Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

Franz Beckenbauer, oder: Eine Lichtgestalt ist ins Zwielicht geraten.
Dem beliebtesten Deutschen hat man jahrzehntelang alles verziehen. Seit der WM-Affäre ist damit Schluss.

Er könnte sich jetzt natürlich hinstellen und sagen:
„Was wollt’s ihr eigentlich? Ihr jammert’s wegen 6,7 Millionen Euro, die verschwunden sind – so billig ist noch nie eine Fußball-Weltmeisterschaft hergegangen.“

Oder: „Was habt’s ihr überhaupt? Schimpft’s mich doch nicht wegen dem Zettel mit meiner Unterschrift drauf. Das Geschäft ist doch eh nie zustande gekommen.“

Oder auch: „Was regt’s euch, bitteschön, jetzt alle denn so auf? War doch eine Riesengaudi, unser Sommermärchen 2006.“

Solche Erklärungen würden zu Franz Beckenbauer passen. Genau das würde man von ihm erwarten, so etwas wäre wieder typisch er – typisch der Kaiser. Die Probleme mit einem Lächeln wegwischen, als wären sie nichts weiter als lästige Brotbrösel auf dem Küchentisch. Den größten Skandal, in den der deutsche Fußball bisher verwickelt war, abtun als Kinderei. Alles nicht der Rede wert, alles halb so schlimm.

Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

Franz Beckenbauer
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

GERMANY GOLF SENIOR
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

BA-GOLFOPEN 2008: BECKENBAUER / KLAMMER
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

FILE SWITZERLAND SOCCER WORLD CUP 2006 BECKENBAUER
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

Football: Germany, Franz Beckenbauer
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

Camp Beckenbauer
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

FILE SWITZERLAND SOCCER FIFA
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

FRANZ BECKENBAUER CELEBRATES
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

Franz Beckenbauer
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

FILE SWITZERLAND SOCCER WORLD CUP 2006 BECKENBAUER
Der Kaiser ist auch nur ein Mensch

FILE GERMANY SOCCER FIFA WORLD CUP 2006 BECKENBAUE

Franz Dampf

Aber Franz Beckenbauer sagt im Moment gar nichts zur Fußball-Affäre, die seit Wochen die Nation bewegt. Er ist weg, untergetaucht, nicht mehr zu sehen, schon gar nicht mehr zu hören. Das mag etwas heißen für einen Mann von seinem Rang und Namen, der für gewöhnlich überall seinen bayrischen Senf dazugibt und Zeit seines Lebens ein richtiger Franz Dampf in allen Gassen und Stadien war.

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, seiner WM, hatten einige bereits geunkt, Beckenbauer habe sich jetzt sogar klonen lassen wie einst das Schaf Dolly. Weil er den Eindruck erweckte, an einem Spieltag zugleich in Hamburg, München und Kaiserslautern zu sein. Tatsächlich hatte ihn dann doch nur ein herkömmlicher Hubschrauber von Arena zu Arena, von WM-Partie zu WM-Partie geflogen.

Heftiger Gegenwind

Und jetzt steht dieser Mann, der immer nur das Rampenlicht und den Mittelpunkt des Geschehens kannte, den stets alle nur hofiert und gebauchpinselt haben, auf einmal im Abseits wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Der 70-Jährige wird jetzt plötzlich öffentlich kritisiert, weil er sich nicht zu Wort meldet, obwohl er damals als Chef des WM-Organisationskomitees mittendrin statt nur dabei war. Er bekommt nun heftigen Gegenwind, weil er den Eindruck erweckt, nichts zur Aufklärung der Affäre um dubiose Geld-Überweisungen und fragwürdige Vertragsentwürfe im Zuge der WM-Bewerbung beisteuern zu wollen.

Deutsche Politiker haben sich auf ihn eingeschossen, langjährige Funktionärsweggefährten setzen ihm das Messer an die Brust und fordern von ihm Antworten, und selbst die deutschen Medien, lange Zeit ein beliebter Spielball von Beckenbauer, entziehen ihm mehr und mehr die Liebe und Unterstützung. Die Süddeutsche Zeitung schrieb zuletzt vom Wandel von der Lichtgestalt zur Zwielichtgestalt.

Sonntagskind

Das ist eine ungewohnte Situation für Beckenbauer. Eine neue Rolle, eine neue Wahrnehmung seiner Person, die ihm überhaupt nicht behagen dürfte. Er, der immer als das Sonntagskind des deutschen Fußballs (©Tagesspiegel) gegolten hatte. Diesem Sohn eines Postbeamten schien alles stets leicht von der Hand zu gehen – vom Fuß sowieso.

Als Spieler hatte er dereinst der Rolle des Libero Leben, Lust und Lässigkeit eingehaucht. Beckenbauer, der auf dem Platz oft unterfordert schien, war der erste Fußballstar, der nicht dafür geliebt wurde, dass er Tore erzielte, sondern weil er sie verhinderte. Mit Eleganz und Esprit, wie man es von einem deutschen Fußballer in dieser Form noch nicht gekannt hatte.

Große Kunst

Die Erfolge, Titel und Sympathien flogen ihm nur so zu, und spätestens als Beckenbauer nach dem WM-Triumph als Spieler (1974) Deutschland auch als Teamchef auf den Fußball-Olymp führte (1990), stieg der Kaiser in seiner Heimat in Sphären auf, die zuvor kein anderer erreicht hatte. Er sei der beste Fußballer, den Deutschland hervorgebracht hat, sagt man über ihn. Er ist auf alle Fälle der Einzige, der je den Ball von einem Weißbierglas in einem kleinen Loch in der ZDF-Torwand versenkt hat.

Irgendwann konnte Beckenbauer tun, was er wollte, und sagen, was er mochte. Als Kaiser war er unantastbar und über jeden Zweifel erhaben. Als er im höheren Alter seine Frau verließ und noch einmal Vater wurde, gab es in der Öffentlichkeit keine Kritik. Vielmehr hieß es: Na bumm, der Kaiser. Ihm selbst fiel dazu ein: „Der Herrgott freut sich über jedes Kind.“

Dumme Sprüche

Ihm nahmen die Deutschen nie etwas übel, ihm verzieh man seine Steueraffäre in den 70er-Jahren sowie die vielen überflüssigen Wortmeldungen. Dabei kann Franz Beckenbauer mitunter richtig saudepperte Sprüche loslassen. Als er etwa zur Situation der Arbeiter in Katar befragt wurde, die von allen Menschenrechtsorganisationen angeprangert wird, meinte er lapidar: „Also, ich hab’ noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum. Weder in Ketten gefesselt noch mit irgendeiner Büßerkappe auf dem Kopf.“

Franz Beckenbauer sind seine Ausrutscher und Peinlichkeiten lange Zeit nicht auf den Kopf gefallen. Und wenn sich einer beschwert hat, dann hieß es eben: Jo mei, der Franz. So is er halt. Und wie der FC Bayern, dem der 70-Jährige lange als Präsident vorstand, das berühmte „Mia san Mia“ zur Maxime gemacht hat, so lautet das Beckenbauer’sche Motto: „I bin i.“

Gepflegter Doppelpass

Es war kein Zufall, dass er seinerzeit das Amt des OK-Chefs für die Fußball-WM in Deutschland erhielt. Einer wie Franz Beckenbauer war auch prädestiniert für diesen Job, in dem der Doppelpass zwischen knallhartem Fußball-Business und lockerem Umgang gepflegt wird. Seine Kontakte und sein Ruf waren für die Bewerbung genauso unbezahlbar wie seine joviale Art, mit der es sich punkten lässt, wenn die heißen Themen auf den Verhandlungstisch kommen.

Heiße Themen wie der verdächtige Vertragsentwurf mit Jack Warner, einem der windigsten Funktionäre, die der Weltfußball hervorgebracht hat und der mittlerweile lebenslang gesperrt ist.

Brennende Fragen

Ob Franz Beckenbauer aus der Nummer noch rauskommt? Ob sich diese brenzlige Angelegenheit so leicht regeln lässt, wie er es gerne hätte? Ob er je Antworten gibt auf die brennenden Fragen rund um die WM-Bewerbung? „Franz Beckenbauer steht den zuständigen Gremien weiterhin zur Verfügung und wird sich öffentlich nicht äußern“, schreibt sein Management.

Das letzte Mal, dass es Franz Beckenbauer so die Rede verschlagen hat, war, als er bei der EM 2008 auf einen Doppelgänger traf. Beckenbauer wusste nicht recht, was er mit dem Imitator sprechen sollte.

Offenbar war der Kaiser dem Kaiser selbst nicht ganz geheuer.

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