Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe

Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe
Weit, weit weg liegt es, das Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe. Grün, friedlich und atemberaubend schön. Mit Straßen, die einem oft ganz alleine gehören. Wie gut, dass es Neuseeland gibt. VON KARL RIFFERT
Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe
KARL RIFFERT - NEUSEELAND REISE

Hochspannung am Flughafen Auckland. Lange Menschenschlangen, sorgfältige Kontrollen. Also genau das, was man sich nach 33 Stunden Flug von Wien nach Kiwi-Land wünscht. Die behördliche Strenge gilt nicht Drogen, Waffen oder islamistischen Attentätern mit Sprengstoffgürteln, sondern Leuten wie mir mit leichten Speckgürteln. Ich habe nämlich eine ungarische Salami dabei, für lange Autofahrten. Auch meine Schuhe habe ich mir vor dem Wegfliegen nicht geputzt. Wer jedoch Nahrungsmittel, insbesondere Obst und Pflanzen, zum Beispiel eine gefährliche Banane oder einen heimtückischen Blumenstrauß dabei hat, ist verloren und zahlt im besten Fall an Ort und Stelle 400 Dollar. Schweren Herzens trenne ich mich also von meinem kulinarischen Survival-Kit. Neuseeland schuldet mir jetzt eine Salami. Dafür ernte ich bei der Schuhkontrolle ein Lächeln, das ich als Lob interpretiere. Man muss das verstehen: Die Kiwis, wie sich die Neuseeländer selbst nennen, sind nun mal allergisch gegen ausländische Keime. Und das hat einen guten Grund.

Achtzig Millionen Jahre lang war Neuseeland, also die Nord- und Südinsel und noch 700 kleine Inselchen drumherum, ganz allein auf weiter Flur. Erst vor 1.300 Jahren kamen die ersten Polynesier in ihren Piroggen angeschwommen und viel später die ersten Weißen, vor allem Wal- und Robbenjäger. Die Europäer waren übrigens anfangs eine echte Plage. Geschätzte zwei Millionen Seebären wurden zum Beispiel innerhalb weniger Jahre ausgerottet. Heute gibt es in Neuseeland noch rund 60.000 davon. Weil das Inselreich so weit weg von allem war, entwickelte sich eine außergewöhnliche Fauna. Es gab kein Säugetier, keine Schlange, nur eine einzige giftige Spinnenart. Dafür diesen seltsamen Kiwi – heute der Nationalvogel – der nur in der Nacht munter wird, nicht fliegt und wenn es ihm gut geht, schnurrt wie eine Katze. Und weil diese ungewöhnliche Fauna und Flora erhalten bleiben soll, legt man hier so viel Wert auf "Biodiversity-Security".

Früher hat man das nicht so ernst genommen. Im 19. Jahrhundert etwa brachten britische Siedler Rothirsche mit, um Jagden veranstalten zu können. Die Rothirsche fühlten sich sauwohl, denn sie hatten keine natürlichen Feinde und sie vermehrten sich so explosionsartig wie australische Importhasen. In den 1970er-Jahren machte man dann von Hubschraubern aus Jagd auf die Hirsche. Heute werden sie wieder in Farmen gezüchtet und ihr Fleisch wird weltweit exportiert, während die Geweihe nach China gehen, wo man sie zu Medizin zerbröselt. Hirschgeweih soll gut fürs Herz sein und für diese andere Sache, die Mann auch mit Viagra beflügelt.

Noch wohler als die Hirsche fühlten sich die Schafe. In Neuseeland leben derzeit 4,5 Millionen Menschen, aber 32 Millionen Schafe. Der erste Frachter mit gefrorenem Fleisch aus Neuseeland fuhr schon 1882 von Auckland nach Liverpool. Das Geschäft boomt: 2015 verkaufte der Inselstaat Lamm- und Rindfleisch für 5,3 Milliarden Dollar.

Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe
KARL RIFFERT - NEUSEELAND REISE


Wir fliegen von Auckland schnurstracks in den Süden, nach Queenstown, wo das fast menschenleere Fjordland beginnt. Neuseeland zieht sich übrigens wie ein Strudelteig. Von der nördlichsten Spitze bis zum südlichsten Inselchen ist es ungefähr soweit wie von Venedig bis Oslo, wobei es im Süden schon mal winterliche Temperaturen von minus zehn Grad haben kann, während es im gemäßigten Klima des Nordens nie richtig kalt wird. Der Anflug auf Queenstown ist einer der spektakulärsten weltweit. Die Maschine zieht durch ein schmales Tal hinunter und man hat das Gefühl, die Flugzeugflügel würden die Berge gleich streifen.

In Queenstown ist August, also Winter, und die Stadt ist voll mit Snowboardern und Skifans. Eine Million Touristen besuchen die Stadt am Lake Wakatipu, etwa zum Paragleiten oder Jetboot-Fahren. Hier wurde auch das kommerzielle Bungee-Jumpen erfunden. Die Idee dafür hatte ein Queenstowner namens A. J. Hackett, der sie 1987 verbotenerweise, aber publikumswirksam populär machte, indem er von der zweiten Plattform des Eiffelturms sprang. Heute liegt unweit von Queenstown, auf der Kawarau-Brücke, Neuseelands Bungee-Jumping-Mekka.

Viele Besucher von Queenstown haben aber durchaus anderes im Sinn: Fünf Autostunden entfernt liegt Neuseelands berühmteste Touristen-Attraktion, der Milford Sound. Ein walisischer Robbenjäger hat den spektakulären Fjord, der sich von der Tasmansee 15 Kilometer ins Land zieht und von bis zu 1.200 Meter hohen Bergen gesäumt wird, nach einem Dorf in seiner Heimat benannt. Milford Haven in Wales war im 18. Jahrhundert ein beliebter Heimathafen für Walfänger.


Blauen Himmel wie auf den Tourismusprospekten gibt es im Milford Sound, den der Dschungelbuch-Autor Rudyard Kipling als achtes Weltwunder bejubelt hat, freilich selten. Hier ist das nasseste Gebiet Neuseelands und nach jedem Wolkenbruch donnern Wasserfälle die Felswände hinunter. Wir aber machen uns auf zu einer weiten Autoreise von Neuseelands Süden bis ganz in den Norden. Und bald nach Queenstown verliert sich der Trubel und erschließt sich das, was insbesondere die Südinsel Neuseelands so großartig macht: unberührte, unzersiedelte, fast menschenleere Traumlandschaften entlang der neuseeländischen Alpen und unglaublich wenig Verkehr. Praktisch alle Brücken auf der Südinsel sind "One Lane Bridges", also einspurig, und man freut sich, wenn man einmal ein anderes Fahrzeug sieht. Tankstellen sind rar und ein Pflichtbesuch, wenn man nicht wegen Spritmangel irgendwo in der Wildnis pausieren möchte. Oft hat man, ganz King of the Road, die Straße bis zum Horizont für sich – eine fantastische Zeitreise in die Ära vor der Massenmotorisierung.

Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe
KARL RIFFERT - NEUSEELAND REISE

In Europa wird ja häufig befürchtet, die Bevölkerung könne schrumpfen und dann würde alles ganz schlecht. Ich habe das nie verstanden. Neuseeland ist in etwa so groß wie Großbritannien (ein bisserl weitläufiger sogar), hat aber nur ein Vierzehntel seiner Einwohner. Für die Kiwis ist das kein Unglück: Sie genießen einen der höchsten Lebensstandards der Welt und eine vergleichsweise wenig verbaute Landschaft. Dies gilt insbesondere für die Südinsel, denn zwei Drittel der Neuseeländer wohnen auf der Nordinsel und dort vor allem im Großraum Auckland.

Die erste Etappe unserer großen Kiwi-Tour führt von Queenstown aus zu einem seltsamen Stück Österreich am anderen Ende der Welt, einer Ortschaft, die nach Kaiser Franz Josef benannt ist. Bis dahin sind es rund 380 Kilometer vorbei an unglaublichen Landschaften wie dem Lake Hawea und dem Haast-Pass, einem von drei Übergängen über die südlichen Alpen, der auch von den Maoris genutzt wurde.

Dem kleinen Dörfchen mit dem schönen österreichischen Namen Franz Josef am State Highway 6 fehlt allerdings sowohl architektonisch wie auch kulinarisch jeder Österreich-Bezug. Kein Apfelstrudel weit und breit, nur Burger und Brownies. Die Einheimischen nennen das 350-Seelen-Dorf an der Westseite der neuseeländischen Alpen "Fränz Djosif". Seinen Namen verdankt es einem deutschen Abenteurer namens Julius von Haast.
Bei einem „Latte“ in Franz Josef in einem Coffee-Shop namens „Full of Beans“ mit Blick auf die schneebedeckten Berge der Fritz Range vertiefen wir uns ein wenig in die Geschichte Neuseelands und seiner Erforschung. Für die europäischen Eroberer war das abgelegene Inselreich ein gefährliches Terrain voller kriegerischer Maori-Stämme. Schon der erste Besucher, der holländische Seefahrer Abel Janszoon Tasman, nach dem heute Tasmanien benannt ist, konnte wegen der aggressiven Einheimischen kein einziges Mal an Land gehen. Später gelang es Wal- und Robbenfängern mit einzelnen Stämmen Deals auszuhandeln: Musketen gegen Proviant und Hafenrechte. Die Folge waren Kriege unter den Maoris – nun mit europäischer Bewaffnung. 1840 annektierten die Briten ganz Neuseeland und machten es zur Kolonie. Doch als sich immer mehr europäische Siedler im Maori-Land niederließen, kam es – wie im amerikaniuschen Wilden Westen – bald zu einem jahrzehntelangen Guerilla-Krieg.

In diesen Wilden Westen am anderen Ende der Welt kam 1858 ein deutscher Abenteurer namens Julius Haast, der sich schon als Schüler für Geologie interessiert und als Student einige Semester in diesem Fach belegt haben soll. Wegen fehlender finanzieller Mittel musste sich Haast in Frankfurt als Blumenverkäufer, Buchhändler und Hausierer durchschlagen und wanderte schließlich nach England aus, wo er ein Buch ins Deutsche übersetzte: „New Zealand – The Britain of the South“. Es muss Haast sehr fasziniert haben, denn er ließ bald darauf Frau und Kind zurück und schiffte sich nach Neuseeland ein. Dort befreundete er sich mit dem österreichischen Geologen Ferdinand von Hochstetter, dem späteren Leiter des Naturhistorischen Hofmuseums in Wien. Bei Hochstetter lernte Haast viel geologisches Know-how und avancierte zu einem geachteten Forscher, der später sogar von der britischen Königin zum Knight Commander geadelt wurde.

1865 kam Haast wohl da vorbei, wo wir gerade den Milchschaum aus dem Caffè latte löffeln, um ein Naturwunder zu erforschen: einen phantastischen zehn Kilometer langen Gletscher, den die Maoris "Kā Roimata o Hine Hukatere" nannten, und der sich jeden Tag etwa einen halben Meter bewegt. Haast benannte ihn, wohl wegen seines österreichischen Freundes Hochstetter, nach dem österreichischen Kaiser "Franz-Josef-Gletscher". Wir machen uns am nächsten Morgen auf, um zunächst zum Fuß des Eisriesen zu gelangen. Man wandert durch einen Zauberwald mit vielen – für Europäer besonders beeindruckenden – Baumfarnen. Farne, bei uns ein "Graserl" in Bodennähe, wachsen hier bis zu zehn Meter in den Himmel. Am Ende des Waldes gelangt man zu einer urtümlichen Geröll-Flußlandschaft mit pittoresken Wasserfällen und schließlich zum Gletscher selbst. Noch besser erlebt man diese spektakuläre Gletscherwelt mit einem Helikopter, der auf dem Eis landet. Mit einem einheimischen Guide und nach dem Anziehen von Steigeisen durchwandert man eine magische Welt, die oft bläulich schimmert. Die neuseeländischen Führer tragen dabei prinzipiell kurze Hosen.

Neuseeland: Im Reich der Kiwis, Hobbits und Schafe
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Wir springen jetzt ein wenig in unserer Geschichte, lassen die Südinsel nach einer etwa dreistündigen Fahrt durch die Cook-Straße mit der "Interislander"-Ferry hinter uns, passieren Neuseelands Hauptstadt Wellington, die übrigens viel schöner ist als Auckland, und fahren nordwärts zu einem Ort, wo buchstäblich Welten aufeinanderprallen, ins Herz der Maori-Kultur: nach Rotorua.

"Insel des Rauchs" nennen die Maoris die Nordinsel und das hat seinen Grund: Neuseeland liegt an der Bruchstelle zwischen der australischen und der pazifischen Erdplatte. Die Neuseeländer nennen diese Reibezone "Ring of Fire" und sie wissen auch, dass ihre Inseln stark erdbebengefährdet sind. Kaum irgendwo auf dem Planeten ist die Erdkruste so dünn wie in Kiwi-Land. Hier findet man einige der aktivsten Vulkane der Welt und viele dampfende Geysire. Dies gilt vor allem für die Gegend um Rotorua und den Lake Taupo, der für seine Forellen berühmt ist, wenngleich man sehr schwer Forellenrestaurants findet. Maoris kochen zuweilen auch in den 80 Grad heißen Geysiren, die Frauen trinken das trübe Wasser, um ihre Fruchtbarkeit zu erhöhen.

Auf den ersten Blick ist Rotorua freilich enttäuschend. Ein überlaufener Touristenort mit Maori-Villages, also Tiroler Schuhplattler-Abende auf neuseeländisch, übler Schwefelgeruch in der Luft und das Kulinarische besteht in erster Linie aus Fast-Food-Restaurants. Neuseeland ist für Gourmets eine einzige Leidenszone, ein esstechnisch total amerikanisiertes Land mit der größten Ballung von Fast-Food-Ketten, die ich kenne. Und es gibt trotz Millionen Rindviechern auf den Weiden keine Käsekultur. So fällt es – Auckland und Wellington ausgenommen – auch schwer, in einem Land mit 34 Millionen Schafen in einem Restaurant ein gutes Stück Lamm zu bestellen. Da tut Zauber not, und den finden wir im Waimangu Volcanic Valley, einem magischen Farnwald mit dampfenden Seen und seltsamen Naturphänomenen. Man wandert zu Fuß vorbei am Bratpfannensee, der größten Heißwasserquelle der Welt, bis zum wundersamen Inferno Krater, dessen Wasser alle paar Tage kommt und geht.

Aber man findet in Neuseeland nicht nur Naturwunder, sondern auch Elfen, Zauberer und Hobbits. Der magische Ort liegt rund 160 Kilometer von Auckland entfernt nahe Matamata. Dort liegt die weitläufige Farm der Familie Alexander, heute eine Pilgerstätte für Filmfreunde aus aller Welt. Die Alexander-Geschichte klingt selbst wie ein Märchen.

An einem Sommertag im Jahr 1999 klopfte es bei den Alexanders an der Tür: es war ein Film-Location-Sucher. Von da an änderte sich alles. Filmarchitekten bauten Erdhäuser mit runden Eingangstüren und 400-köpfige Filmcrews tummelten sich auf den Wiesen. Als sie weg waren, ging es richtig los. Rund 800.000 Besucher waren bisher auf dem Grundstück der Familie, um das Filmdorf „Hobbiton“ bzw. Hobbingen zu besuchen, und dies bei happigen Eintrittspreisen (derzeit 50 Euro für Erwachsene). Sie haben die Familie Alexander steinreich gemacht und ihr Land weltberühmt. Der Grund des Andrangs sind die Fantasy-Bücher eines Professors aus Cambridge, genau genommen aber auch der Blick eines 18-Jährigen durch ein Fenster im Jahr 1969.

Der junge Peter Jackson, der Filmregisseur werden wollte, fuhr damals mit dem Zug durch Neuseelands Nordinsel und las J. R. R. Tolkien. "Plötzlich sah ich durchs Fenster Mittelerde", erzählte Jackson später. "Der Herr der Ringe" und "Der Hobbit" haben Neuseeland als Filmkulisse bekannt gemacht und hier in Hobbiton kann man leibhaftig vor dem Haus des Hobbits stehen und im Filmgasthaus "The Green Dragon" nach magischen Erscheinungen suchen. Ein zauberhaftes Stück Erde, ein Mekka für die Fans der Tolkien-Filme. Bloß ins Restaurant von Hobbiton sollte man nicht gehen. Obwohl die Familie Alexander 13.500 Schafe auf ihrer Farm hat, ist das einzige Stück Lamm auf der Karte ein Lammburger. Und dagegen hilft auch kein Hobbit. Wir sind in Neuseeland.

Mit dem Auto
von Christchurch nach Auckland 24 Tage Mietwagen, vorreservierte Hotels, Flug ab/bis Wien mit Emirates, Gesamtreisedauer 27 Tage, tägliche Abreise möglich. Preis: ab 3.349 Euro (Mittelklassehotels) oder ab 4.417 Euro (Superior-Hotels).

Spektakuläres Neuseeland
23-tägige geführte deutschsprachige Rundreise inkl. Flügen mit Singapore Airlines (ab/bis Wien, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck München). Mehrere Abreisetermine. Preis: ab 6.257 Euro).

Info: COCO Weltweit Reisen by Jedek Reisen,  0512/365791-0, coco@coco-tours.at, www.best4travel.at

Die beste Zeit für Neusee- land ist September bis Ende November, dann wieder März bis April. Neuseelands Winter sind von Mai bis August, das ist aber kein Grund Kiwi-Land zu meiden. Zwar wird es auf der Südinsel sehr kalt, aber außer Wintersportlern gibt es dann wunderbar wenig Touristen. Dezember bis Februar ist Neuseelands Sommer-Hoch- saison: heiß, teuer, überlaufen.

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