Zivis könnten die Wehrpflicht retten

Zivis könnten die Wehrpflicht retten
Heer-Serie, Teil 4: Einst als Fluchtweg für Drückeberger verschrien, könnte der Zivildienst jetzt die Lebensversicherung fürs Bundesheer werden.

Ich musste dann doch zugeben, dass es Situationen gibt, in denen man sich mit Gewalt helfen muss. Irgendwo beim Warschauer Getto hab’ ich w. o. gegeben." Der Kabarettist Thomas Maurer, Jahrgang 1967, musste vor dem Zivi noch die berüchtigte Gewissensprüfung bestehen. Als einer der Letzten – diese Zeiten sind vorbei.

Der "Zivi" hat eine steile Karriere hingelegt: Eingeführt für zottelige Pazifisten, die partout nicht für das Vaterland durch den Wald robben wollten. Heute könnte er – ausgerechnet der Zivi – die politische Lebensversicherung der Wehrpflicht sein. Denn der Wegfall des Zivildienstes würde das Gesundheitssystem vor ein Problem stellen. Die ÖVP wird ihn deshalb wohl als ein Hauptargument in die Schlacht gegen das Berufsheer führen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) stellt demnächst eine Studie zur "Wertschöpfung" und den Kosten des Zivi vor . Bisher ist nur klar: 2010 hat der Bund 100 Millionen Euro gezahlt; wie viel die Trägerorganisationen in Summe zahlen, ist offen – kolportiert werden 35 Millionen.

Zahlen

Von den rund 36.000 Tauglichen pro Jahr gehen mittlerweile mehr als 13.000 zum Zivildienst. Allein 6000 arbeiten pro Jahr im Rettungswesen, 2500 in der Behindertenhilfe (Grafik) . Für die meisten ist das Jahr eine Bereicherung. Der Musiker Eric Papilaya, Jahrgang 1978, sagt: "Ich war bei der Lebenshilfe, eine wertvolle Zeit. Hätte ich nach dem Zivi nicht ein gutes Angebot gehabt, hätte ich dort weitergearbeitet."

Die Kommission gewährte letztlich auch Maurer den Zivildienst, auch er war bei der Lebenshilfe und war zufrieden: "Das hatte schon eine bewusstseinserweiternde Komponente." Er kenne aber auch Leute, "die monatelang nur Rettungsautos auf Hochglanz poliert haben".

Zwickmühle

Wenn die Wehrpflicht im Jänner fällt, dann fällt auch der Zivildienst: Er ist als Ersatz für den Wehrdienst konzipiert. Ein verpflichtendes soziales Jahr für alle würde ohne Wehrpflicht wohl mit der Menschenrechtskonvention in Konflikt geraten. Die SPÖ schlägt als Ersatz ein "freiwilliges soziales Jahr" vor. Sozialminister Rudolf Hunds­torfer denkt 1300 Euro pro Monat an; derzeit erhält ein Zivi im Rettungswesen rund 700 Euro.

Die Debatte ist aber erst eröffnet: Die Gewerkschaft hat Bedenken wegen Lohn-Dumpings angemeldet. Für 13. September ist ein Gipfel im Sozialministerium geplant; für den 7. September hat das Innenministerium alle Träger-Organisationen zum Gespräch geladen.

Wohl auch wegen der bevorstehenden Gespräche geben sich die Träger noch zurückhaltend. Rot-Kreuz-General Werner Kerschbaum pocht auf Alternativen und warnt davor, dass eine Umstellung schwierig wird (Interview rechts) . Caritas-Präsident Franz Küberl sagt: "Wir würden natürlich auch ohne Zivis durchkommen. Aber es wird schwieriger." Der größte Schaden wäre für ihn, dass ein wertvoller gesellschaftlicher Solidarakt entfiele.

Er kann sich gut an die Anfänge erinnern: "Ich war 1975 bei der Katholischen Jugend, ich kenne die Debatten über die ,Drückeberger" noch. Damals war Pazifismus noch ein Vorwurf."

Zeitraffer

Tatsächlich wurde es den Zivis nicht leicht gemacht. Die erniedrigende Gewissensprüfung, die Maurer noch durchlaufen musste, wurde erst 1991 abgeschafft – seither reicht eine formelle Erklärung aus. Die Dauer des Zivildienstes wurde schrittweise auf zwölf Monate angehoben; im Gegenzug wurde der Wehrdienst von acht auf sechs Monate verkürzt .

Dass der Zivi jetzt herhalten muss, um die Wehrpflicht zu verteidigen, ist für Maurer "eine Pointe der Geschichte". Wie er im Jänner abstimmen wird? "Das ist eine politische Scheindebatte. Ich hätte lieber eine darüber, wofür dieses Heer noch gut sein soll. Das ist eine lästige Folklore-Einrichtung, die den Menschen Zeit stiehlt. In der Form könnte man es ersatzlos streichen." Papilaya ist zumindest skeptisch, ob die Wehrpflicht fallen soll: "Weil mein Zivi so eine wertvolle Erfahrung war."

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Rot-Kreuz-Generalsekretär warnt: "Das ist schwer eins zu eins zu ersetzen"

Das Rote Kreuz hat mit rund 4000 jährlich die meisten Zivildiener. Generalsekretär Werner Kerschbaum über ...

... Folgen für das Rote Kreuz, wenn der Zivildienst abgeschafft wird

"Prinzipiell gilt: Uns gibt es 150 Jahre, 120 davon ohne Zivis. Das Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahrzehnten aber so entwickelt, dass es mit deren Hilfe funktioniert. Da müssten wir Alternativen erarbeiten, das ist schwer von heute auf morgen zu ersetzen."

... die Langzeitfolgen

"Von den 4000 Zivis bleiben pro Jahr 2000 als Freiwillige bei uns. Das ist ein Teich, aus dem wir rekrutieren, auch dafür brauchen wir also Alternativen, wenn das wegfällt."

... sein Stimmverhalten bei der Befragung im Jänner

"Würde die Frage lauten, Zivildienst Ja oder Nein, hätten Sie von mir ein Ja. Es wird aber über die Wehrpflicht abgestimmt. Wir müssen uns eben Alternativen überlegen."

... Alternativen wie das Freiwilligen-Jahr

"Ich will das nicht ,freiwillig" nennen, da machen die Freiwilligen einen Aufstand, die bisher unentgeltlich gearbeitet haben. Und es gibt viele Unwägbarkeiten: Wie viele kommen? Wie lange bleiben sie?

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