Die Kirche braucht viel mehr als Macht

Liebe Leserinnen und Leser
Auch in säkularen Staaten hat die Kirche noch großen Einfluss. Das alleine wird ihr Überleben nicht sichern.

Wir wissen ja nicht viel über den jungen Mann, der vor rund 2000 Jahren von Nazareth aus seine Wanderungen unternahm, dabei immer mehr Jünger um sich scharte und damit jüdischer Geistlichkeit und römischen Besatzern auf die Nerven ging. Sein Kreuzestod wurde Grundlage einer neuen Religion, das Kreuz ist die älteste Marke der Welt.

Die Evangelien sind ja viele Jahrzehnte später aufgeschrieben worden. Aber so manche Botschaft war ungewöhnlich. Man solle auch seine Feinde lieben, meinte er in kriegerischen Zeiten. Dass Jesus’ Nachfolger eine Organisation gründen würden, die sich immer öfter auf die Seite der Mächtigen stellt, das passt jedenfalls gar nicht zu dem Bild, das die Bibel vermittelt. Es ist ein Wunder, dass 2000 Jahre nach dem Tod eines Wanderpredigers ein Weltkonzern existiert, dem sich rund 1,2 Milliarden Menschen zugehörig fühlen, der über beachtlichen Reichtum und großen Einfluss in vielen Staaten verfügt.

Die Macht der Kirche

Der KURIER wird in den kommenden zwei Wochen erklären, wie aus einer Gruppe von verfolgten Widerstandskämpfern im römischen Reich die weltumspannende katholische Kirche entstehen konnte. Wie diese Glaubensgemeinschaft Verfolgung und Krisen, aber auch innere Widersprüche und mörderische Intrigen überstehen konnte.

Alltagssorgen und das ewige Leben

Aber was ist aus der Religion der Liebe geworden? Durch die bevorstehende Papstwahl wurde uns wieder bewusst, dass die Macht zwar noch im Vatikan liegt, dominiert von alten weißen Männern. Aber die überwiegende Mehrheit der Katholiken lebt im Süden der Erdkugel. Dort zählt das Gefühl der Gemeinschaft mehr als theologische Feinheiten römischer Gelehrter. Die diskutieren über die „Pille danach“, während in deutschen Ordensspitälern vergewaltigte Frauen, die Angst vor einer Schwangerschaft haben, abgewiesen werden. Aus der Religion der Liebe ist eine Kirche der Dogmen geworden, die sich immer mehr von den Gläubigen entfernt.

Menschlich ist allenfalls die allgegenwärtige Heuchelei: Vom Vatikan, wo nur mehr wenige den Überblick über die Intrigenlage haben, bis zum Dorf, wo der Pfarrer Enthaltsamkeit predigt, bevor er sich von seiner Freundin bekochen lässt.Thomas von Mitschke-Collande, „engagierter Katholik“ und Berater deutscher Bischöfe: „Die Kirche befindet sich in einer Glaubens-,Vertrauens-, Autoritäts-, Führungs- und Vermittlungskrise.“

Papst Benedikt XVI. sah das Heil in der „Entweltlichung der Kirche“, andere Katholiken wollen – im Gegenteil – eine weltweite Caritas, die sich um die alltäglichen Sorgen der Gläubigen kümmert. Wahrscheinlich hat die Kirche nur überlebt, weil sie beides immer irgendwie verbinden konnte. Aber in einer Welt offener Information müssen Staaten oder Institutionen ihre Macht entweder mit brutaler Gewalt verteidigen oder sich öffnen. Will die Kirche stark bleiben,muss sie sich um das Seelenheil ihrer Mitglieder kümmern und gleichzeitig die veränderten gesellschaftlichen Realitäten akzeptieren.

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