Deutschland gewinnt Elferkrimi gegen Italien

Die Deutschen stehen im Halbfinale. Italien ist draußen.

Fußball-Weltmeister Deutschland hat sein Italien-Trauma überwunden. Die Deutschen rangen ihren Angstgegner am Samstag im Viertelfinale der EM in Frankreich in einem völlig verrückten Elfmeterschießen mit 6:5 nieder. Erst der 18. Versuch durch Jonas Hector brachte in Bordeaux die Entscheidung. Gleich vier Schützen der Italiener waren davor gescheitert, bei den Deutschen waren es deren drei.

Nach 120 Minuten war es in einem von Taktik geprägten Schlager 1:1 (1:1) gestanden. Mesut Özil hatte die Deutschen vor 38.764 Zuschauern in Führung gebracht (65.), den Italienern gelang durch einen Elfmeter von Leonardo Bonucci aber noch der Ausgleich (78.). Deutschlands Abwehrchef Jerome Boateng hatte ihn mit einem unnötigen Handspiel im Strafraum ermöglicht.
Deutschland gewinnt Elferkrimi gegen Italien
Italy's goalkeeper Gianluigi Buffon salutes the fans after Germany won the match in nine penalty shoot-outs in the Euro 2016 quarter-final football match between Germany and Italy at the Matmut Atlantique stadium in Bordeaux on July 2, 2016. / AFP PHOTO / NICOLAS TUCAT
Das Elfmeterschießen wurde dann zu einem Nervenkrimi. Mit dem unmittelbar davor eingewechselten Simone Zaza, Graziano Pelle und Bonucci vergaben gleich drei der ersten fünf italienischen Schützen. Allerdings trafen bei den Deutschen auch Thomas Müller, Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger, der den ersten Matchball ausließ, nicht vom Punkt. Nachdem schließlich auch noch Matteo Darmian an Deutschlands Torhüter Manuel Neuer gescheitert war, traf Hector.

Die Deutschen treffen nun im EM-Halbfinale am Donnerstag in Marseille auf den Sieger des letzten Viertelfinales zwischen Gastgeber Frankreich und Außenseiter Island. Bei der EM 2012 war das DFB-Team den Italienern im Halbfinale noch mit 1:2 unterlegen. Nun war für die "Azzurri", die im Achtelfinale noch Titelverteidiger Spanien (2:0) eliminiert hatten, auf bittere Art und Weise Endstation.

Löw mit Dreierkette

Joachim Löw hatte Feuer mit Feuer bekämpft. Deutschlands Teamchef stellte seine Defensive gegen das 3-5-2 der Italiener ebenfalls von einer Vierer- auf eine Dreierkette um. Das hatte schon bei einem Test im März (4:1) funktioniert. Anstelle des im Achtelfinale gegen die Slowakei (3:0) starken Offensivmannes Julian Draxler rückte mit Benedikt Höwedes ein dritter Innenverteidiger ins Team.

Eine Adduktorenverletzung von Sami Khedira zwang Löw nach 15 Minuten zu einer weiteren Änderung. Für den Mittelfeldmann kam der erst kurz vor Turnierbeginn von einer Knieverletzung zurückgekehrte Schweinsteiger - und übernahm auch prompt die Kapitänsbinde von Neuer. Bei den Italienern herrschte im zentralen Mittelfeld noch größere Personalnot. Weil Daniele De Rossi verletzt und Thiago Motta gesperrt fehlte, musste Stefano Sturaro von Beginn an ran. Der 23-Jährige, bei Meister Juventus Turin kein Stammspieler, hatte erst im Juni im Nationalteam debütiert.

Beide Teams neutralisierten einander mit Rasenschach auf hohem Niveau. Die Deutschen hatten zwar etwas mehr Ballbesitz, agierten bei Ballverlust aber ebenfalls mit zwei sehr defensiven Außenspielern. Vorsicht regierte. Ein Kopfball von Schweinsteiger landete zwar im Tor. Der DFB-Kapitän hatte davor aber ein klares Offensivfoul begangen (27.).

Italiens Startorhüter Gianluigi Buffon bekundete bei einer abgefälschten Flanke aufs kurze Eck leichte Probleme (36.). Einen harmlosen Versuch von Müller hatte er sicher (42.). Auf der Gegenseite startete Emanuele Giaccherini richtig, sein Querpass erwischte aber keinen Abnehmer. Der folgende Schuss von Sturaro wurde neben das Tor abgefälscht (43.).

Özil trifft

Nach Seitenwechsel kam Müller seinem ersten EM-Tor etwas näher. Seinen Schuss lenkte Alessandro Florenzi aber zum Corner ab (54.). Elf Minuten danach schlug Özil aus kurzer Distanz zu. Solostürmer Mario Gomez hatte Hector eingesetzt. Dessen von Leonardo Bonucci abgefälschter Querpass sprang Özil etwas glücklich genau in den Lauf.

Bonucci gleicht aus

Die Deutschen setzten nach. Gomez hatte die Entscheidung auf der Ferse, brachte den Ball nach Vorarbeit von Özil aber nicht im Tor unter (68.). Wenig später musste der Sturmtank leicht angeschlagen für Draxler Platz machen. Italien klopfte durch Graziano Pelle an (74.), durfte sich aber bei Boateng für den Ausgleich bedanken. Der Bayern-Verteidiger hielt beide Arme über dem Kopf, als ihn der Ball traf. Bonucci versenkte den Elfmeter im rechten Eck. Es war Deutschlands erstes Gegentor im fünften Spiel des Turniers.

Mattia De Sciglio traf danach nur noch das Außennetz (89.), in der Verlängerung dominierte wieder die taktische Disziplin. Ein Schuss des eingewechselten Lorenzo Insigne bereitete Neuer keine Probleme (113.). Der Versuch, das Spiel danach schnell zu machen, ging beinahe ins Auge, weil der Stargoalie dabei den Schiedsrichter traf. Im Elfmeterschießen parierte Neuer die Versuche von Bonucci und Darmian.

Deutschland hat damit zwar auch im neunten Anlauf bei einem Großereignis nicht gegen Italien gewonnen. Der "Fluch" ist dennoch besiegt. Nach den gegen Italien verlorenen Semifinali bei der WM 1970, der WM 2006 und der EM 2012 sowie der Niederlage im WM-Finale von 1982 gelang den Deutschen gegen ihren Angstgegner der Aufstieg. Im Halbfinale fehlt ihnen Innenverteidiger Mats Hummels wegen einer Gelbsperre.

Jonas Hector (Deutschland, verwertete entscheidenden Elfer): "Ich bin überglücklich, wir sind auch mit etwas Glück eine Runde weiter. Es war ein sehr anstrengendes Spiel. Hinten haben wir wenig zugelassen, nach vorne hatten wir das eine oder andere Problem - auch weil die Italiener gut standen."

Manuel Neuer (Tormann Deutschland): "So ein Penaltyschießen habe ich noch nie erlebt. Ich weiß nicht mal mehr, wie viele Schützen angetreten sind. Ich wusste über die Vorlieben der Italiener vom Punkt aus Bescheid. Die Schüsse in die Mitte hatten wir aber nicht auf dem Radar."

Mats Hummels (Verteidiger Deutschland): "Ich bin sehr, sehr erleichtert. Vor dem Penalty geht einem einiges durch den Kopf. Und Gigi Buffon war bei meinem Schuss noch mit den Händen dran. Das war ganz eng. Dass ich im Halbfinale gesperrt bin, ist bitter. Ich habe noch geahnt, dass die unberechtigte Gelbe Karte gegen die Slowakei noch wehtun könnte, und die heutige war auch nicht eindeutig. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn berührt habe."

Sami Khedira (Mittelfeldspieler Deutschland): "Was die Mannschaft heute geleistet hat, war eines Champions würdig. Wir haben es verdient. Unser Weg ist noch nicht zu Ende. Ob es bei mir für das Halbfinale reicht, kann ich noch nicht sagen."

Antonio Conte (Teamchef Italien): "Es tut uns sehr leid. Die Spieler hätten sich mehr verdient gehabt. Wir hätten es uns zugetraut, es zu schaffen. So zu verlieren ist schade. Ich denke aber, dass wir stolz sein können auf das, was wir geleistet haben. Wir hätten in diesem Turnier mehr erreichen können. Natürlich ist es schade, im Elfmeterschießen zu verlieren. Wenn man sich ansieht, was wir in diesem Turnier geleistet haben, dann können wir aber stolz sein. Wir haben alles gegeben. Es war eine großartige Erfahrung. Alle Gegner haben uns immer respektiert. Die vergangenen Jahre waren großartig. Ich bin enttäuscht für die Spieler, dass sie so ausgeschieden sind."

Joachim Löw (Teamchef Deutschland): "Ich bin zufrieden, dass wir uns für das Halbfinale qualifiziert haben. Das Turnier ist noch nicht zu Ende, es geht weiter. Es ist ein tolles Gefühl. Die Italiener sind gut, sie sind vorne gefährlich. Für uns ist es darum gegangen, ihren Raum im Mittelfeld zu begrenzen. Man muss die Italiener manchmal mit den eigenen Mitteln schlagen und mit Intelligenz. Es war nicht ideal für uns, dass Sami Khedira so früh vom Platz musste. Für das Halbfinale müssen wir andere Lösungen finden, um Mats Hummels zu ersetzen. Es ist noch ein bisschen zu früh, um zu feiern. Die Spieler müssen regenerieren."

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