Vatikan-Affäre: Verschwörung fürs Konklave

Vatikan-Affäre: Verschwörung fürs Konklave
Zielscheibe der Machtkämpfe sind die engsten Papst-Vertrauten. Ihren Gegnern geht es aber nicht um Benedikt XVI., sondern bereits um die nächste Papst-Wahl.

Der Papst muss einsam sein in diesen Tagen. Im dritten Stock des Apostolischen Palastes mit Blick auf den Petersplatz, wo er seine Wohn- und Schlafgemächer hat, muss ihm irgendwann bei den vielen liturgischen Studien die Welt rundherum entglitten sein.

Begonnen hat alles zu Jahresbeginn, als der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem Buch "Sua Santità" (Seine Heiligkeit) Dutzende Geheimdokumente aus dem innersten Kreis des Vatikans publizierte – ein Dammbruch der Diskretion. Der Vatikan ist bekannt dafür, dass Konflikte im Dunkeln ausgetragen werden, dass er ein prächtiger Spielplatz für Intrigen, gar Erpressungen ist. Aber dass Dokumente direkt vom Schreibtisch des Papstes an die Öffentlichkeit gelangen, das hat es noch nie gegeben. Der brisante Inhalt der Dokumente, die seither am laufenden Band Zeitungen zugespielt werden, dreht sich um Macht, Geld und Korruptionsvorwürfe – und kennt nur ein Ziel: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, die rechte Hand des Papstes und mächtige Nummer zwei des Heiligen Stuhls, sozusagen den Regierungschef des Vatikans.

Verhaftung des Kammerdieners

Vatikan-Affäre: Verschwörung fürs Konklave

Kurz vor Pfingsten kam der nächste Schlag ins unmittelbare, private Umfeld des Papstes: einer seiner Kammerdiener, Paolo Gabriele, wurde verhaftet. "Paoletto", wie der 46-jährige Römer im Vatikan gerufen wird, war dem Papst beim Umkleiden behilflich, leistete ihm bei den Mahlzeiten Gesellschaft und begleitete ihn öffentlichkeitswirksam im Papamobil. Journalist Nuzzi hat in seinem Buch ein Dokument veröffentlicht, das angeblich nur Gabriele weitergegeben haben konnte. Kurz darauf wurden in der Wohnung in der Via di Porta Angelica im Vatikan, wo der Butler mit seiner Familie lebte, vier Kisten mit päpstlichen Privatdokumenten sichergestellt. In einer 16-Quadratmeter-Zelle im Vatikan sitzt er nun, darin ein Kruzifix, aber kein Fernseher. Am vergangenen Dienstag wurde er erstmals vernommen. Ihm drohen bis zu 30 Jahre Haft wegen schweren Diebstahls.

Für viele wurde der Italiener vorschnell als Sündenbock abgestempelt. Als Drahtzieher vermuten Vatikan-Insider eine Dissidenten-Gruppe von mindestens 20 Personen. "Das geheime Netzwerk besteht aus Laien und Klerikern, möglicherweise auch Kardinälen, die sehr politisch agieren und Bertone stürzen wollen", erklärt Vatikanexperte Marco Politi gegenüber dem KURIER. Die Tatsache, dass der Butler des Papstes verhaftet wurde, zeuge von einer großen Verwundbarkeit des Pontifex. "Es gab sicher auch früher Machtkämpfe", vermutet Politi, "aber nach außen hielt man dicht."

Zuletzt geriet mit Papst-Sekretär Georg Gänswein der wohl engste Papst-Vertraute in den Fokus der Verschwörer, als ein anonymes Erpresserschreiben der Tageszeitung La Repubblica zugespielt wurde. Sie behaupteten darin, Gänswein sei neben Bertone für die innerkirchlichen Turbulenzen verantwortlich – und sie signalisierten damit: "Wir wissen alles, wir haben alle Dokumente, wir haben euch in der Hand." Vatikan-Insider stellen den Wahrheitsgehalt dieser Attacke auf den engsten Papst-Vertrauten infrage: "Man will damit vor allem Chaos stiften."

Von "feindseligen Winden", dem das Schiff Petri ausgeliefert sei, sprach der Papst vor einer Woche euphemistisch. Dabei scheint es eher so, als säße das Oberhaupt von weltweit über einer Milliarde Katholiken im Auge eines Orkans, der für seinen innersten Machtzirkel – Privatsekretär Gänswein und Staatssekretär Bertone – unkontrollierbar geworden scheint.

Der zentrale Angriffspunkt in der Enthüllungs­affäre, Tarcisio Bertone, nahm nun erstmals Stellung – freilich wenig erhellend: "Das Traurigste ist die Verletzung der Privatsphäre des Heiligen Vaters und seiner engsten Mitarbeiter. Trotzdem sind dies keine Tage der Teilung sind, sondern der Einheit."

Machtkampf

Der Widerstand gegen Bertone innerhalb der Kurie war von 2006 an, als er vom Papst in das hohe Amt gehievt wurde, groß. Kritiker werfen ihm fehlendes diplomatisches Geschick und Machtbesessenheit vor. Er hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass sich die Machtverhältnisse im Kardinalskollegium zu Gunsten der italienischen Kardinäle verschieben, was gemeinhin als Vorbereitung auf die nächste Papstwahl interpretiert wird. Und er torpediert die – vom Papst ausdrücklich erwünschten – Schritte für mehr Transparenz in der Vatikanbank. Auch in Personalfragen geht er wenig zimperlich vor: Vor zwei Wochen musste Vatikanbank-Chef Ettore Gotti Tedeschi seinen Posten niederlegen, dabei sollte er das geheimnisumwobene Geldinstitut öffnen. Gestern erst wurde ein Dokument veröffentlicht, dass Tedeschi psychische Probleme unterstellt. Und im Herbst 2011 wurde Erzbischof Carlo Maria Viganò, ehemalige Nummer zwei in der Vatikan-Verwaltung, als Nuntius nach Washington strafversetzt. Viganò versuchte zuvor drastische Schritte gegen Korruption und Vetternwirtschaft durchzusetzen.

Für den österreichischen Vatikan-Kenner, Franz Xaver Brandmayr, ist das alles nur ein Vorspiel für das nächste Konklave, die nächste Papstwahl, bei der die Italiener endlich wieder den Stuhl Petri zurückerobern wollen.

Insider Brandmayr

Der Wiener Diözesanpriester Franz Xaver Brandmayr ist seit Jänner 2008 Rektor des "Collegio Teutonico di Santa Maria dell’ Anima", wo viele deutschsprachige Theologiestudenten ihre Heimat in Rom finden. Die Intrigen im Vatikan interpretiert der 56-Jährige als Konflikt zwischen Italienern und dem Rest, den Papst sieht er als gutmütigen Zuschauer. Im KURIER-Interview spricht er ...

... über den Hintergrund der Intrige "Die Italiener lieben Verschwörungstheorien. Darum wird hier aus einem kleinen Spielchen gleich die große Theorie gemacht. Hier bringen sich bereits Leute in Stellung für die nächste Papstwahl, auch wenn das noch gut zehn Jahre dauern kann, bis es so weit ist."

... über die Drahtzieher "Es gibt auch im Vatikan Heilige, den braven Durchschnitt und einige, die halt höchst unanständig sind. Das sind Leute mit dubiosen Interessen, die sich wichtig machen, die ihre Position in der Kurie suchen. Wenn einer hier die Fäden zieht, dann werden sie ihm sicher nicht draufkommen."

... über den Kampf der Kardinäle "Das Ganze hat schon satirische Züge: Die Italiener hatten nie eine Freude daran, dass wieder kein Italiener Papst geworden ist. Wenn ich ihnen scherzhaft sage, dass es 100 Jahre keinen italienischen Papst geben wird, werden sie ganz narrisch."

... über den Papst als Politiker "Als er angetreten ist, wurde eine große Kurien­reform erwartet. Die hat sich der Heilige Vater aber nicht zum obersten Ziel gesetzt. Er will nicht die großen Entscheidungen treffen, sondern er bemüht sich, alle Lager zusammenzuführen."

... über das Krisenmanagement des Papstes "Auch wenn es um den Papst herum nur so wuselt, wo man sich denkt, da müsste man reinhauen, tritt er weiter mit seiner großen Menschenfreundlichkeit auf. Es trifft ihn schon, aber er ist unendlich gütig. Das fasziniert mich."

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