Seitensprünge: Offene Beziehung als Paartherapie

Reanimation der Lust: Laut Mister Anderson sind drei Viertel der Männer untreu – eine ewige Suche.
Ewige Treue – Mission impossible? Der Autor Eric Anderson empfiehlt als Alternative „schlampige Verhältnisse“.

Männer müssen fremdgehen – selbst wenn sie ihre Partnerin lieben.“ Das ist die provokante Aussage des Soziologen Eric Anderson von der Winchester University in England. Sein Buch „The Monogamy Gap: Men, Love and the Reality of Cheating“ (Die Monogamie-Kluft: Männer, Liebe und die Realität des Fremdgehens) sorgt nicht nur im angloamerikanischen Raum für Diskussionen. Im KURIER-Interview erklärt er, weshalb drei Viertel aller Männer untreu sind. Und gibt ungewöhnliche Beziehungs-Tipps.

KURIER: Sie sagen, Männer hätten keine andere Wahl als untreu zu sein?Eric Anderson: Ich sage nicht, sie hätten keine Wahl. Es ist auch nicht ihr „Schicksal“. Männer gehen Beziehungen ein, im Glauben, dass sie monogam bleiben. Sie sind überzeugt, dass sie mit ihren Partnerinnen dauerhafte sexuelle Erfüllung finden werden. Mit der Zeit wird die Leidenschaft weniger, die Männer beginnen, andere Frauen zu begehren. Als Ergänzung, nicht als Ersatz. Sie sind frustriert, wenn sie diesen Sex nicht haben können – und machen ihre Partnerin unbewusst dafür verantwortlich.

Und nun? Was tun?Ein Mann hat heute die Wahl: 1.) Er redet offen mit seiner Frau, in der Hoffnung, alles beruhigt sich. Das ist eher unwahrscheinlich, weil wir eine Spezies sind, die sich an Stimuli gewöhnt – der Sex verliert an Reiz. Die Folge: Man braucht neue Kicks. 2.) Er bittet um eine „offene Partnerschaft“, in der Seitensprünge toleriert werden. Das muss aber auch für sie gelten. 3.) Er geht heimlich fremd. Wenn die Männer über Option 1 und 2 nachdenken, fürchten sie, dass dies zur Trennung führt. Sie wollen aber alles – die Liebe zur Partnerin, den Sex mit der anderen. Der Seitensprung hilft, beides zu bekommen. Würden wir uns jedoch für eine andere Liebes-Kultur entscheiden, in der die offene Beziehung akzeptiert wird, wäre vieles einfacher.

Ist Monogamie zum Scheitern verurteilt?Für viele Menschen ist es unmöglich, ein Leben lang mit dem gleichen Partner tollen Sex zu haben. Also suchen wir nach neuen Erfahrungen. Es gibt Menschen, die monogam glücklich sind. Aber die haben oft einen schwachen Sexualtrieb.

Wie steht es um die Liebesfähigkeit der Männer?Meine Studien zeigen, dass Männer von heute mehr denn je intensiv lieben. Sie sind sehr gefühlsstark. Aber sie wachsen in einer pornografisierten Kultur auf – mit elf Jahren haben sie schon erste Pornos konsumiert. Die Gewöhnung an den Kick beginnt immer früher, es wird schwieriger, treu zu bleiben. Das ist anders als bei Paaren aus den 1950er-Jahren, die erst nach der Hochzeit Sex hatten und sich fühlten, als hätten sie alle Stellungen selbst erfunden. Die heutige Jugend kennt alle Stellungen, bevor sie Sex hat.

Sind Frauen anders?Kaum. Viele Studien zeigen, dass sie genauso oft fremdgehen wie Männer.

Zwei, die heiraten möchten, wollen von Ihnen Beziehungs-Tipps. Was raten Sie?1.) Genießt die Romantik, aber seid euch bewusst, dass die Leidenschaft geht und die Lust auf Sex mit anderen kommt. 2.) Feiert diesen Tag – jetzt beginnt die Beziehung erst richtig. 3.) Erwägt Dreier oder Sex außerhalb der Beziehung als Option, um mit dieser Lust umzugehen.

Kritik: „Sexualität nicht pauschalieren“

Ich halte es für tollkühn, eine Aussage zu treffen, die auf alle Männer zutrifft. In einer individualisierten Gesellschaft lässt sich der Umgang mit Sexualität nicht pauschalieren.“Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker und Autor („Paartherapie“, Gütersloher VH), steht den Aussagen Andersons kritisch gegenüber. Er ist überzeugt, dass es viele Lebens- und Liebesentwürfe gibt. Klar, Monogamie sei ein rares Gut , aber Untreue kein reines Männer-Thema: „Ich kenne Frauen, die sich nach 15 Jahren Ehe beschweren, dass ihre Partner sexuell desinteressiert sind. Die fragen sich: ,War’s das jetzt?‘“ Gleichzeitig bestehe auf beiden Seiten eine tiefe Sehnsucht nach Verlässlichkeit, Geborgenheit und Stabilität.„Das Problem ist: Wir erwarten von der sexuellen Liebe, dass sie uns erfüllt und heilt. Aber dem kann nicht entsprochen werden – folglich beginnt die Suche nach einem neuen Partner, in der Hoffnung auf Erlösung durch das sexuelle Erlebnis.“

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