Laufsport: Dem Hochgefühl entgegenlaufen

Was für viele die Faszination am Laufen ausmacht? "Ich komme körperlich wie auch geistig frischer zurück, als ich es beim Weglaufen war", sagt Hobbyläufer Norbert Aschenbrenner
Ein Hobbysportler, ein Sportmediziner und ein Sporthistoriker erklären, warum das angemessene Maß an Bewegung unglaublich guttut.
Von Uwe Mauch

Da laufen sie, die Aschenbrenners. Vater Norbert in der Mitte, flankiert von Sohn Sebastian und Tochter Fiona. Harmonisch, happy, ganz ohne Generationenkonflikt. Ein schöner Frühjahrsnachmittag geht in den Endspurt.

Laufsport: Dem Hochgefühl entgegenlaufen
Laufen
Kaum zu glauben: Der Herr Papa, ein Angestellter der Vereinten Nationen, hat im Vorjahr seinen Fünfziger überschritten. Doch er wieselt fast so flott über den Asphalt der Wiener Hauptallee wie seinerzeit, als er ein Bub in einem Erdberger Gemeindebau war und beim "Räuber und Gendarm"-Spiel um sein Leben rannte. "Das Schöne am Laufen" beschreibt Aschenbrenner ohne Schnaufen so: "Abgesehen von der körperlichen Ertüchtigung reinigt der Sport meinen Kopf und sortiert meine Gedanken. Ich komme körperlich wie auch geistig frischer zurück, als ich es beim Weglaufen war."

Gänsehaut unterwegs

Großes Glück empfindet er vor allem bei einem Wettlauf: "Als Läufer bist du auch ein Mathematiker. Ständig schaust du auf deine Uhr, kalkulierst Distanz und Geschwindigkeit und rechnest deine Zeit hoch. Und wenn du dann merkst, es könnte sich ausgehen, dann läuft es dir kalt über den Rücken, und du läufst noch ein bisschen schneller. Und eine neue Bestzeit am Ende ist sowieso unbezahlbar."

Zu verdanken hat er diese Glücksgefühle seinem heute 18-jährigen Sohn, der vor drei Jahren um ein ernstes Gespräch bat, um ihm dann ins Gewissen zu reden. Trinken. Völlern. Rauchen. Er hat ihn in die Hüfte gezwickt und gemeint, dass das so nicht weitergehen kann und dass er seinen sportlichen Papa zurückhaben möchte.

Fußstapfen des Vaters

Glücklich stimmen auch Trainingsläufe wie der heutige, der ihn noch ein Stück besser auf den Wien-Marathon am kommenden Sonntag vorbereiten soll: "Wenn du merkst, du hältst die Geschwindigkeit, du hast keine Schmerzen unterwegs, es läuft wie geschmiert – das fühlt sich echt gut an." So wie in seinem Trainingsprogramm vorgesehen läuft er seit vier Monaten. Beinahe täglich.

Die Kinder treten gerade in die Fußstapfen des Vaters: Tochter Fiona, die erst vor einem Jahr zum ersten Mal mit dem Vater das Laufen ausprobiert hat, ist inzwischen regierende Landesmeisterin im 3000-Meter-Lauf für unter 18-Jährige. Auch ihr Bruder Sebastian zählt in seiner Klasse zu den besten 3000-Meter-Läufern Wiens. Beide starten für den Union Aktiv Brigittenau. Außerdem trainieren sie mit ihrem alten Herrn und mit den Three Giants für eine Königsdisziplin des Ausdauersports, den Triathlon.

Ein stolzer Vater offenbart jetzt sein zusätzliches Glück: "Mich freut, dass ich meine Kinder nicht zum Sport drängen musste und dass sie mittlerweile viel intensiver trainieren als ich."

Viele Gedanken gehen Norbert Aschenbrenner beim Laufen durch den Kopf. Gerne erinnert er sich, dass ihm unterwegs die Idee kam, bei einem privaten Konflikt den ersten Schritt in Richtung Versöhnung zu machen, um so die Risse in einer langjähriger Freundschaft zu kitten.

Six-Pack mit 50 plus

Sieben Jahre lang war der Hobbyathlet sportabstinent. Heute ist das für ihn unvorstellbar. Mittlerweile zum Leiter der Vienna International Centre Runners avanciert, beäugt er beim Duschen seine Bauchmuskeln, dann sagt er zufrieden: "So ein Six-Pack schaut nicht nur gut aus, er fühlt sich auch gut an."

Sein persönliches Ziel beim Wien-Marathon lautet 3 Stunden 29 Minuten. "Unter dreieinhalb Stunden, das wäre für mich fantastisch!" Ende September läuft der Wiener auch in Berlin. Dabei ist er sich bewusst, dass er bald seinen sportlichen Zenit erreichen wird: "Ich habe mich in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich gesteigert, irgendwann wird das nicht mehr möglich sein."

High-Life mit 70 plus

Für die lange Zielgerade des Lebens hat sich Norbert Aschenbrenner einiges, aber nichts Unmenschliches vorgenommen: "Weiterlaufen, vielleicht nicht mehr so viel und so schnell, ein bisserl Gymnastik und Yoga dazu, das sollte reichen, um die Lebensqualität im Alter weiterhin hoch zu halten."

Der Sportwissenschaftler und Sporthistoriker Rudolf Müllner erforscht nicht nur den Sport (Schwerpunkt historische Kulturforschung), er ist auch ein Praktiker seit jungen Jahren. Glücksmomente erfährt Müllner unter anderem beim Mountainbiken, Skitourengehen, Klettern, Laufen und beim Fußball.

KURIER: Was ist aktiv Sportbetreiben für Sie persönlich?
Rudolf Müllner: Sport ist für mich pure Freude, auch ein Luxus, den ich mir selbst viel zu selten gönne.

Laufsport: Dem Hochgefühl entgegenlaufen
Sportwissenschafter Rudolf Müllner
Was macht diesen Luxus aus?
Sport selbst ausüben bedeutet: Etwas für sich selbst machen, sich auspowern, sich entkopfen und in einem hohen Ausmaß autonom fühlen. Dabei kann man entweder mit sich alleine sein oder auch qualitativ wertvolle Zeit mit Freunden oder Gleichgesinnten verbringen.

Konnte sich die Menschheit diesen Luxus immer schon leisten?
Lange Zeit nur eine schmale Adelsschicht. Sport ist somit auch die Errungenschaft einer Gesellschaft, die sich demokratisiert hat. Parallel zu beobachten ist allerdings auch ein Modernisierungsprozess, der für viele Menschen zu einer Entkörperlichung geführt hat, und zu einem Anstieg von Zivilisationskrankheiten.

Was auch dazu geführt hat, dass zunehmend mehr Menschen eine Verpflichtung empfinden, etwas für den eigenen Körper zu tun.
Genau das ist die Kehrseite des gesellschaftlich weit verbreiteten Fitness- und Schönheitsimperativs. Und es ist schon bedenklich, dass viele Menschen heute diesem Imperativ nicht mehr entsprechen können. Viele sind inzwischen meilenweit entfernt von den Glitzer- und Hochglanzwelten, was zunehmend auch zu Frustration und Resignation führt.

Und wann steigen Sie das nächste Mal auf Ihr Mountainbike?
Ja, hoffentlich heute nach getaner Arbeit. Weshalb ich auch vorschlage, dass wir das Interview an dieser Stelle beenden und danach zur Praxis übergehen.

Egal, wie die persönlichen Marathonzeiten ausfallen – etwas hat jeder gewonnen, der vorher regelmäßig trainiert hat: Zahlreiche positive Gesundheitseffekte.

Herz

US-Kardiologen haben 45 Läufer (Alter 35 bis 65) untersucht: 18 Wochen lang nahmen sie an einem überwachten Marathontraining teil – mit einem Umfang von 20 (am Anfang) bis 60 Kilometer (am Schluss) die Woche. Die Werte des „schlechten“ LDL-Cholesterins sanken um fünf Prozent, Werte anderer Blutfette (Triglyzeride) um 15 Prozent. Die maximale Sauerstoffaufnahme – ein Indikator für die Herz- und Lungenfitness – stieg deutlich an. Die Extrembelastung eines Marathons an sich ist zwar nicht gesund, aber, so Sportmediziner Univ.-Prof. Paul Haber, MedUni Wien: „Ein gut trainierter Läufer hat während des Marathons wahrscheinlich ein geringeres Risiko einer Herzattacke als ein untrainierter Mensch an jedem Tag. Der Gesamtnutzen von Training und Marathon auf das Herz-Kreislauf-System ist also eindeutig positiv.“

Stoffwechsel

„Gesunde, aber untrainierte Menschen haben gegenüber ebenfalls gesunden, aber trainierten Menschen ein vier Mal so hohes Risiko, eine Erkrankung zu bekommen“, erläutert Haber. Viele Zivilisationskrankheiten werden durch Bewegung entweder verhindert oder zumindest günstig beeinflusst. „Regelmäßige Bewegung wie Laufen ist zum Beispiel die wichtigste Maßnahme um Altersdiabetes (Typ-2-Diabetes) vorzubeugen. Das ist eine Bewegungsmangelkrankheit.“

Psyche

Aber auch die Effekte auf die Psyche sind beachtlich: „Menschen, die mit dem Laufen beginnen, leiden seltener an Depressionen.“ Bereits ab einer Trainingsdauer von zehn Wochen habe Laufen derartige „antidepressive Effekte“, berichtete der deutsche Psychiater Andreas Ströhle von der Berliner Charité im Magazin Focus über die Auswertung neuer Studiendaten.
Das „Runner’s High“ („Läuferhoch“) sei aber eher selten, sagt Haber: „Mit Glücksgefühlen während des Laufens kann man nicht unbedingt rechnen. Es ist dann eher die Zeit danach, in der sich viele entspannt, wohl und ausgeglichener fühlen.“

Demenz

Regelmäßige Bewegung hat aber auch eine Langzeitwirkung auf das Gehirn: „Die dadurch verstärkte Durchblutung regt die Neubildung von Nervenzellen speziell in jener Region an, die für das Gedächtnis zuständig ist.“ Körperlich aktive Menschen haben ein bis zu 50 Prozent niedrigeres Risiko für Demenz als inaktive.

Gelenke

Bewegung ist die Voraussetzung, dass der Gelenkknorpel (überzieht die Gelenkfläche und verbindet zwei Knochenstücke) ausreichend mit nährstoffreicher Gelenkflüssigkeit versorgt werden kann. „Ohne Bewegung wird der Knorpel schlecht ernährt und immer dünner – das ist die Ursache von vielen Arthrosen.“ Und durch eine gestärkte Muskulatur werden die Gelenke auch besser stabilisiert.

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