eigenen Strafraum bekannt wären. Und: Dass die Schuldigen dafür genau hier sitzen würden.

Dem KURIER ist die Identität der Spieler bekannt, ihre Namen dürfen aus medienrechtlichen Gründen nicht genannt werden. Wie ernst die Causa ist, zeigt, dass die Staatsanwaltschaft Graz seit mehr als einem Jahr ermittelt. Staatsanwaltssprecher Arnulf Rumpold bestätigte dem KURIER: "Die Ermittlungen laufen und sind umfangreich. Es geht in diesem Ermittlungsschritt auch um Verdachtsmomente bei Kapfenberg und Hartberg."

Bei den steirischen Profi-Klubs fielen in der Vergangenheit ebenfalls eigenartige Aktivitäten auf dem Feld und parallel dazu am Wettmarkt auf. Zum aktuellen Stand der Ermittlungen sagt Staatsanwalt Hansjörg Bacher: "Ein Teilbereich der Ermittlungen steht vor einem Abschluss."

Der Eiertanz

Und was passierte auf der Hohen Warte? Die beschuldigten Spieler und ihr Vertrauter blieben auffallend ruhig. Dabei waren schon drei Vienna-Spiele beim internationalen Kontrollsystem "Sportradar" (früher "Betradar") wegen extrem hohen und ungewöhnlichen Einsätzen aufgefallen. Das 2:3 bei Austria Lustenau am 12. April 2011, das 1:4 beim FC Lustenau am 9. September 2011 und das 0:2 in Hartberg eine Woche danach. Jeweils mehrere Hunderttausend Euro wurden in Asien gesetzt. Ein Geständnis war aber nicht in Sicht. Ahnten die Verdächtigten, dass die nötigen Beweise fehlen würden?

"Es gab zwei Möglichkeiten: Wir entlassen die Spieler fristlos – das geht ohne handfeste Beweise nicht durch. Oder wir stellen sie frei. Aber so viel Geld für Spieler ausgeben, die dann auf der Tribüne sitzen? Das kann sich nur Red Bull leisten", erklärt Vienna-Präsident Herbert Dvoracek im KURIER-Gespräch.

Eine dritte Möglichkeit wurde gesucht und es kam zu einem heiklen Deal: "Wir haben ihnen klar gesagt, dass sie eigentlich weg gehören. Und dass wir selbst sofort Anzeige erstatten, wenn im Frühjahr noch etwas passiert. Das war natürlich ein Eiertanz", gibt Dvoracek zu.

Das Finanzproblem

Das Ergebnis: Ein Teil der verdächtigten Spieler ging sofort freiwillig, ein Teil blieb noch im Frühjahr 2012. "Zu 80 Prozent waren die Leistungen dann in Ordnung." Die Vienna rettete knapp den Klassenerhalt. "Jetzt sind alle Spieler in Ordnung, aber mit den Nachwehen kämpfen wir noch", meint Dvoracek, der klarstellt: "Wir waren das Opfer, nicht der Täter."

Der "First Vienna Football Club", der älteste, 1894 gegründete Fußball-Verein des Landes in den Fängen der Wett-Mafia, angewiesen auf einen schmierigen Deal – wie konnte es nur so weit kommen? Und: Ist die Vienna wirklich schuldlos?

Die Misere hängt mit den wirtschaftlichen Problemen der Döblinger zusammen. "Wir zahlen an Strom- und Wasserkosten jährlich bis zu 400.000 Euro und bekommen keine Förderung. Das ist einzigartig. Obwohl wir die Beitragskosten der Eltern für die Jugend massiv erhöht haben, müssen wir für den Nachwuchsbetrieb nochmals 100.000 Euro pro Jahr drauflegen", rechnet Dvoracek vor. Und: "In den letzten Jahren sind uns alle der Stadt Wien nahestehenden Sponsoren weggefallen." Hat die Vienna ein Imageproblem?

An dieser Stelle sei erwähnt, dass Dvoracek zuletzt selbst unter Druck kam – auch wegen einer Anzeige durch die Telekom Austria nach einem umstrittenen Firmenverkauf. Anlass zu Spekulationen gab auch die
"Kooperation" mit dem Fußball-Verband Kasachstans und seinem damaligen Chef Rikhat Aliyev, die laut Aliyevs Anwalt der Vienna 500.000 Euro brachte. Dafür könnte bei den komplexen finanziellen Beteiligungen am Media-Quarter St. Marx ein Doppelpass mit Schlüsselfiguren aus dem Vienna-Umfeld gespielt worden sein. Ex-Botschafter Aliyev ist in seiner Heimat in Ungnade gefallen und kämpft in Wien erfolgreich gegen seine Auslieferung.

Dazu kam noch ein Gerichtsstreit mit dem ehemaligen Trainer Frenkie Schinkels, der von doppelten Verträgen sprach. Und am Mittwoch strafte die Liga den Verein wegen Verstößen gegen Lizenzbestimmungen.

Die Zielscheibe

Um satte 30 Prozent war im Sommer das Personalbudget gekürzt worden. Ein Spieler mit einem lukrativen Vertrag wurde zu den Amateuren verbannt, bis er "freiwillig" sein Gehalt reduzierte. Mit rund 150 potenziellen Zugängen wurde verhandelt, kaum einer sagte zu. Laut KURIER-Recherchen werden bei der Vienna monatlich oft nur noch 1100 Euro brutto plus 540 Euro Reisekosten-Zuschuss bezahlt. Das ist das untere Limit für Profikicker.

Ein Insider erklärt: "Die Wett-Mafia sucht bewusst nach Abstiegskandidaten mit Geldproblemen und platziert dort ihre Spieler." Trainer Alfred Tatar behielt bei all diesen Problemen dennoch die Nerven. Was angesichts des dauernden Abstiegskampfes auch nötig ist.

"Wir hätten manches besser machen können. Aber das Entscheidende war die Wett-Geschichte. Es reichen zwei, drei Spieler, die eine ganze Mannschaft runterreißen können. Und ich habe von ähnlichen Problemen bei einem Konkurrenten gehört", resümiert Dvoracek, der zur Vorsicht mahnt: "Die Wett-Mafia ist ein Problem für den ganzen Fußball. Ich hab mich selbst geniert für das, was bei der Vienna passiert ist. Es war das Schlimmste für einen Verein."

Die Vienna hat in einer schriftlichen Stellungnahme bereits auf den KURIER-Artikel reagiert.

Damit die Buchmacher Alarm schlagen wie bei den drei Vienna-Spielen im Jahr 2011, müssen extrem hohe, ungewöhnliche Wetten platziert werden. "Wenn eine Wette über 200.000 bis 500.000 Euro knapp vor oder während eines österreichischen Zweitliga-Spiels eingeht, schlagen die Systeme an", erklärt ein Insider, der sich über die vielen hohen Einsätze in Asien auf diese international sportlich unbedeutende Liga wundert.

Weltweit wird das (legale) Wett-Volumen auf 400 bis 600 Milliarden Euro (Österreich: 900 Millionen) pro Jahr geschätzt. Drei Viertel davon werden auf dem unregulierten asiatischen Markt umgesetzt, wo absurde Wetten und riesige Einsätze Spielraum für Betrügereien lassen.

Online Boom

Mittlerweile kann auf fast alles (z. B. nächstes Tor, Tore in den letzten 15 Minuten, Rote Karten) gesetzt werden. Zu klassisch festen oder variablen Quoten, wie bei Wettbörsen im Internet. Mit dem Online-Boom hat die gesamte Branche einen Aufschwung erfahren. Tendenz weiter steigend.

Frühwarnsysteme sollen helfen, Wettbetrug aufzudecken. Die Ermittlungen der Behörden sind meist zäh. In Österreich wurde ein Verein unter der Führung von Ex-Rapid-Präsident Kaltenbrunner gegründet, der mit "Prävention, Monitoring und härteren Sanktionen" um einen sauberen Fußball kämpft.
 

Schwierig. So beschrieb Vienna-Trainer Alfred Tatar die Vorzeichen für den Start in die Saison 2012/’13. Über die Sommermonate war der Döblinger Kader fast vollständig ausgewechselt worden. Nur Kapitän Ernst Dospel, Dominik Rotter und Mario Kröpfl (der nach seinem Kreuzbandriss erst Ende des Jahres wieder einsteigen wird) erinnerten noch an die durchwachsene Vorsaison.

"Mit Spielern, die nicht die negative Stimmungslage mit sich herumtragen, beginne ich wieder bei null", verkündete Trainer Tatar, der im Herbst nicht nur mit der schlechten Auswärtsbilanz (ein Sieg in zehn Spielen), sondern wieder einmal mit der langen Verletztenliste zu kämpfen hatte ("Im Training sind bestimmte Spielformen einfach nicht möglich, wenn nur acht Spieler da sind").

Vor der Winterpause haben sich die Döblinger gefangen und auf Platz acht festgesetzt. "Das ist nicht die schlechteste Ausgangslage fürs Frühjahr", sagt der neue Sportdirektor Kurt Garger, für den die Suche nach dem fehlenden Offensivgeist während der Winterpause in die nächste Runde gehen wird.

Nicht nur innerhalb der Mannschaft wurde in Wien fleißig gewechselt: Klubmanager Lorenz Kirchschlager verabschiedete sich nach drei Jahren, für ihn übernahm Wolfgang Markytan.

Der Posten des Sportdirektors wurde für Ex-Vienna-Trainer Garger neu geschaffen. Für Tatar ein positives Signal: "Der Verein stellt die sportliche Sache auf neue Beine und ich kann mich endlich wieder auf meine Kernaufgabe konzentrieren."

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