FIFA setzt auf Technik, UEFA auf Augen

FIFA setzt auf Technik, UEFA auf Augen
Die UEFA setzt weiterhin voll auf zusätzliche Schiedsrichter-Assistenten.

Sie werden gerne als "Stehlampen" oder "Pappkameraden" verunglimpft, für die Vereinigung Europäischer Fußballverbände (UEFA) sind sie hingegen das geeignetste Hilfsmittel, um die Fehlentscheidungen im Strafraum zu minimieren: die beiden "Additional Assistent Referees", die im deutschsprachigen Raum gerne nur als "Torrichter" bezeichnet werden.

Am Donnerstag werden mit den Esten Kristo Tohver und Eiko Saar zwei zusätzliche Assistenten Schiedsrichter Hannes Kaasik beim Europa-League-Gruppenspiel von Rapid gegen Charkiw im Happel-Stadion unterstützen; nicht nur die Torlinie, sondern auch den gesamten Strafraum überwachen.

Sichtbar für die Zuschauer machen sie das aber nicht. Im Gegensatz zu den beiden an den Seitenlinien auf und ab laufenden Schiedsrichter-Assistenten haben die jeweils rechts neben einem Tor postierten Assistenten keine Fahne, um Regelverstöße anzuzeigen. Um sie vor den Reaktionen der Fans auf umstrittenen Entscheidungen zu schützen, teilen sie ihre Wahrnehmungen dem Hauptschiedsrichter ausschließlich per Headset mit (UEFA produziert Lehr-DVD für Verbände).

Getestet wurden die zusätzlichen Assistenten vier Jahre lang. Seit einem positiven Entscheid des für Regeländerungen zuständigen International Football Association Board (IFAB) im Sommer dürfen diese nun auch offiziell eingesetzt werden. Im Gegensatz zum Fußball-Weltverband FIFA nützt die UEFA in ihren Bewerben dies auch. Bei der EURO waren die zwei zusätzlichen Assistenten genauso im Einsatz wie in der Champions League und eben in der Europa League. Auf den Einsatz technischer Hilfsmittel wird hingegen verzichtet.

Nun zog die UEFA eine Bilanz – nach 1200 Spielen mit sechs Schiedsrichtern. "Die Spielüberwachung wird erleichtert. Es gibt weniger Vorfälle, besonders bei Freistößen und Eckbällen. Dazu wurde die Genauigkeit der Entscheidungen erhöht", sagt UEFA-Schiedsrichter-Boss Pierluigi Collina. "Zwei weitere Augenpaare sind wertvolle Hilfen, ohne den Spielfluss zu hemmen. Dies ist der eigentliche Grund für die zusätzlichen Offiziellen."

Mehr Kopfballtore

Bei der EURO wirkte sich die zusätzliche Kontrolle – laut Collina – auch auf die Art und Weise aus, wie die Tore erzielt wurden. "Es gab einen Anstieg der Kopfballtore. Dies ist eine Konsequenz von weniger Ziehen und Halten im Strafraum, so wurde es für die Stürmer leichter, zum Kopfball hochzusteigen", ist sich der ehemalige Star-Schiedsrichter sicher.

Bei der EURO gab es aber auch einen gravierenden Fehler eines zusätzlichen Assistenten. Der Ungar Istvan Vad hatte bei einer Rettungsaktion des Engländers John Terry gegen die Ukraine übersehen, dass der Ball hinter der Torlinie war. Der Grund für den Fehler war ein Stellungsfehler: Vad war auf und nicht hinter der Torlinie gestanden wie es eigentlich vorgeschrieben wird. Deshalb hatte ihm die Torstange das Sichtfeld verstellt.

Technische Revolution

Die FIFA will sich hingegen in Frage "Tor oder nicht Tor" nicht auf das menschliche Auge verlassen. Bei der vom Weltverband veranstalteten Klub-WM in Japan (6.–16. Dezember) kommen erstmals technische Hilfsmittel zum Einsatz – aber nur zur Überwachung der Torlinie. Das System "Hawk-Eye" (Videoüberwachung) und das System "GoalRef" (Chip im Ball, Magnetfeld im Tor) wurden in den Stadien in Yokohama und Toyota installiert.

Einen Rückschlag für die Verfechter der technischen Hilfsmittel gab es in Deutschland. In der Bundesliga werden die technischen Hilfsmittel zur Überwachung der Torlinie, deren Einbau 120.000 bis 300.000 Euro pro Stadion kostet, vorerst nicht vorgeschrieben – wegen „ungeklärter Fragen in Bezug auf die Genauigkeit der Messungen“. Man will erst die Erfahrungen der FIFA abwarten.

Es ist aber auch in Deutschland – wie in Österreich – nicht geplant, zwei zusätzliche Schiedsrichter-Assistenten einzusetzen – im Gegensatz zur Serie A. In dieser sind seit dieser Saison sechs statt vier Schiedsrichter pro Spiel im Einsatz.

Experiment

Die UEFA will bei der U21-Europameisterschaft in Israel im kommenden Jahr zwei zusätzliche Schiedsrichter-Assistenten einsetzen. Das entschied die Europäische Fußball-Union auf ihrer Exekutivsitzung in Lausanne am Donnerstag. Wie schon in der Champions und Europa League praktiziert soll das Duo jeweils auf Höhe der beiden Torlinien postiert werden und besonders bei kniffligen Situationen in den Strafräumen eingreifen.

Damit geht die UEFA weiter bewusst einen anderen Weg als der Weltverband FIFA. Die FIFA setzt bei der Frage, ob ein Ball die Torlinie überquert hat oder nicht, auf die Tortechnologie. Diese wird derzeit auch bei der Club-Weltmeisterschaft in Japan getestet. Während FIFA-Boss Joseph Blatter nach langem Zögern inzwischen ein Befürworter von technischen Hilfsmitteln im Fußball ist, gilt UEFA-Präsident Michel Platini weiter als klarer Gegner. Der Franzose führt für seine Haltung unter anderem die zu hohen Kosten an.

Er ist seit 2008 Schiedsrichter in der Bundesliga und mittlerweile auch FIFA-Referee. Diese Woche ist er Torrichter. Mit dem Vorarlberger Spielleiter Robert Schörgenhofer reist der Wiener FIFA-Referee Harald Lechner heute nach Zypern, wo das österreichische Schiedsrichter-Gespann am Donnerstag das Spiel zwischen AEL Limassol und Olympique Marseille leiten wird. Die Partie wird bereits Lechners zehnter Einsatz als Torrichter in Europa oder Champions League sein.

"Grundsätzlich halte ich sehr viel davon", sagt Lechner, der beide Seiten kennt, weil er im Vorjahr selbst ein Spiel in der Europa League mit Torrichtern geleitet hat. "Die zusätzlichen Assistenten bringen viel, weil aufgrund des neuen Blickwinkels bestimmte Situationen sehr gut beurteilt werden können und daher die Fehleranzahl minimiert wird."

Keine Gestik

Warum die Torrichter oft den Eindruck hinterlassen, sie würden teilnahmslos neben dem Tor stehen, erklärt Lechner so: "Sie dürfen dem Schiedsrichter nur akustisch über das Headset ihre Sichtweise mitteilen und sich körpersprachlich nichts anmerken lassen." So wirkte Lechner zuletzt auch bei kniffligen Strafraumentscheidungen mit. Beim Spiel zwischen Hapoel Kiryat Shmona und Athletic Bilbao vor einer Woche unterstützte er seinen steirischen Kollegen Rene Eisner. "In diesem Spiel stellte sich zwei Mal die Frage: Elfmeter oder nicht. Ich habe zwei Mal ‚weiterspielen‘ signalisiert und die TV-Bilder haben uns im Anschluss recht gegeben", erzählt Lechner.

 Bei einem Spiel in Portugal erkannte Lechner einmal, dass der Ball bei einem Lattenpendler die Torlinie nicht zur Gänze überschritten hatte. "Aus meinen Erfahrungen kann ich nur Positives berichten. Klar ist aber auch, dass wir nicht immer fehlerlos bleiben werden."

Unangenehm wird es für die Torrichter vor allem dann, wenn es – so wie derzeit – kalt ist. Denn bewegen können sich die zusätzlichen Assistenten neben dem Tor nicht. Lechner: "Da hatte ich vor einem Jahr in Kasan bei minus zehn Grad das Glück, dass ich nicht Torrichter sondern Schiedsrichter war."
 

 Für Rapid geht es am Donnerstag gegen Metalist Charkiw nur noch um die Ehre und um die 200.000 Euro Siegprämie der UEFA. Rapid hat als einziges der 48 Teams in den ersten fünf Runden keinen Punkt geholt und kann diese Scharte gegen die als Gruppensieger feststehenden Ukrainer ausmerzen. „Die Gruppe mit null Punkten abzuschließen, wäre sehr unangenehm, das wollen wir unbedingt vermeiden“, sagt Steffen Hofmann, der schon einmal eine Europacup-Gruppenphase ohne einen einzigen Zähler beendet hatte: 2005 in der Champions League.

Der Kapitän wird aber nicht an Bord sein. Wegen einer Oberschenkelverletzung trainierte er gestern nicht mit der Mannschaft, sondern in der Kraftkammer und wird am Donnerstag für die Meisterschaft geschont.

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