Toni Kroos: Der deutsche Stardirigent

Toni Kroos ist der sicherste Passgeber bei der EM in Frankreich.
Im Halbfinale gegen Frankreich kommt dem Mittelfeldspieler erneut eine zentrale Rolle zu.

Als Einstimmung auf das zweite Halbfinale dieser Europameisterschaft zwischen Gastgeber Frankreich und Deutschland werden jetzt noch einmal die Bilder zu sehen sein, vom dramatischen Elfmeterschießen von Bordeaux, wo Deutschland seinen Italien-Flucht besiegte.

Als Jonas Hector schließlich den 18. und entscheidenden Elfer verwandelte, wird man sehen, wie alle deutschen Spieler jubelnd lossprinten, eine Gruppe zum Schützen, eine andere Gruppe zu Torwart Manuel Neuer. Nur einer rennt nicht los – Toni Kroos. Man sieht ihn, wie er tief durchatmend einmal in die Hände klatscht. Fertig.

Nun ist der 26 Jahre alte Toni Kroos alles andere als ein unhöflicher Geselle, der den anderen die Anerkennung und das Rampenlicht nicht gönnt. Der Real-Spieler ist von beherrschtem Temperament. Oder wie es Joachim Löw eben erzählt hat: "Ich kenne keinen Spieler, der so cool ist wie der Toni."

Großer Stratege

Kroos sei schließlich schon ein paar Jährchen ein "ganz wesentlicher Bestandteil" seiner Mannschaft. Ob es ein beliebiges Vorbereitungsspiel sei oder ein WM-Halbfinale in Brasilien gegen Brasilien wie vor zwei Jahren, dieser fast schmächtige Kerl sei "im Wissen um seine Stärken so ruhig und gelassen", wie er es bei noch keinem anderen Spieler erlebt habe. "Das ist seine große Qualität", sagt Teamchef Löw.

Egal, wer nun die freie Stelle von Sami Khedira gegen Frankreich einnehmen wird, dieser eine wird auflaufen an der Seite einer der spielprägendsten Figuren, die der Weltfußball derzeit zu bieten hat. Löw: "Toni kann das Spiel mit seiner Technik in richtige Bahnen lenken, er ist ein großer Stratege."

Vermutlich werden sie sich beim FC Bayern in den beiden vergangenen Jahren schon ein-, zwei Mal an den Kopf gegriffen haben und gefragt haben, warum sie diesen Spieler 2014 für läppisch anmutende 30 Millionen Euro an Real Madrid abgegeben haben. Aber zum Weg seiner geschickten Füße in die Weltklasse gehörten eben auch immer Zweifel der anderen. Zweifel, ob er sein Talent und seine Gabe je würde auf den Rasen bringen können, auch Zweifel daran, ob er bei all seiner Gelassenheit den nötigen Biss und die Härte würde entwickeln können, um das Spiel eines Topteams zu prägen.

Das WM-Finale von Rio sah nicht den allerbesten Kroos, der die deutsche Mannschaft so fantastisch durchs Turnier gespielt hatte. Und im verloren gegangenen Champions-League-Finale der Bayern 2012 hat der Techniker sich um einen Strafstoß im Elferschießen gedrückt. Im Viertelfinale gegen Italien schritt er nun als Erster zum Punkt – und traf. Die Jahre bei Real haben ihn reifen und aushärten lassen. Kroos prägt das Spiel der Madrilenen, mit denen er gerade die Champions League gewonnen hat.

Kluge Pässe

Bei der EM 2012 sah Löw in Kroos einen Mann für alle Fälle, nur nicht für die Stammelf. Das ist lange her, Kroos ist für Löw aus der Startelf nicht mehr wegzudenken. Mit 522 angekommenen von 557 gespielten Pässe ist er der erfolgreichste Passgeber aller Spieler bei der EM. Es sind auch oft genug Pässe, die das Spiel verlagern, es öffnen oder es final zuspitzen.

Neulich im Training trabte Toni Kroos locker aus. Er drehte ganz allein ein paar Runden. Die eine Gruppe der Mannschaft strampelte auf den Rädern im Fitnesszelt, die andere Gruppe aus Spielern, die nicht gespielt hatten im Viertelfinale, hielt eine intensive Einheit ab. Es war ein bisschen sinnbildlich: Kroos ist so etwas wie ein Verbindungsspieler, das Scharnier zwischen Abwehr und Angriff.

Und so wird er heute in Marseille wieder einmal den Ballverkehr zu regeln haben. Ganz allein kann er die Gastgeber nicht aus dem Turnier kegeln, aber ohne diesen Toni Kroos hätte es Deutschland schwer.

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