Keine Schanigärten im Vergnügungsviertel

Keine Schanigärten im Vergnügungsviertel
In Beyoglu, einem Stadtteil von Istanbul, mussten Restaurant- und Barbesitzer die Tische räumen. Kritiker vermuten islamistische Motive.

Mahmut Kaya schaut auf die leere Straße, als könne er es immer noch nicht so recht fassen. Noch vor ein paar Wochen waren die Straßen hier in Beyoglu, dem Vergnügungsviertel von Istanbul, voll mit Tischen und Stühlen, die Betreiber von Restaurants, Hotels und Kneipen für ihre Gäste aufs Pflaster gestellt hatten. Dann aber rückten Beamte des Ordnungsamtes an und sammelten alle Tische und Stühle ein. Kaya, der beim Traditionsrestaurant Refik mitten in Beyoglu arbeitet, glaubt zu wissen, was dahintersteckt. "Die wollen nicht, dass die Leute auf offener Straße Alkohol trinken."

Öffentliches Zuprosten

In der Presse wird die Initiative als "Tisch-Operation"bezeichnet. Es kursiert der Vorwurf, islamistische Kreise wollten dem Rest der Gesellschaft ihre Werte aufzwingen. Und das ausgerechnet in Beyoglu, wo Istanbul ausgelassener, bierseliger und verruchter ist als in anderen Stadtteilen.

Angefangen habe alles mit Recep Tayyip Erdogan, sagt Kaya. Er erzählt eine Geschichte vom frommen Ministerpräsidenten, die derzeit überall zu hören ist in Beyoglu. Erdogan, so erzählt man sich, habe sich Ende Juli, kurz vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan, durch Beyoglu fahren lassen und sei wegen der vielen Tische, Stühle und Menschen in einer Seitenstraße stecken geblieben. Der Premier, für sein aufbrausendes Gemüt bekannt, sei ausgerastet, als einige Biertrinker ihm fröhlich zuprosteten. Darauf soll Erdogan die Verwaltung des von seiner Partei AKP regierten Bezirks Beyoglu angewiesen haben, etwas gegen die Tische zu unternehmen.

Umsatz eingebrochen

Ob die Geschichte stimmt, weiß niemand so genau. Tatsache sei aber, dass der Umsatz in der Gastronomie um bis zu 80 Prozent eingebrochen ist, sagt Tahir Berrakkarasu vom Verband der Kneipenbesitzer in Beyoglu. Dabei gibt der eine oder andere zu, dass manche Wirte die Aktion geradezu provozierten, indem sie weit mehr Tische auf die Straßen stellten als genehmigt.

Trotzdem wird über angebliche Islamisierungstendenzen diskutiert. Erdogan wird schon lange vorgeworfen, er wolle aus der Türkei einen Gottesstaat machen. Die Regierung weist das zurück.

Verbandsvertreter Berrakkarasu zweifelt an der Islam-These. "Dann hätten die das doch schon im Ramadan letzten Jahres gemacht, der war auch im Sommer." Er hält die "Tisch-Operation" vielmehr für eine Folge der Allmacht Erdogans. Kürzlich ließ die ostanatolische Stadt Kars ein Denkmal abreißen, das vom Premier als "monströs" bezeichnet worden war. Und nun habe Erdogan eben sein Missfallen über Biertrinker auf der Straße geäußert - "da musste die Verwaltung springen".

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