Jung, deutsch, gebildet

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Und tschüss: 153.491 Deutsche haben ihre Heimat Richtung Österreich verlassen. Durch sie bekommt die Zuwanderung hier ein neues Gesicht.

Jockel Weichert muss lange nachdenken, ehe ihm ein Ösi-Witz einfällt. Warum bohren Österreicher die Weinflaschen immer auf der Seite auf? – Weil auf dem Etikett Bordeaux steht.

Dem 37-jährigen Exil-Münchner ist sein Witz selbst ein wenig unangenehm – schließlich hat er seine Liebe zu Österreich und zum burgenländischen Rotwein entdeckt. "Ich trinke nur noch Wein aus Österreich", versichert er.

Weichert ist Chef einer PR-Agentur und Gründer der Piefke-Connection, einer Plattform für Deutsche, die in Österreich arbeiten und leben. Die Idee dafür kam Weichert, der bereits seit 1999 in Wien lebt, vor der Fußball-EM 2008. "Ich wollte mir mit Gleichgesinnten Spiele anschauen und den Deutschen die Daumen drücken können, ohne dafür gesteinigt zu werden." Mittlerweile zählt die Piefke-Connection bereits 1500 deutsche Mitglieder.

Sackerl statt Tüte

Attraktive Arbeitsplätze, kostenlose Universitäten und (fast) die gleiche Sprache: Immer mehr Deutsche machen es Franz Beckenbauer (Salzburg/Aigen), Rennfahrer Ralf Schumacher (Hallwang/Salzburg) oder Rapper Sido (Wien) nach und ziehen nach Österreich.

153.491 Deutsche leben laut neuester Bevölkerungsstatistik bereits in Österreich – um 6463 mehr als im Vorjahr. Damit sind sie in sechs Bundesländern (Kärnten, Tirol, Salzburg, Oberösterreich, Vorarlberg und der Steiermark) sowie in ganz Österreich die größte Ausländergruppe, noch vor Serben und Türken. 70.000 weitere Menschen mit deutscher Geburtsurkunde wurden bereits eingebürgert. Deutschlands Botschafter, Hans-Henning Blomeyer-Bartenstein, kennt die Gründe: "Deutsche fühlen sich hier dank der eng ineinander verwobenen Kultur und Gesellschaft schnell heimisch. Die hohe Lebensqualität spielt dabei ebenso eine wichtige Rolle."

In einer Umfrage, die nach den Gründen für die Auswanderung nach Österreich fragte, nannten 39 Prozent eine "höhere Lebensqualität". 68 Prozent kamen wegen einer "besseren Berufs- und Einkommenssituation" (Quelle: Prognos AG).

"In Österreich arbeiten immer mehr Deutsche. Irgendwer muss ja die Jobs machen, die unsere türkischen Mitbewohner nicht mehr wollen", witzelte Alfred Dorfer noch vor ein paar Jahren. Tatsächlich prägte das Bild des ostdeutschen Kellners in der Tiroler Skihütte lange Zeit das Image.

Alpen statt arbeitslos

Faktum ist: Österreichs Tourismus sähe ohne deutsche Arbeitnehmer ziemlich schlecht aus. Vor allem in der Wintersaison fehlen Tausende Arbeitskräfte. Das Problem: Viele Ausländer dürfen nicht, viele Österreicher wollen nicht arbeiten. Den einen fehlt die Bewilligung, den anderen die Lust.

Deutsche dürfen – und wollen arbeiten, selbst hunderte Kilometer von daheim entfernt. Warum? Weil sie in Österreich mehr verdienen und leichter einen Job finden als in (Ost-)Deutschland. "Unsere Nachbarn haben – na sagen wir – eine andere Einstellung zur Mobilität", erklärt Sozialminister Rudolf Hundsdorfer.

Doch unsere nördlichen Nachbarn sind nicht nur mobiler. "Die eingewanderten Deutschen sind auch jünger und gebildeter als die heimische Bevölkerung und sie arbeiten in höheren Positionen", erläutert Univ.-Doz. Josef Kytir von der Statistik Austria.

Der Akademikeranteil der Deutschen ist immerhin drei Mal so hoch wie bei Inländern (siehe Grafik) . Und sie befinden sich außerdem im besten Arbeitsalter: Sieben von zehn Deutschen in Österreich sind zwischen 15 und 44 Jahre alt.

Dem hohen Bildungsniveau entsprechen auch die beruflichen Tätigkeiten: Beinahe jeder vierte Deutsche ist hierzulande als Wissenschafter tätig, weitere 24 Prozent sind Techniker; lediglich 4,5 Prozent der Deutschen arbeiten als Hilfskräfte – nur halb so viele wie Inländer. Und so sind zwar nach wie vor 15.000 Deutsche im Gastgewerbe beschäftigt, aber auch 14.000 in der erzeugenden Industrie, 12.000 im Handel und 6000 im Gesundheitswesen.

Das deckt sich mit der Erfahrung von PR-Agentur-Chef Jockel Weichert: Er kennt besonders viele Landsleute, die in der Kreativbranche tätig sind: Schauspieler, Werber, Designer und Architekten, aber auch Banker, Agenten und Wirtschaftsanalytiker.

Ein Mal im Monat treffen sich Mitglieder der Piefke-Connection in einer der Landeshauptstädte beim Stammtisch. "Dort trinken wir zwar österreichischen Wein, aber dann sprechen wir hochdeutsch."

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