USA

Route 66: Warum die Legende nie stirbt

Eine Zutat zum Mythos ist die Vielfalt der Route 66: Von urbanen Gassen bis Wüsten
Die vielleicht berühmteste Straße der Welt feiert 90. Geburtstag. Obwohl sie vor 30 Jahren zugesperrt wurde. Aber Träume sterben nie.

Jeder Mythos besteht aus mehreren Zutaten, eine davon ist der blanke Dreck. "Ich wachte eines Morgens im Motel von Flagstaff auf, nackt auf einem Bett ohne Laken, meine Kleidung im Zimmer verstreut und eine Flasche Old Grandad Whiskey neben mir", erzählt Edward Keating vom New York Times Magazine über seinen ersten Trip auf der Route 66. Das war 1977, aber Menschen bereisen die "Mother of Roads" noch heute wegen solcher Geschichten. Denn neben den roten Felsformationen Arizonas und texanischen Wüsten, neben Motel-Chic und Cowboy-Charme, neben unfassbaren Geraden durch die Wüste und den Windungen durch Taleinschnitte, neben all dem wird der Mythos Route Sixtysix vor allem vom Dreck zusammengehalten.

Bobby Troup betitelte schon 1946 seine Hommage auf die Sixtysix "Get Your Kicks On Route 66". Nat King Cole sang die Nummer ein, seitdem wurde sie Hunderte Male gecovert, von den Stones bis Depeche Mode: Hol dir die Kicks auf der 66er!

Freiheit des tiefen Falls

Touristen besuchen die Sixtysix heute nur in zweiter Linie, um typisch Amerikanisches zu finden, was man halt aus Filmen kennt, Kaffee aus Kannen, Essen aus Karton, alte Chevis, Unterkünfte mit Neonschild. Tatsächlich soll an der Sixtysix das erste Motel eröffnet haben, der erste McDonald’s-Laden und die erste Tankstelle. In erster Linie suchen Sixtysix-Besucher aber die legendäre Freiheit, die der Amerikaner im Mittel- und Südwesten in seine Gene gebrannt haben soll wie ein Steak das Muster des Barbecue-Rosts. Die Freiheit und jene philosophische Countrysong-Weisheit, die daraus angeblich entsteht.

Aber die Motels an der Sixtysix wurden ranzig, der Kaffee ist verdunstet. Denn Freiheit erkennt man vor allem, wenn beim Fallen das Netz fehlt.

Route 66: Warum die Legende nie stirbt
Chicago, USA - March 21, 2015: Historic Route 66 Begin sign, West Adams Street in The Loop, downtown Chicago. No people. Bildnummer: 61282884 Illinois, Chicago - Illinois, Route 66, Chicago Loop, Schild, Stadt, Vertikal, Verkehrsschild, Im Freien, Aufnahme von unten, USA, Sehenswürdigkeit, Tag, Mittlerer Westen, Farbbild, Stadtzentrum, Niemand, Fotografie, Editorial, Verwaltungsbezirk Cook County, 2015
Die Sixtysix umgab seit Anbeginn auch die Aura des Traurigen, bei ihrer Eröffnung vor 90 Jahren als aufstrebende Verbindung von Ost und West, und als sie wegen der Interstate-Schnellstraßen offiziell geschlossen wurde. Präsident Dwight D. Eisenhower ließ ab 1955 ein Straßenkonzept nach dem Vorbild deutscher Autobahnen umsetzen, 1984 wurde das letzte offizielle "Route 66"-Schild abmontiert. Weite Strecken der Sixtysix verfielen, viele Durchzugsorte verwaisten. Heute sind zwar noch 85 Prozent der 2450 Miles (fast 4000 km) befahrbar. Aber die Route ist erstens oft brüchig und zweitens schwer zu finden, teils führt sie durch Wohngegenden und verlassene Landstraßen. Die Patina der Strecke spiegelt sich auf der ältesten Website zum Thema wider, die aber den besten Routenplan enthält: www.historic66.com. Sie belegt, dass der Traum bis heute hält – als Heimat für Suchende.

Retter der Legende

Und für jene, die dem Niedergang trotzten und noch immer an der Sixtysix leben. Mit ihr leben. Und für sie. Sie wirken so verrückt wie die Idee, eine heruntergekommene Straße zu besuchen, sie sammeln alte Schilder und betreiben Souvenirshops. Ihr ungewählter Häuptling ist Friseur Angel Delgadillo aus dem Nest Seligman in Arizona. "Sogar die Greyhound-Busse verließen uns, als die Interstate 40 eröffnet hatte." Damals zogen fast alle aus der Gegend, in Seligman blieben 500 Einwohner. Die betreiben heute aber 13 Souvenirshops. "Wir brachten das Leben zurück zur Sixtysix", erklärt der 89-jährige Delgadillo stolz. Er begrüßt Touristen konsequent mit "Hello. Welcome Home!" Denn die Route sei ein Zuhause für die Fahrenden. Der Friseur kämpfte seit der Schließung für den Erhalt der Legende und erwirkte einen Denkmalschutz unter dem Namen "Historic Route 66" – zumindest für Teilstücke. So blieb der Charme der Sixtysix vor allem in New Mexiko und Arizona erhalten, zwischen Seligman und der Grenze zu Kalifornien liegt das mit 160 Miles längste erhaltene Originalstück. Es führt durch Wüsten-Hochebenen voll Wacholder und das "Hualapai Indian Reservation". Dieses Gesicht der USA fasziniert.

Der Ursprung dieser Faszination liegt in ein paar Planwagen, die Siedler Ende des 19. Jahrhunderts von Ost nach West lenkten. Sie folgten der abenteuerlichen Route eines draufgängerischen Militäroffiziers, der seine Truppe nach Kalifornien geführt hatte. Den Siedlern folgten Telegrafen und nach dem Ersten Weltkrieg die aufkommenden Automobile. 1926 überzeugte dann Cyrus Avery, ein Geschäftsmann aus Tulsa, die Regierenden vom Highway 66 südlich der Rocky Mountains. Zwar gab es mit dem Lincoln Highway weiter nördlich schon eine Verbindung von New York und San Francisco, aber Avery wollte seine Heimatstadt angebunden haben. Sein Argument: Die neue Sixtysix wäre für "jedes Wetter". Der Lincoln Highway versank oft im Schnee. Die Sixtysix wurde gut angenommen, von Glückssuchern ebenso wie für Militärtransporte.

Hoffnungsroute

Aber bald kippte das Image der Straße endgültig. Zur Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gesellte sich eine Dürreperiode im Mittelwesten. Aus Farmern wurden Flüchtlinge, ihre Hoffnung lag auf der Straße. Der spätere Literatur-Nobelpreisträger John Steinbeck verarbeitet die Geschichte im Roman "Früchte des Zorns", von ihm stammt auch der Sixtysix-Beiname "Mother of Roads". Im Interview sagte er: "Die Straße wurde die Heimat der Farmer, Bewegung ihr Ausdrucksmittel. Der Mann, der früher in Äckern gedacht hatte, dachte jetzt in Straßenmeilen."Das Image der Straße für verzweifelte Nomaden war für immer einzementiert.

Route 66: Warum die Legende nie stirbt
Bildnummer: 55233927 Datum: 26.06.1969 Copyright: imago/EntertainmentPictures 1969 - Easy Rider - Movie Set PICTURED: PETER FONDA as Wyatt and DENNIS HOPPER as Billy. RELEASE DATE: June 26, 1969. MOVIE TITLE: Easy Rider. STUDIO: Columbia Pictures. PLOT: Two counterculture bikers travel from Los Angeles to New Orleans in search of America. !ACHTUNG NUTZUNG NUR BEI FILMTITEL-NENNUNG! PUBLICATIONxINxGERxONLY People Entertainment Film kbdig 1969 quer Bildnummer 55233927 Date 26 06 1969 Copyright Imago EntertainmentPictures 1969 Easy Rider Movie Set Pictured Peter Fonda As Wyatt and Dennis Hopper As Billy Release Date June 26 1969 Movie Title Easy Rider Studio Columbia Pictures Plot Two counterculture Bikers Travel from Los Angeles to New Orleans in Search of America Regard Use only at FILMTITEL ANSWER PUBLICATIONxINxGERxONLY Celebrities Entertainment Film Kbdig 1969 horizontal
Als 1969 Dennis Hopper und Peter Fonda als "Easy Rider" über Sixtysix und Leinwand rauschten und der ganzen Welt ein Gefühl vermittelten, war die Route zwar schon am Zusperren, aber alles für die Zeit danach bereitet. Die TV-Serie "Route 66", in der zwei junge Corvette-Fahrer vier Jahre lang die Straße bereisten, tat das Übrige.

Zeichentrick-Charme

Den letzten großen Boost erlebte die Sixtysix vor zehn Jahren. Der Animationsfilm "Cars " erzählte die traurige Geschichte der Mother of Roads anhand des fiktiven Ortes Radiator Springs – ungefähr dort, wo das reale Seligman liegt. Mit großen Scheinwerferaugen sagt Zeichentrickauto Sally Carrera darin: "Vor 40 Jahren war alles anders. Die Strecke schnitt nicht so durch das Land wie die Intertstate. Sie wand sich mit dem Land. Autos bewegten sich nicht auf der Route, um Zeit gutzumachen. Sondern um eine großartige Zeit zu haben."

Da hatte es dann wirklich jeder verstanden.

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