Toulouse: Killer trickste Behörden aus

Toulouse: Killer trickste Behörden aus
Mohammed Merah wurde im November zu seinen Afghanistan-Reisen befragt – und zeigte dabei Urlaubsfotos.

Der Sicherheitsexperte Francois Heisbourg gilt üblicherweise nicht als Kritiker des Kurses von Präsident Sarkozy. Trotzdem war er einer der Ersten, der nach dem Terror von Toulouse von einem Behörden-Versagen sprach: " Mohammed Merah hatte das typische Profil eines Dschihadisten, der nach Afghanistan gereist war. Von denen gibt es nur ein paar Dutzend in Frankreich und noch weniger im Raum Toulouse. Der Inlandsgeheimdienst hatte ihn im November befragt. Wieso wurde er nicht überwacht?"

 

Naive Staatspolizei

Die Antwort der Behörden wirkt lächerlich. Merah war ein erstes Mal 2010 nach Afghanistan gereist und hatte "nicht die üblichen Untergrundnetze" benützt, so ein Geheimdienstoffizier in der Libération. Merah war von der afghanischen Armee aufgegriffen und der US-Armee übergeben worden, die ihn nach Frankreich expedierte. "Auch die Amis hatten ihm nichts Konkretes vorzuwerfen", rechtfertigte sich der Offizier. Allerdings setzten die USA Merah auf ihre Einreise-Verbotsliste. Die Franzosen wollten ihn im Oktober 2011 befragen. Seine Mutter sagte, er sei gerade in Pakistan. Merah meldete sich von dort telefonisch bei den Behörden.

Im November wieder in der Heimat, rief er von sich aus bei der Staatspolizei an: "Das haben wir ihm hoch angerechnet." Er war an Hepatitis erkrankt. Kaum genesen, begab er sich auf das Amt, wo er von seinem "Urlaub" in Pakistan schwärmte und Schnappschüsse vorlegte. "Er hat auf uns einen guten Eindruck gemacht. Sonst sind die Vorgeladenen feindlicher. Er trug auch keinen Bart."

 

 

Kritik

Dabei lagen Aussagen von Nachbarn vor, wonach er sich in der Sozialsiedlung, in der er aufgewachsen war, als "Mudschaheddin" (zum Martyrium bereiter Kämpfer) bezeichnete und muslimischen Frauen, darunter seiner Mutter, "westlichen Lebensstil" vorgeworfen hatte. Eine muslimische Nachbarin hatte auch Anzeige erstattet, weil er sie als "Ungläubige" beschimpft und mit dem Tod bedroht habe. Laut anderen Zeugen zeigte Merah "Kindern Videos mit Kriegsszenen und Enthauptungen". Schließlich war da noch der ältere Bruder Abdelkader, der 2007 in den Bergen bei Toulouse für einen Dschihad-Einsatz im Irak trainierte. Der Bruder, in dessen Wagen Sprengstoff gefunden wurde, ist in Haft und gilt als wichtigster Informant.

Wieso, fragen Kritiker, wurde nicht spätestens nach dem zweiten Anschlag (Merah erschoss im Abstand von vier Tagen drei Militärs), nach ihm gefahndet, wo doch sein Name oben auf der winzigen Liste potenzieller örtlicher Dschihadisten stand?

Der Gründer der Antiterror-Einheit GIGN, Christian Prouteau, prangerte auch den letzten, letalen Polizeieinsatz an: "Man hätte ihn mit Tränengas vollpumpen müssen. Stattdessen wurde dieser Irre mit Granaten in seinem psychologischen Kriegszustand bestärkt." Der Chef des Sturm-Kommandos sagte: Man habe den Attentäter mit Tränengas überwältigen wollen, doch der habe sofort geschossen.

Wahlkampf - Sarkozys legistische Ablenkungsmanöver

Verspielt Nicolas Sarkozy das Ansehen, das er durch seine souveräne Haltung während der Terror-Tage von Toulouse gewonnen hat? Jedenfalls verfiel der Staatschef jetzt wieder in eine seiner Schwächen: Die Ankündigung immer neuer Gesetze anlässlich erschütternder Bluttaten. Während in der Praxis weder Polizei noch Justiz die Mittel haben, um die vorhandenen, ausreichenden Gesetze anzuwenden.

So will er den Besuch von Websites, die Terror, Hass und Gewalt predigen, ahnden. Aber wie unbedachte Benützer, Neugierige oder Wissenschaftler von Anhängern unterscheiden? Anti-Terrorspezialisten meinen, die Behörden sollten sich auf die Schließung solcher Sites und die Ortung von verdächtigem Web-Verkehr konzentrieren, was im Fall Toulouse nicht rechtzeitig geschehen ist. Auch seine Ankündigung, Reisende in Terror-Lager zu bestrafen, ist – falls nachweisbar – bereits durch die weitreichende Definition des Verdachts auf ein Terror-Projekt gesetzlich abgedeckt.

Die Fragen um die Pannen der Behörden werden von Sarkozys Umkreis als
„Attacken auf Frankreich“, die von den Sozialisten ausgingen, abgetan. Dabei hält sich der SP-Kandidat und Umfrage-Favorit Francois Hollande, eher bedeckt. Dafür betont Hollande, er werde für eine „Erhöhung der Sicherheit“ durch die Schaffung jener 12.000 Posten bei der Polizei sorgen, die Sarkozy abgebaut hat.

Die schallendste Ohrfeige für Sarkozy kam von der Kandidatin der Grünen, Eva Joly: Die Richterin fragte sich, ob der Geheimdienst die Terrorgefahr vernachlässigt habe, weil er durch das Abhören von Journalisten überlastet sei – eine Anspielung auf einen Schnüffelangriff auf die Zeitung Le Monde, die eine Affäre um Sarkozy-Getreue enthüllt hatte.

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