Österreichs Armee im Wandel

Österreichs Armee im Wandel
Ein Streifzug durch die Zeitgeschichte - Die bitteren Lehren aus der Ersten Republik, das Versagen beim Einmarsch der Hitler-Truppen, die Bewährungsprobe 1956.

So ändern sich die Zeiten. Man habe in der Vergangenheit wiederholt schlechte Erfahrungen mit Berufsheeren gemacht, erklärte der SPÖ-Bundeskanzler. "Wollen wir also aus unserer Geschichte lernen, so müssen wir für eine Armee der allgemeinen Wehrpflicht eintreten, in der alle sozialen Gruppen vertreten sind."

Nein, das sind nicht die Worte von Werner Faymann. So sprach Bruno Kreisky im September 1970, damals gerade noch Chef einer SPÖ-Minderheitsregierung.

Kreisky hatte am eigenen Leib erfahren, wie eine Berufsarmee für politische Zwecke missbraucht wurde: Er war in den Bürgerkriegstagen des Februar 1934 für die Sozialdemokratie aktiv. Im Sozialistenprozess 1935 wurde er zu einem Jahr Kerker wegen Hochverrats verurteilt. Seine Haltung zur Berufsarmee war bis in die 1990-er Jahre eine Grundsatzposition von Österreichs Sozialdemokratie.

Dabei waren nach dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Republik 1918 die Sozialdemokraten die ersten, die eine militärische Absicherung des jungen Staates organisierten. Julius Deutsch stellte Volkswehren auf – in Spitzenzeiten bis zu 50.000 Mann. Sie sollten eine kommunistische Rätediktatur wie in Deutschland und Ungarn verhindern, aber auch eine Rückkehr der Habsburger an die Macht.

Aus den österreichischen Plänen für eine Wehrmacht wurde nichts: Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs befahlen im Friedensvertrag von Saint-Germain 1919 radikale Abrüstung. Die allgemeine Wehrpflicht wurde verboten. Österreich wurde zu einem Berufsheer verpflichtet, mit maximal 30.000 Soldaten. Generalstab und Luftwaffe wurden verboten, die Waffen auf ein Minimum reduziert.

Im März 1920 wurde dies per Wehrgesetz umgesetzt. Im November 1920 wurde die Volkswehr in das neue Berufsheer integriert. Am 8. Jänner 1921 erhielt es offiziell den Namen "Österreichisches Bundesheer". Die Obergrenze von 30.000 Soldaten erreichte es nie: Der tiefste Personalstand betrug 1926 rund 20.000 Personen.

Umfärbung

In den ersten Jahren war das Bundesheer sozialdemokratisch orientiert. Als der Christdemokrat Carl Vaugoin 1921 Minister für Heerwesen wurde – mit kurzer Unterbrechung bis 1933 –, änderte sich dies. Offiziell wollte Vaugoin das Bundesheer entpolitisieren, tatsächlich polte er es zum Stützpfeiler christlich-sozialer Macht um.

Die beiden großen politischen Lager bauten in den 1920-er Jahren ihre paramilitärischen Verbände aus – die Sozialdemokraten den Schutzbund, die Christlichsozialen die Heimwehren. Doch das bürgerliche Lager griff im Kampf gegen die politischen Gegner immer öfter auf das Bundesheer zu.

Trauriger Höhepunkt: Der Bürgerkrieg im Februar 1934. Heimwehren, Polizei und Bundesheer gemeinsam schlugen mit Waffengewalt den Aufstand der Sozialdemokraten nieder. Das Bundesheer war Handlanger innenpolitischer Interessen.

Als Kanzler Dollfuß den autoritären Ständestaat errichtete (Dollfuß wurde im Juli 1934 ermordet) und Kurt Schuschnigg nachfolgte, begann Österreich die Auflagen des Friedensvertrags zu ignorieren: Das Bundesheer wurde von der Berufsarmee zu einem Heer mit Präsenzdienern, Berufs- und Milizsoldaten umgebaut. 1936 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die Truppenstärke wurde bis auf 60.000 im Jahr 1938 angehoben. Das geschah mit stiller Zustimmung der Westmächte: Sie wollten nach Hitlers Aufstieg ein militärisches Vakuum in Österreich verhindern.

Beim Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich am 12. März 1938 kam es zum verhängnisvollsten Fehler des Bundesheeres: Es ließ die deutschen Truppen widerstandslos einmarschieren. Kanzler Schuschnigg wurde von der Armeeführung überzeugt, dass militärischer Widerstand sinnlos sei. Nach 1945 wurde klar, dass schon ein paar Schüsse genügt hätten, Österreichs Wehrbereitschaft gegen Hitler wenigstens symbolisch zu beweisen.

Nach der Niederlage der NS-Diktatur 1945 war Österreich in einer ähnlichen Situation wie 1918. Die Provisorische Staatsregierung wollte eine rasche Sicherung der wiedererrichteten Republik. Doch die vier Besatzungsmächte verboten jede militärische Betätigung.

Aufrüstung

 Aber in der Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges sollte nach Ansicht der USA, Großbritanniens und Frankreichs kein militärisches Vakuum in Mitteleuropa entstehen. Deshalb halfen sie bei der geheimen Aufrüstung in den westlichen Besatzungszonen: Erst Alarmformationen, ab August 1952 die "B-Gendarmerie". 1955 umfasste sie rund 6500 Mann, von den Westmächten gut ausgerüstet. Der Versuch, sie vor den Sowjets geheim zu halten, scheiterte. Doch Moskau konnte sie nicht mehr verhindern.

Nach dem Staatsvertrag im Mai 1955 wurde die B-Gendarmerie in "Provisorische Grenzschutzeinheiten" umgewandelt. Im September 1955 legte das neue Wehrgesetz die allgemeine Wehrpflicht fest. Am 15. Oktober 1956 rückten die ersten 12.800 Präsenzdiener der Zweiten Republik in die Kasernen ein.

Nur acht Tage später wurden sie zum gefährlichsten Einsatz des Bundesheeres abkommandiert: Am 23. Oktober 1956 brach in Ungarn der Aufstand gegen die KP-Herrschaft los. Die Grundwehrdiener mussten die Grenze zu Ungarn absichern. Generaltruppeninspektor Erwin Fussenegger erteilte Schießbefehl. Der brisante Befehl galt auch gegen Sowjet-Soldaten, die Ungarn auf der Flucht verfolgten. Aber Fussenegger hatte den März 1938 vor Augen, als das Bundesheer keinen Widerstand gegen Hitlers Truppen leistete: Den Fehler wollte er nicht wiederholen.

Hintergrund Kalter Krieg: Zwischen zwei feindlichen Militärblöcken

Im Osten standen die Millionenheere des Warschauer Paktes, im Westen die NATO. In der Mitte war der neutrale Kleinstaat Österreich mit seinem Bundesheer. Bei der Ungarnkrise 1956 war es zwar gelungen, durch die Entwaffnung von ungarischen Soldaten ein Übergreifen der Kampfhandlungen auf Österreich zu verhindern. Gleichzeitig wurde aber klar, dass diese knapp 40.000 Mann starke Armee einen massiveren Angriff nicht abwehren könnte. Die Folge war die erste Reform – viele Reformen sollten noch folgen.

Sowjet-Überfall

Der Einmarsch des Warschauer Paktes 1968 in die ČSSR wurde für das Bundesheer zum Desaster. Zwar war es auf den Überfall vorbereitet, doch die Politik brachte die Soldaten im Aufmarsch weit vor der Staatsgrenze zum Stehen. Das führte zu schwerer Kritik, das Bundesheer wurde zum Wahlkampfthema. Die ÖVP hielt an der Wehrdienstzeit von neun Monaten fest, doch Bruno Kreisky, SP, gewann 1970 mit dem Kampfslogan "sechs Monate sind genug" die Wahl.

Es war ein Wahlkampfgag. Die Rekruten durften zwar nach sechs Monaten nach Hause gehen – die restlichen drei Monate hatten sie aber über Jahre verteilt als Reservisten abzudienen. Daraus entstand die Raumverteidigungsarmee des Generals Emil Spannocchi. Eine Reservearmee mit 240.000 Mann, die nach guerillaartigem System der "1000 Nadelstiche" einen Durchmarsch fremder Truppen möglichst verlustreich gestalten sollte.

Das war auch notwendig, denn die außenpolitische Reputation Österreichs war wegen zu geringer militärischer Anstrengungen in Gefahr. So gab 1976 der damalige deutsche Verteidigungsminister Georg Leber im kleineren Führungskreis der Bundeswehr eine fatalistische Einschätzung wider: Das österreichische Bundesheer würde sich im Falle eines Sowjet-Angriffes in die "Alpenfestung" zurückziehen, drei Fünftel der Bevölkerung schutzlos zurücklassen und das Donautal mit den strategisch wichtigen Verbindungen nach Bayern preisgeben.

Der Ausbau der Raumverteidigung mit Hunderten bewaffneten Bunkern hatte den erwünschten Effekt. NATO-Politiker anerkannten die Anstrengungen, und die Sowjets versuchten mit dem Militärgeheimdienst GRU die Bunkersysteme auszu- spionieren. Später veröffentlichte Beurteilungen zeigen, dass die Sowjets Respekt vor diesem System hatten.

Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes 1991 wurde auch die Raumverteidigung aufgelöst und das Bundesheer auf 110.000 Soldaten halbiert. Im gleichen Jahr musste aber das Bundesheer an der slowenischen Grenze noch ein Übergreifen von Kämpfen auf österreichisches Staatsgebiet verhindern – so wie damals im Jahr 1956 bei der Ungarnkrise.

Nach dem EU-Beitritt 1995 wurde das Heer noch einmal auf 55.000 Mann halbiert. Neben den Inlandaufträgen erfüllt das Heer nun auch militärische Aufträge für die UNO, die EU und die NATO.

Weltweiter Einsatz

Als außenpolitisches Instrument wird das Heer seit dem 11. Dezember 1960 eingesetzt. Damals schickte Außenminister Bruno Kreisky 49 Sanitäter zu einem UNO-Einsatz in den Kongo. Kreisky erhoffte sich dadurch bessere Karten vor der UNO gegenüber Italien in der Südtirolfrage. Die Rechnung ging auf, am Ende stand das Südtirolpaket mit einer weitreichenden Autonomie. Die UNO forderte seither immer wieder österreichische Soldaten an – zuerst für Zypern, dann auf den Golan – und richtete einen wichtigen Standort in Wien ein.

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