Blatter-Rücktritt: Chance auf Neustart

FIFA-Präsident Sepp Blatter
FIFA-Boss Blatter hat Dienstagabend völlig überraschend seinen Rücktritt angekündigt.

Der Weg für einen Neubeginn beim Fußball-Weltverband (FIFA) ist seit Dienstagabend frei. Der erst am Freitag wiedergewählte Präsident Joseph Blatter kündigte völlig überraschend seinen Rücktritt an. Der 79-Jährige wird die Agenden aber noch bis zu den Neuwahlen, die im Rahmen eines außerordentlichen FIFA-Kongresses voraussichtlich erst Ende des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres über die Bühne gehen werden, weiterführen.

Zudem wurde bekannt, dass laut New York Times und ABC das FBI und US-Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den mächtigsten Mann im Fußball eingeleitet haben. Das berichtet unter anderem auch der Spiegel Online. "Dies ist der Beginn unserer Bemühungen, nicht das Ende", hatte der New Yorker US-Staatsanwalt Kelly Currie schon vergangene Woche gesagt. Zu diesem Zeitpunkt ging es um die Anklage gegen 14 Fußballfunktionäre. Quelle soll jemand sein, der mit dem Fall vertraut sei, hieß es.

Alles über den Korruptionsskandal im Fußball-Weltverband finden Sie hier.

Überraschender Rücktritt

"Ich habe ernsthaft über meine Präsidentschaft nachgedacht und über die vierzig Jahre, in denen mein Leben untrennbar mit der FIFA und diesem großartigen Sport verbunden gewesen ist", sagte Blatter auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in französischer Sprache. Durch die Wahl am Freitag habe er noch einmal das Mandat durch die FIFA-Mitglieder bekommen, "aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht das Mandat der gesamten Fußball-Welt habe. Daher habe ich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlich Kongress niederzulegen."

Blatter-Rücktritt: Chance auf Neustart

Der nächste reguläre FIFA-Kongress ist erst für den 12. und 13. Mai 2016 in Mexiko-Stadt vorgesehen. Solange möchte Blatter aber nicht mehr warten. "Dies würde eine unnötige Verzögerung bedeuten", sagte der Noch-FIFA-Chef. Gemäß FIFA-Statuten sind mindestens vier Monate zur Vorbereitung eines Wahlkongresses notwendig. Laut Domenico Scala, Vorsitzender der Audit- und Compliance-Kommission der FIFA, wäre daher zwischen Dezember 2015 und März 2016 ein realistischer Zeitraum.

Blatter wirkte relativ gefasst, auch wenn die Tragweite dieser Entscheidung riesig ist. Kämpferisch hatte er sich noch bei seiner fünften Wiederwahl gegeben. Zuversichtlich wollte er ungeachtet der Festnahmen und Anklagen gegen hochrangige Funktionäre weitermachen. Dieser Skandal, bei dem vor allem die US-Justiz ermittelt, war nun aber doch zu viel. "Ich habe Domenico Scala gebeten, die Einführung und Umsetzung dieser und anderer Maßnahmen zu beaufsichtigen", erklärte Blatter.

Ändern soll sich in der Zukunft jedenfalls vieles. "Das Exekutiv-Komitee muss verkleinert werden und die Mitglieder sollten auf dem FIFA-Kongress gewählt werden", verlautete Blatter. Integritätsprüfungen müssten zentral von der FIFA organisiert werden, und nicht durch die Konföderationen. "Wir brauchen auch Zeitlimits für den Präsidenten sowie alle Exekutiv-Komitee-Mitglieder", fügte der Schweizer hinzu. Für diese Änderungen habe er schon bisher gekämpft. "Meine Bemühungen sind immer wieder blockiert worden, diesmal werde ich siegen."

"Ich möchte denen danken, die mich immer unterstützt haben in konstruktiver und loyaler Weise als Präsident der FIFA"

Blatter sagte am Ende seiner Rede, dass es die "tiefe Sorge um die FIFA und ihre Interessen" war, die ihn zu seiner Entscheidung veranlasst habe. "Ich möchte denen danken, die mich immer unterstützt haben in konstruktiver und loyaler Weise als Präsident der FIFA", betonte Blatter. 1998 hatte er den Posten übernommen.

Al-Hussein tritt wieder an

Die Nachfolgefragen ist offen. Der bei der jüngsten Wahl unterlegene jordanische Prinz Ali bin al-Hussein kündigte aber bereits am Dienstag an, wieder antreten zu wollen. Mit dem Niederländer Michael van Praag und dem Portugiesen Luis Figo hatte es im Vorfeld zwei weitere Kandidaten gegeben, die allerdings noch vor der Wahl einen Rückzieher gemacht hatten.

Blatters Entscheidung war ungeachtet der erneuten Zuspitzung der Ereignisse am Dienstag völlig unabsehbar. Nur wenige Medienvertreter hatten es überhaupt zu der Pressekonferenz in Zürich geschafft. Viele hatten schon damit gerechnet, dass die Zukunft von Generalsekretär Jerome Valcke bei der FIFA gefährdet wäre. Die "New York Times" hatte am Dienstag berichtet, dass die US-Ermittler der Ansicht seien, Valcke sei "der hochrangige FIFA-Offizielle", der 2008 zehn Millionen Dollar von einem FIFA-Konto in der Schweiz auf ein US-Konto überwiesen habe.

Das Geld landete auf Konten, die vom früheren FIFA-Vizepräsidenten und CONCACAF-Chef Jack Warner kontrolliert worden sein sollen. Warner wird organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche vorgeworfen. Der Funktionär war in seinem Heimatland Trinidad und Tobago in der vergangenen Woche nach einem Gerichtstermin gegen eine Kaution von 2,5 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt worden. Das US-Justizministerium hat seine Auslieferung beantragt.

WM in Südafrika

Laut der New York Times sei in der Anklage der US-Justiz allerdings nicht die Rede davon, dass der Offizielle gewusst habe, dass das Geld für Bestechung verwendet worden sei, hieß es weiter. Valcke sei auch nicht als Mitbeschuldigter genannt. Weder Valcke noch andere aktuelle Mitglieder der FIFA-Führung seien "an der Initiierung, der Bewilligung und Ausführung" beteiligt gewesen, teilte die FIFA mit.

Südafrika hatte im Zusammenhang mit der Zahlung Bestechungsvorwürfe rund um die Vergabe der WM 2010 vehement zurückgewiesen. Die FIFA erklärte zudem, die Überweisung der zehn Millionen Dollar sei vom damaligen Vorsitzenden des Finanzkomitees, des mittlerweile gestorbenen Argentiniers Julio Grondona, genehmigt und gemäß der eigenen Regularien vorgenommen worden. Dass Valcke von dem Vorgang gewusst habe, sei ein normaler Vorgang, erklärte ein FIFA-Sprecher.

Die Zahlung von zehn Millionen Dollar sei von der Regierung Südafrikas und vom südafrikanischen Fußball-Verband genehmigt worden, um ein Projekt für die Unterstützung der afrikanischen Diaspora in der Karibik zu finanzieren, hieß es in einer Mitteilung.

Leo Windtner (ÖFB-Präsident): "Diese Nachricht trifft alle überraschend, aber es ist eine Hoffnung auf eine neue Ära in der FIFA, die von Sauberkeit und Glaubwürdigkeit getragen ist. Es ist eine Chance für einen Neustart und ich gehe davon aus, dass sich die UEFA dabei voll einbringen wird."

Gerald Klug (Sportminister Österreich): "Korruption darf im Sport keinen Platz haben. Präsident Blatter hat endlich Konsequenzen aus dem FIFA-Skandal gezogen. Jetzt ist der Weg frei für umfassende Strukturreformen. Das ist die dringendste Forderung an Blatters Nachfolger. Es ist volle Transparenz gefragt, die Vorwürfe müssen restlos aufgeklärt werden. Die FIFA braucht einen glaubwürdigen Neustart."

Michel Platini (UEFA-Präsident): "Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung, und die richtige Entscheidung."

Wolfgang Niersbach (DFB-Präsident): "Das ist die Entscheidung, die absolut richtig ist, die überfällig ist. Es ist eigentlich eine Tragik, warum er es sich selber und uns allen das nicht erspart hat, dass er das früher gemacht hätte."

Coca Cola: Positiver Schritt

Der WM-Sponsor Coca-Cola hat den Rücktritt von FIFA-Chef Joseph Blatter begrüßt. Die Ankündigung sei "ein positiver Schritt für das Wohl des Sports, des Fußballs und dessen Fans", erklärte das US-Unternehmen am Dienstag. "Wir gehen davon aus, dass diese Entscheidung der FIFA helfen wird, die dringend benötigte Umwandlung zu Strukturen und Institutionen des 21. Jahrhunderts schnell zu vollziehen."

Coca-Cola hatte nach der Wiederwahl Blatters am Freitag eine Aufklärung des Korruptionsskandals gefordert. Das Unternehmen ist seit 1974 FIFA-Partner und sponsert seit 1978 die Fußball-WM.

Seit 1998 steht Joseph Blatter an der Spitze des Weltfußballverbandes FIFA. Genauso lange sieht sich der mittlerweile 79-jährige Schweizer Funktionär, der als mächtigster Mann der Sportwelt gilt, mit Schlagzeilen über Korruption und Schmiergeldzahlungen konfrontiert. Die Festnahme von sieben Funktionären am Mittwoch in Zürich reiht sich in die Chronologie der Skandale, die Blatters Regentschaft begleiten.

- Präsidentschaftswahl 1998

Kurz vor dem Anpfiff der WM in Frankreich gewinnt der damalige FIFA-Generalsekretär Joseph Blatter die Präsidentschaftswahl gegen den schwedischen UEFA-Präsidenten Lennart Johansson. Bis heute stehen Vorwürfe über angebliche Zahlungen von je 50.000 Dollar an afrikanische Delegierte in einem Pariser Hotel im Raum. Blatter weist diese beharrlich zurück.

- ISL-Skandal

Blatters Präsidentschaftsvorgänger João Havelange und dessen ehemaliger Schwiegersohn Ricardo Teixera kassierten mehr als zehn Millionen Euro an Schmiergeld für WM-Marketing-Deals mit dem später pleitegegangenen Vermarkter ISL. Blatter wurde von allen Verdächtigungen freigesprochen, obwohl er 1997 als Generalsekretär eine Zahlung an Havelange von 1,5 Millionen Schweizer Franken persönlich zurücküberwiesen und somit Kenntnis vom System hatte. "Damals konnte man solche Zahlungen als Geschäftsaufwand sogar von den Steuern abziehen. Heute wäre dies strafbar", sagte Blatter nach der Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Zug 2012.

- WM-Vergabe 2018 und 2022

Schon vor der Doppel-Vergabe an Russland und Katar wurden zwei FIFA-Exekutivmitglieder wegen nachgewiesener Bestechlichkeit suspendiert. Die Vorwürfe gegen die beiden künftigen Gastgeber wurden schließlich aufwendig von der FIFA untersucht, aber von den Ethikhütern ohne maßgebliche Ergebnisse eingestellt. Der Generalverdacht wurde aber nie entkräftet.

- Präsidentschaftswahl 2011

Lange schien es, als könne der Katarer Mohamed bin Hammam Blatter bei der Wahl 2011 tatsächlich gefährlich werden. Dann stolperte der Funktionär kurz vor der Abstimmung über konkrete Bestechungsvorwürfe aus der Karibik. Die 35 Stimmen aus der CONCACAF-Zone galten als entscheidend. Blatter hatte den Verbänden eine Million Dollar als offizielle FIFA-Zuwendung versprochen. Bin Hammam versuchte es inoffiziell mit 40.000 Dollar pro Verband – und flog auf, weil ihn andere mittlerweile der Korruption überführte Funktionäre anschwärzten.

- WM-Tickets

Der Umgang mit von Millionen Fans begehrten WM-Tickets im Exekutivkomitee war schon häufig fragwürdig. Der damalige FIFA-Vizepräsident Jack Warner trieb es 2006 auf die Spitze, als er die Vermarktung in seinem für das Turnier in Deutschland qualifizierten Heimatland Trinidad und Tobago übernahm. 900.000 Dollar Provisionen soll dies seinem Familienunternehmen eingebracht haben. Die FIFA-Untersuchung stellte keine Verdachtsmomente gegen Warner, sondern nur gegen dessen Sohn fest. Warner senior kam mit einer Verwarnung davon. Warners Exekutivkomitee-Kollege Ismail Bhamjee aus Botswana wurde 2006 überführt, zwölf WM-Karten auf dem Schwarzmarkt verkauft zu haben. 2014 in Brasilien gab es Berichte über illegal veräußerte WM-Karten aus dem Besitz des argentinischen Topfunktionärs Julio Grondona.

Blatter-Rücktritt: Chance auf Neustart

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