Belgien: Stars aus der Problemzone

Durchgesetzt: Der 22-jährige Michy Batshuayi wuchs nahe Molenbeek auf und wurde als Stürmer von Marseille groß.
Belgiens beste Fußballer kommen aus dem berüchtigten Molenbeek.

Seit den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris ist Molenbeek als Islamisten-Hochburg international in Verruf geraten. Einige Attentäter von Paris sind in diesem Stadtteil von Brüssel aufgewachsen. Aber auch einige der belgischen Teamspieler haben ihre Wurzeln in den Problembezirken der Hauptstadt. Belgiens Talenteschuppen ist die Nummer eins im FIFA-Ranking. Tatsächlich sind die jungen Kicker-Millionäre in denselben Straßen aufgewachsen wie jene, die mit ihren Anschlägen Tod und Angst bringen.

Im Verhältnis zu seiner Größe gibt es kein anderes Land in Europa als Belgien, aus dem mehr junge Männer nach Syrien in den Krieg gezogen sind. Überspitzt formuliert: Keine andere Stadt in Europa produziert mehr Talente – und mehr Terroristen.

Michy Batshuayi hat in den Parks im Viertel Berchem, gleich neben Molenbeek, das Kicken gelernt. Der 22-Jährige spielt in Marseille und ist einer der besten Stürmer der französischen Liga. Seine Eltern sind in den 80er-Jahren aus der Demokratischen Republik Kongo nach Brüssel geflohen. Batshuayi kam zum RSC Anderlecht, wo sein Bruder Aaron immer noch spielt.

Adnan Januzajs (Manchester United) Eltern sind Kosovo-Albaner, die 1992 vor dem Bürgerkrieg flohen. Januzaj hätte für sechs Nationen spielen können, entschied sich aber für die belgische Nationalmannschaft.

Aus Molenbeek stammte auch Junior Malanda, der bei Wolfsburg spielte und vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben kam. Der RSC Anderlecht hatte ihn mit elf Jahren geholt. Sie alle profitierten von einem Programm, das sich "Purple Talent Project" nennt. Der RSC hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Nationalspieler ausgebildet. Romelu Lukaku durchlief ebenfalls Anderlechts Nachwuchsakademie. Zuvor kickte er in Molenbeek.

Nur drei, vier Kilometer ist Molenbeek vom Stadion des RSC Anderlecht entfernt. "Inzwischen kommen die besten Spieler aus den schwierigsten Stadtteilen", sagt Jan Kindermans, der Leiter der Nachwuchsabteilung von Anderlecht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Molenbeek ist für uns wie ein Meer voller Talente."

Kindermans erklärt die Philosophie des Klubs: "Wir schauen nicht auf die Farbe der Menschen, nicht auf ihre Herkunft, nicht auf ihre Kultur. Wir schauen nur auf die guten Füße, den guten Kopf und die gute Mentalität. Als Stadt in der Mitte von Europa müssen wir einen multikulturellen Ansatz versuchen." Einer der Ersten, die von Anderlechts Förderprogramm profitierten, war Vincent Kompany von Manchester City, der bei der EM aber verletzt fehlen wird. Als er 16 oder 17 war, stellte ihm der Klub einen Helfer zur Seite. "Um ihn zu schützen und ihm den richtigen Weg zu zeigen." Kompany hat 2013 in den Klub FC Bleid Molenbeek investiert, heute als BX Brussels von seiner Schwester Christel geführt. Der Verteidiger von Manchester City sagt, dass Molenbeek "nicht der Ort ist, den die Medien daraus machen".

Lukaku hat vor sieben Jahren ein Apartment in Molenbeek gekauft. Im November hat er seine Familie zu sich nach England geholt. "Ich habe dort niemals Probleme gehabt oder gesehen. Es ist eine ruhige Gegend. Aber nach all dem, was dort passiert, habe ich reagiert. Die Sicherheit meiner Familie geht über alles."

Molenbeek kann also seinen Ruf als Terrorhochburg nicht abstreifen. Kompany kritisierte, dass Molenbeek vom Staat im Stich gelassen und dem FC Sonatrach Maghreb eine monatliche Subvention von 400 Euro für das vom Klub betriebene Straßencafé verweigert wurde.

Offene Gräben

Der emeritierte Professor für Religionssoziologie Felice Dassetto, der an der Université Catholique de Louvain lehrte und in Molenbeek Studien durchführte, sagt: "Während meiner Forschungen habe ich die zentrale Rolle des Sports beim Integrationsprozess festgestellt. Ich habe beobachtet, dass die Vereine jedoch vor den Schwierigkeiten eines Zusammenlebens zwischen Moslems und Nichtmoslems kapitulieren." Aus religiösen und ethnonationalen Gründen würden zwei Mannschaften gebildet: Moslems gegen den Rest. "Das ist katastrophal", erklärt Dassetto.

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