Integration: Was Kanada besser macht als wir

Integration: Was Kanada besser macht als wir
Staatssekretär Sebastian Kurz besuchte Kanada, um herauszufinden, warum das Land einwanderungspolitisch als Vorbild gilt.

Daisy Wai sitzt auf einer Parkbank in Markham und telefoniert. Die schmucke 300.000-Einwohner-Stadt nördlich von Toronto gilt als "most-diverse-City" in Kanada. Was das bedeutet? Die Menschen in der Region sprechen mehr als 100 unterschiedliche Sprachen. Mehr als 50 Prozent der Bewohner wurden nicht in Kanada geboren. Daisy Wai ist eine von ihnen.

Vor 30 Jahren verließ die heute 60-Jährige Hongkong. "Zu Hause hieß es nur arbeiten, arbeiten, arbeiten. Es gab keine Zeit für die Familie." In Kanada sei beides wichtig, sagt die Chefin einer Werbefirma und vierfache Mutter. Außerdem habe sie ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen wollen.

Hatte sie nie Heimweh? "Nein, weil wir uns hier akzeptiert gefühlt haben."

So hat es auch Hans Wyslouzil erlebt. Der gebürtige Innsbrucker kam vor 40 Jahren per Schiff nach Kanada, weil ein kanadisches Ehepaar, das er in Tirol kennengelernt hatte, so sehr von seiner Heimat geschwärmt hatte. "Na dann schauen wir uns das einmal an", dachte sich der heute 84-Jährige. Mittlerweile hat der einstige Versicherungsmann nicht nur Enkelkinder, sondern auch zwei Urenkerl in seiner Wahl-Heimat.

Kein Paradies

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Wenn man derlei Lebensgeschichten hört, könnte man meinen, Kanada sei ein Paradies für Einwanderer. Das Land gilt als vorbildlich in Sachen Immigrations- und Integrationspolitik, aber auch hier gibt es Regeln und Gesetze.

Kanada hat seit 1967 ein Punkte-System für Zuwanderer. Für Alter, Ausbildung, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Job-Aussichten bekommt man Punkte. Die besten Chancen, ins Land der unbegrenzten Integrationsmöglichkeiten zu kommen, haben junge, top-gebildete Menschen. "Wir wollen die Besten", sagt Außenminister John Baird.

Dass deren Ausbildung, etwa akademische Grade, anerkannt wird, dauert aber selbst in Kanada mitunter einige Jahre. Ärzte, die als Taxifahrer arbeiten, sind zwischen Vancouver und Quebec keine Seltenheit.

Flüchtlinge, die kein Asyl bekommen, haben auch kaum Chancen auf ein Aufenthaltsrecht. Die Tausenden Roma aus Ungarn, die in jüngster Vergangenheit Zuflucht in Kanada gesucht haben, sollen wieder heimfahren. Und wer schlecht Englisch spricht, soll in Zukunft auch nicht mehr einwandern dürfen. Das hat Jason Kenney, Minister für Staatsbürgerschaft und Immigration, beim Besuch von Österreichs Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz erzählt. Kurz war drei Tage auf Visite, um zu studieren, warum die kanadische Einwanderungs- und Integrationspolitik als vorbildlich gilt.

Vorbildlich ist etwa, dass die Mehrheit der Kanadier Einwanderung positiv beurteilt. Das ist zum Teil historisch bedingt. Schließlich hat nahezu jeder Kanadier ausländische Wurzeln. Das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt wurde dereinst von Briten und Franzosen besiedelt. Heute kommen die meisten der jährlich 250.000 Immigranten aus Asien (China, Indien, Philippinen).

Zuwanderer werden freilich auch wegen der niedrigen Geburtenrate gebraucht. Überdies sind viele der Neo-Mitbürger aufgrund des Punkte-Systems gut ausgebildet und liefern brav ihre Steuern ab.

Die Kanadier strengen sich aber auch an, damit es zu keiner Klima-Veränderung kommt. Gleich bei ihrer Ankunft bekommen Zuwanderer eine Broschüre in die Hand, um sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. Vereine und Organisationen, die von der Regierung finanziert oder zumindest unterstützt werden, helfen Ankömmlingen bei der Jobsuche, vermitteln Gratis-Sprachkurse, kostenlose Kinderbetreuung etc. In den Schulen werden die Kinder von Zweit-Lehrern unterstützt, damit sie möglichst rasch Englisch beherrschen. Und die Verleihung der Staatsbürgerschaft wird gefeiert – in aller Öffentlichkeit, zum Beispiel in Museen oder Parks. Das organisiert und zahlt das Institute for Canadian Citizenship, eine NGO, die von der Regierung und Sponsoren finanziert wird. "Die Neo-Bürger sollen das Gefühl haben, willkommen zu sein", sagt Geschäftsführerin Gillian Hewitt Smith.

Österreich-Hilfe

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Branko Stojanovic hofft auch, dass er in Kanada so gut Fuß fassen kann wie Daisy Wai oder Hans Wyslouzil. Stojanovic lebt erst seit drei Monaten in Toronto. Seine Frau, eine Architektin, hatte seit zwei Jahren keinen Job in der Heimat. "Es wird einfach nur wenig gebaut", schildert der 35-jährige Serbe. Seine Frau sucht noch Arbeit, der Fotograf hat bereits den ersten Auftrag erhalten. Er wurde von der Botschaft engagiert, um den Kanada-Trip von Staatssekretär Kurz bildlich zu dokumentieren. "Ein guter Job", sagt Stojanovic – und hofft auf weitere Integrationshilfe aus Österreich im Musterland Kanada.

Sebastian Kurz im Interview

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Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) war drei Tage in Kanada. Der KURIER fragte ihn nach den Erkenntnissen.

KURIER: Was kann Österreich von Kanada in Sachen Integrations- und Einwanderungspolitik lernen?

Sebastian Kurz: In Kanada schaut man nicht darauf, woher jemand kommt, sondern was er kann. Das Thema Integration geht man dort weder emotional noch ideologisch an. Kanada geht den pragmatischen Weg.

In Kanada sind Sprachkurse für Einwanderer kostenlos. Sollten sie in Österreich auch gratis sein?

Sprachkurse sind sehr stark gefördert. Ich glaube außerdem, dass es sinnvoll ist, wenn es einen Kostenbeitrag von den Zuwanderern gibt. Dann gibt es mehr Bewusstsein dafür, dass das einen Wert hat, was das neue Heimatland bietet.

Integration und Immigration wird von den Kanadiern großteils positiv gesehen. Wie kann das auch in Österreich gelingen?

Durch ein klare Trennung der Bereiche Asyl, Zuwanderung und Integration. Durch Bewusstseinsbildung – viele Migranten in Österreich sind Leistungsträger. Und dadurch, dass wir Zuwanderung und Integration – wie die Kanadier – stärker steuern.

In Wien sitzen in manchen Schulklassen viele Kinder mit sehr schlechten Deutschkenntnissen. In Kanada gibt es mehr Unterstützung, etwa durch Zweit-Lehrer. Muss sich Österreich in dem Bereich nicht auch mehr anstrengen?

Ja. Ich glaube, dass wir eine riesige Baustelle im Bildungsbereich haben. Lehrer werden oft mit den Problemen allein gelassen. In ihrer Ausbildung wird zu wenig auf die Probleme eingegangen. Da muss sich dringend etwas ändern. Wir werden im Herbst Vorschläge machen, wie wir unser Bildungssystem verändern können, damit jeder Zuwanderer die bestmögliche Ausbildung bekommt, um später auch einen Beitrag am Arbeitsmarkt zu leisten.

In Toronto gibt es eine Schule, die ausschließlich von neuen Zuwandererkindern mit schlechten Englischkenntnissen besucht wird. Dort sitzen nur 15 Kinder in einer Klasse. Erst wenn sie gut Englisch sprechen, kommen sie – meist nach ein oder zwei Jahren – in eine öffentliche Schule. Ist das ein guter Ansatz?

Das ist ein sehr spannender Ansatz. Die Direktorin wird mir die Evaluierungsergebnisse schicken. Wir werden uns damit auseinandersetzen und diesen Ansatz sicher durchdenken.

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