Madrid: Wo der Fußball fast alles ist

Per Du: Real-Direktor Emilio Butragueño (1991 Schützenkönig) und Botschafter Peter Huber.
Österreichs Botschafter über die Stadtmeisterschaft in der Champions League.

Ob Real oder Atlético – für einen ehemaligen Tiroler Landesliga-Tormann gehen bei beiden Champions-League-Finalisten die Türen auf. Denn Peter Huber, 48, ist Österreichs Botschafter in Spanien. Und diplomatischer Sport-Insider. Als solcher gewährt er Einblicke, wie man in Europas Fußball-Hauptstadt Madrid so tickt.

KURIER: Real oder Atlético? Muss man als Diplomat auch im Fußball diplomatisch sein? Oder dürfen Sie verraten, wem Sie die Daumen drücken?

Peter Huber: Ich gebe stets die gleiche Antwort: eindeutig Wacker Innsbruck. Ich leide als Tiroler von Madrid aus mit. Wo wir Nachbarn von Real sind. Man sieht von der österreichischen Botschaft aufs Bernabéu-Stadion.

Weshalb gelingt es Madrid immer wieder, Europas Fußball-Hauptstadt zu sein?

Der Fußball dieser großartigen Stadt lebt von der Rivalität. Real ist der größte Verein der Welt. Aber Atlético hat aufgeholt und hat eine kluge Einkaufspolitik. Und wie Real großartige Nachwuchsschulen mit unglaublich vielen Talenten. Umso mehr spricht es für Philipp Lienhart, dass er es als 19- jähriger Österreicher bei Real trotz enormer Konkurrenz sogar in den Champions-League-Kader geschafft hat. Der Schlüsselbeinbruch, den er im April erlitt, sollte keinen Karriereknick bedeuten. Real-Direktor Emilio Butragueño hat mir versichert, dass man viel von Philipp hält. Zumal er sich auch außerhalb des Platzes wie ein Vorzeigeprofi verhält.

Welchem aktuellen Finalisten schauen Sie besonders gern auf seine Millionenbeine?

Bei Real Gareth Bale und bei Atlético Antoine Griezmann. Von Griezmann hat’s übrigens geheißen, dass er viel zu klein sei und für Spitzenfußball nicht infrage käme. Dann hat ihn der Präsident von Real Sociedad in einer französischen Jugend-Elf wirbeln gesehen, ihm seine Visitenkarte in die Hand gedrückt und gesagt: "Ruf an, wenn du einmal zu uns nach San Sebastián kommen willst." Das hat Griezmann dann getan.

Ronaldo ist bei der EM der Star von Österreich-Gegner Portugal. Welchen Eindruck haben Sie als Real-Insider von ihm? Nur grenzenlos eitler Einzelgänger oder doch auch Teamplayer?

Ein bissel egoistisch muss Ronaldo schon sein, sonst könnte er nicht über 40 Tore schießen in einer Saison. Zwischen der öffentlichen Meinung und dem, was man von Spielern hört, besteht tatsächlich ein Unterschied. Lienhart erzählte mir, er sei als Neuling im Kader von Ronaldo sofort freundlich aufgenommen worden. Als er vom Schicksal eines burgenländischen Regionalligafußballers hörte, dem die Beine amputiert werden mussten, ließ uns Ronaldo sofort ein handsigniertes Leiberl zukommen, das inzwischen um mehrere Tausend Euro versteigert werden konnte.

Als der Wiener Trainer Max Merkel mit Atlético Meister wurde, galt Atlético als Verein der einfachen Leut’ und Real als jener der Besserverdiener. Ist das 43 Jahre später immer noch so?

Der Palco von Real (= Ehrentribüne im Bernabéu-Stadion) ist die einflussreichste Zone Spaniens. Dort wird nicht nur von Fußball geredet, dort werden auch Entscheidungen mit wirtschaftlicher und politischer Tragweite getroffen. Im Calderón-Stadion von Atlético ist die Stimmung temperamentvoller. Was dort abgeht, ist ein Wahnsinn.

Stimmt es, dass die beiden Sporttageszeitungen aus Madrid, Marca und AS, höhere Auflagen als die meisten politischen spanischen Blätter haben?

Ich würde noch ergänzen: Selbst die seriösesten politischen Blätter können es sich nicht leisten, auf eine umfassende Fußball-Berichterstattung, auf täglich mehrere Seiten Primera División, zu verzichten.

Ist die Primera División die stärkste Liga der Welt?

Die spanische Liga ist, was das Coaching betrifft, sicher die innovativste der Welt. Das taktische und technische Niveau ist enorm . Ich wage zu behaupten, dass jeder Klub der Segunda División in Österreich vorne mitspielen würde. Und wer glaubt, dass Außenseiter gegen Real oder Barcelona nur Beton mischen, irrt. So hat Real den Titel nicht im Clásico, sondern in Spielen gegen die Klubs aus Sevilla verloren.

Weil Abspaltungsforderungen in Katalonien nicht verstummen, tauchen Gerüchte auf, wonach der FC Barcelona im Ernstfall in einer regionalen katalanischen Meisterschaft oder in der französischen Liga mitwirken würde.

Ein Clásico, der nicht Real – Barça heißt, ist unvorstellbar.

Hat es sich bis zu Ihnen herumgesprochen, dass mit Soriano (Salzburg) und Segovia (St. Pölten) zwei Spanier Meister in der ersten bzw. zweiten österreichischen Leistungsstufe Torschützenkönig geworden sind?

Von Soriano liest man in Spanien immer wieder. Man hat hier aber vor allem mitbekommen, dass Österreich unter die Top Ten der Welt kam. Ständig werde ich darauf angesprochen, wie es zu dieser Steigerung kommen konnte.

Spaniens Team bereitet sich im Vorarlberger Montafon auf die EM vor. Rechnen Sie mit einem Echo, von dem Österreichs Tourismus profitiert?

Absolut ja. Als Spaniens Team anlässlich der EM 2008 im Stubaital wohnte, haben wunderschöne Landschaftsbilder tagelang die Medien dominiert. Die Tiroler Berge haben es den Spaniern angetan. Es freut mich auch sehr, dass Tirol nächstes Jahr Schauplatz der Rad-WM ist. Da werden spanische Familien ganze Nachmittage vor den Fernsehapparaten verbringen.

Was trauen Sie Österreich bei der EM zu?

In der Österreich-Gruppe ist Portugal Favorit. Ungeachtet dessen traue ich Marcel Kollers Mannschaft viel zu. Ihr Spirit hat mich beim Camp an der Costa Blanca, wo ich zugesehen habe, beeindruckt. Keine Gruppenbildungen, viel Teamwork. In der Madrider Botschaft werden ganz, ganz fest und optimistisch für Österreichs Fußballer die Daumen gedrückt.

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